Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

„Der Markt ist in Bewegung“

Der Deutschlan­dchef des Reisekonze­rns Tui über die Insolvenz des Wettbewerb­ers FTI, Hilfe für gestrandet­e Urlauber sowie die Preise und Ziele in diesem Jahr.

- REINHARD KOWALEWSKY FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Geschäft: Für die gewährten Hilfen an Zinsen, Gebühren und sonstigen Abgaben wurden fast 400 Millionen Euro zusätzlich gezahlt.

Gehen wegen der Fti-insolvenz die Preise nun deutlich nach oben?

Warten wir es ab. Kurzfristi­g halte ich es sogar für denkbar, dass es wegen der Fti-insolvenz auch einige Schnäppche­n gibt, wenn nicht genutzte Kapazitäte­n von Hotels oder Airlines in den Markt zurückkomm­en. Das wäre insbesonde­re dann der Fall, wenn es nicht gelingen sollte, einen Käufer zu finden, der FTI ganz oder zu Teilen ab Juli fortführt. Wichtig ist es jetzt, dass die Reisenden so schnell wie möglich Klarheit bekommen, wie es mit ihrem Urlaub weitergeht.

Was raten Sie Urlauberin­nen und Urlaubern, deren Fti-reise noch nicht abgesagt wurde?

BAUMERT Die Kunden haben die Wahl. Wer nun ganz kurzfristi­g für Juni eine andere Flugpausch­alreise bei uns bucht, kann bis vier Tage vor Abreise wieder stornieren. Wer ab Juli neu bei uns bucht, kann sich über den Flextarif absichern. Das ist für Fti-gäste die beste Absicherun­g. Entweder sie treten die ursprüngli­ch geplante Reise an oder sie nutzen die Buchung bei uns. Der Markt ist in Bewegung, und Urlauber können davon auch profitiere­n.

Und auf Anzahlunge­n verzichten Sie erst einmal, weil wechselnde Fti-kunden ja ihre Zahlung an FTI noch nicht zurückerha­lten haben?

Ja, wir wollen fair sein. Bis zum 30. Juni verlangen wir keine Anzahlung für Pauschalre­isen bis Ende Oktober. Wir wissen, wie wichtig der Sommerurla­ub für die Menschen ist. Also ist es nur angemessen, in dieser schwierige­n Phase Entgegenko­mmen zu zeigen, wobei auch alle anderen Kunden von der Regelung profitiere­n.

Bestätigt oder widerlegt die Insolvenz von FTI das Modell der Pauschalre­ise? Immerhin wurden viele Urlauber von Hoteliers unter Druck gesetzt, ihre Unterkunft entweder nun selbst direkt zu zahlen oder rauszuflie­gen, obwohl die Reise bereits bei FTI bezahlt worden war.

Wir alle hätten uns gewünscht, dass es zu einem solchen Vorgang nicht gekommen wäre. Fakt ist aber, dass dank des Reisesiche­rungsfonds alle Kundengeld­er abgesicher­t sind. Das gibt es in keiner anderen Branche. Alle, die vor Ort ihren Urlaub bereits begonnen haben, können die Reise beenden. Alle Fti-urlauber können nach Hause fliegen. Und diejenigen, die zur Vorkasse gedrängt wurden, sollen ihr Geld zurückerha­lten. Wichtig ist dabei natürlich, dass Tui und andere Wettbewerb­er den Reisesiche­rungsfonds unterstütz­en.

Das bedeutet?

Wir wurden gebeten, uns auf den Balearen, in Griechenla­nd, Mexiko, Kuba, den Malediven und der Dominikani­schen Republik um die Fti-gäste zu kümmern. Das bedeutet konkret, dass die Hoteliers über den Reisesiche­rungsfonds ihr Geld erhalten werden. Teilweise stellen wir zusätzlich auch einen Tui-sicherungs­brief aus, weil uns die Partner vor Ort gut kennen. Wir unterstütz­en auch bei der Rückreise. Und in Zielgebiet­en, die wir nicht betreuen, wissen unsere Leute vor Ort, wer helfen kann. Die vermitteln dann den Kontakt.

Rund 11.000 Fti-beschäftig­ten droht die Arbeitslos­igkeit. Wird Tui viele davon einstellen?

BAUMERT Wir werden sicherlich Fti-beschäftig­te in unseren Reihen aufnehmen. Wir haben immer freie Stellen und brauchen auch in den Zielgebiet­en gute Kolleginne­n und Kollegen. FTI und Tui haben bereits Kontakt aufgenomme­n, um sich über die Perspektiv­en für die Mitarbeite­nden auszutausc­hen.

Wo wird es diesen Sommer besonders voll, wo drängen besonders viele Fti-kapazitäte­n auf den Markt?

Mallorca und die Balearen sind sehr begehrt dieses Jahr, ebenso Griechenla­nd und die Türkei. Von FTI könnten in allen diesen Gebieten Kapazitäte­n frei werden, wobei es aber am meisten in der Türkei und Ägypten sind. Insgesamt erwarten wir als Tui einen guten Sommer mit deutlich anziehende­n Fernreisen. Schon Mitte Mai lagen die Buchungsza­hlen insgesamt rund fünf Prozent höher als vor einem Jahr.

Bleibt es dabei, dass Tui als Konzern damit rechnet, pro Reise im Schnitt rund vier Prozent mehr einzunehme­n?

Ja, dies ist die Erwartung. Dabei geht es allerdings nicht einfach um höhere Preise beziehungs­weise eine Anpassung an die Inflation, sondern um eine Mischkalku­lation, weil manche Kunden auch anspruchsv­oller als im Vorjahr buchen – somit steigt der durchschni­ttliche Reisepreis.

Könnte es sein, dass die zunehmende­n Proteste gegen sogenannte­n Over-tourism, also gegen eine zu hohe Belastung von beliebten Zielen durch immer mehr Urlauber, wie wir sie auf Mallorca erleben, weiteres Wachstum verhindert?

Natürlich nehmen wir die Anliegen der Bewohnerin­nen und Bewohner in den Urlaubsreg­ionen ernst. Wer sich die Aussagen genauer anschaut, versteht, worum es geht: um einen verantwort­ungsvollen Tourismus. Das sind keine Proteste gegen den Tourismus. Es sind Proteste für einen Tourismus, der sozial verantwort­lich und wirtschaft­lich erfolgreic­h für die Menschen vor Ort ist. Das sind Themen, an denen Tui seit Jahren intensiv arbeitet. Unsere Nachhaltig­keitsagend­a bringt dieses Verständni­s zum Ausdruck: Wirtschaft­liche, soziale und ökologisch­e Nachhaltig­keit müssen Hand in Hand gehen. Nur dann kann es einen erfolgreic­hen Tourismus geben.

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