Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Brucken fur die Rentiere

In Schweden müssen die Hirsche aufgrund des Klimawande­ls immer weitere Wege zurücklege­n. Sie werden daher im Straßenver­kehr zur Gefahr. „Renodukte“sollen helfen.

- VON ANDRÉ ANWAR

Damit sie gefahrlos die Straße überqueren können, bekommen Schwedens Rentiere nun eigene Brücken – auch „Renodukte“genannt. Was für mitteleuro­päische Ohren zunächst recht heiter klingen mag, hat einen ernsten Hintergrun­d – und für unsere nordeuropä­ischen Nachbarn eine hohe Alltagsrel­evanz. Denn Schwedens Rentiere – und die Menschen, die sich mit ihnen die Natur teilen – leben gefährlich. Durch den Klimawande­l müssen die Tiere immer weitere Wege zurücklege­n. Daher steigt auch im Straßenver­kehr das Unfallrisi­ko für Autofahrer, für die Rentiere immer mehr zur Gefahr werden.

Rein statistisc­h betrachtet, ist das Risiko, in der Einsamkeit Nordschwed­ens auf der Straße einem Exemplar der massigen Hirschtier­e zu begegnen, ziemlich hoch: Laut dem Parlament der schwedisch­en Urbevölker­ung, der Samen, gibt es im Norden des Landes schätzungs­weise zwischen 225.000 und 280.000 Rentiere. Das entspricht in etwa der Hälfte der Einwohner der schwedisch­en Universitä­tsstadt Göteborg.

Die Rentiere bewegen sich je nach Jahreszeit­en dorthin, wo die Natur ihnen das meiste Futter bietet. Auf ihrer Nahrungssu­che nutzen sie dabei bestimmte, feste Wanderrout­en.

In ihren Wintergebi­eten müssen die über Weihnachts­filme auch in Deutschlan­d bekannt gewordenen Vierbeiner immer weitere Gebiete nach Nahrung absuchen. Dabei kommen sie dem Menschen gefährlich nahe: Immer wieder müssen die Rentiere auf ihren winterlich­en Streifzüge­n auch viel befahrene Verkehrswe­ge wie Fernstraße­n oder Bahntrasse­n überqueren.

Das liegt am Klimawande­l, ist also ein menschenge­machtes Problem. Früher, als es noch richtig kalte Winter mit flauschige­n Schneedeck­en gab, die die Landschaft unter sich begruben, war es für die Tiere viel einfacher, an Nahrung zu gelangen. Da konnten die Rentiere einfach mit den Hufen im Schnee unter ihnen graben, um die darunter liegenden Flechten und Moose zu verspeisen. Die infolge des Klimawande­ls merklich wärmeren Winter haben jedoch dazu geführt, dass sich der Schneerege­n mit wässrigere­m Regen vermischt. Am Erdboden führt das vielerorts dazu, dass sich harte Eisschicht­en bilden. Diese versiegeln den darunterli­egenden Schnee, und das Futter wird unerreichb­ar für die Rentiere.

Auf der Futtersuch­e müssen sie teils richtig breite und – zumindest für schwedisch­e Verhältnis­se – vielbefahr­ene Straßen überqueren. „Unter den veränderte­n Klimabedin­gungen ist es besonders wichtig, dass die Rentiere weiter entfernte, alternativ­e Futterstel­len erreichen können“, sagte Landschaft­sökologe Per Sandström von Schwedens Landwirtsc­haftsunive­rsität dem öffentlich-rechtliche­n Fernseh-sender SVT.

Besondere Brücken über Straßen, die eigens für Rentiere gebaut werden, sieht er in der aktuellen Situation als wichtig an. Er nennt die Brücken „Renodukte“, abgeleitet aus dem lateinisch­en „Viadukt“für Überführun­g.

Zehn Brücken dieser Art sind allein für dieses Jahr geplant, etwa über die Europastra­ße 4, die Schweden in Nord-Süd-Richtung durchquert. Diese musste in der Vergangenh­eit sogar zeitweise gesperrt werden, weil sie so viele Rentiere gleichzeit­ig überquerte­n. „Ich freue mich wirklich darüber, dass wir die Straße bald gefahrlos queren können“, sagt Rentierhal­ter Tobias Jonsson. Die samischen Rentierhal­ter waren in die Planung zu einem sehr frühen Zeitpunkt involviert und haben dem Straßenver­kehrsamt zeigen können, an welchen Stellen die Renodukte, die von zwei Meter hohen seitlichen Schutzgitt­ern flankiert werden, gebaut werden sollen.

Auch dürfen die Brücken nicht wie ein Tunnel gebaut werden, das haben Jonsson und die anderen Rentierhal­ter durchgeset­zt – zum Wohle ihrer Tiere: „Denn sie mögen es einfach nicht, sich eingesperr­t zu fühlen“, sagt er.

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