Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Brucken fur die Rentiere
In Schweden müssen die Hirsche aufgrund des Klimawandels immer weitere Wege zurücklegen. Sie werden daher im Straßenverkehr zur Gefahr. „Renodukte“sollen helfen.
Damit sie gefahrlos die Straße überqueren können, bekommen Schwedens Rentiere nun eigene Brücken – auch „Renodukte“genannt. Was für mitteleuropäische Ohren zunächst recht heiter klingen mag, hat einen ernsten Hintergrund – und für unsere nordeuropäischen Nachbarn eine hohe Alltagsrelevanz. Denn Schwedens Rentiere – und die Menschen, die sich mit ihnen die Natur teilen – leben gefährlich. Durch den Klimawandel müssen die Tiere immer weitere Wege zurücklegen. Daher steigt auch im Straßenverkehr das Unfallrisiko für Autofahrer, für die Rentiere immer mehr zur Gefahr werden.
Rein statistisch betrachtet, ist das Risiko, in der Einsamkeit Nordschwedens auf der Straße einem Exemplar der massigen Hirschtiere zu begegnen, ziemlich hoch: Laut dem Parlament der schwedischen Urbevölkerung, der Samen, gibt es im Norden des Landes schätzungsweise zwischen 225.000 und 280.000 Rentiere. Das entspricht in etwa der Hälfte der Einwohner der schwedischen Universitätsstadt Göteborg.
Die Rentiere bewegen sich je nach Jahreszeiten dorthin, wo die Natur ihnen das meiste Futter bietet. Auf ihrer Nahrungssuche nutzen sie dabei bestimmte, feste Wanderrouten.
In ihren Wintergebieten müssen die über Weihnachtsfilme auch in Deutschland bekannt gewordenen Vierbeiner immer weitere Gebiete nach Nahrung absuchen. Dabei kommen sie dem Menschen gefährlich nahe: Immer wieder müssen die Rentiere auf ihren winterlichen Streifzügen auch viel befahrene Verkehrswege wie Fernstraßen oder Bahntrassen überqueren.
Das liegt am Klimawandel, ist also ein menschengemachtes Problem. Früher, als es noch richtig kalte Winter mit flauschigen Schneedecken gab, die die Landschaft unter sich begruben, war es für die Tiere viel einfacher, an Nahrung zu gelangen. Da konnten die Rentiere einfach mit den Hufen im Schnee unter ihnen graben, um die darunter liegenden Flechten und Moose zu verspeisen. Die infolge des Klimawandels merklich wärmeren Winter haben jedoch dazu geführt, dass sich der Schneeregen mit wässrigerem Regen vermischt. Am Erdboden führt das vielerorts dazu, dass sich harte Eisschichten bilden. Diese versiegeln den darunterliegenden Schnee, und das Futter wird unerreichbar für die Rentiere.
Auf der Futtersuche müssen sie teils richtig breite und – zumindest für schwedische Verhältnisse – vielbefahrene Straßen überqueren. „Unter den veränderten Klimabedingungen ist es besonders wichtig, dass die Rentiere weiter entfernte, alternative Futterstellen erreichen können“, sagte Landschaftsökologe Per Sandström von Schwedens Landwirtschaftsuniversität dem öffentlich-rechtlichen Fernseh-sender SVT.
Besondere Brücken über Straßen, die eigens für Rentiere gebaut werden, sieht er in der aktuellen Situation als wichtig an. Er nennt die Brücken „Renodukte“, abgeleitet aus dem lateinischen „Viadukt“für Überführung.
Zehn Brücken dieser Art sind allein für dieses Jahr geplant, etwa über die Europastraße 4, die Schweden in Nord-Süd-Richtung durchquert. Diese musste in der Vergangenheit sogar zeitweise gesperrt werden, weil sie so viele Rentiere gleichzeitig überquerten. „Ich freue mich wirklich darüber, dass wir die Straße bald gefahrlos queren können“, sagt Rentierhalter Tobias Jonsson. Die samischen Rentierhalter waren in die Planung zu einem sehr frühen Zeitpunkt involviert und haben dem Straßenverkehrsamt zeigen können, an welchen Stellen die Renodukte, die von zwei Meter hohen seitlichen Schutzgittern flankiert werden, gebaut werden sollen.
Auch dürfen die Brücken nicht wie ein Tunnel gebaut werden, das haben Jonsson und die anderen Rentierhalter durchgesetzt – zum Wohle ihrer Tiere: „Denn sie mögen es einfach nicht, sich eingesperrt zu fühlen“, sagt er.