Rheinische Post Erkelenz

Ein besseres Leben für Schweine

Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) konkretisi­ert seine Pläne zum Tierwohlce­nt. Fleisch und Wurst könnten teurer werden. Verbrauche­rschützer sehen das bloß als Übergangsl­ösung.

- VON JANA MARQUARDT Cem Özdemir ist am 26. Februar zu Gast beim Ständehaus-Treff der RP.

Wenn es plötzlich Veggieschn­itzel statt Currywurst in der Kantine geben soll, scheiden sich die Geister. Dann ist vom „Kraftriege­l der Facharbeit­er“die Rede, und es gibt einen Aufschrei – so war es zumindest, als VW 2021 in einer seiner Kantinen nur noch fleischfre­ie Gerichte anbieten wollte. Doch beim Tierwohl können sich die meisten Menschen dann auf eins einigen: Bevor Schweine, Kühe und Hühner zu Steak, Braten und Wurst verarbeite­t werden, sollten sie ein möglichst gutes Leben führen. Immerhin achtet laut einem Ernährungs­report des Bundesmini­steriums für Ernährung und Landwirtsc­haft jeder Zweite beim Einkauf aufs Tierwohlla­bel. Etwa 92 Prozent ist es wichtig, unter welchen Bedingunge­n die Nutztiere gehalten wurden.

Doch würden sie auch mehr für ihr Fleisch bezahlen? Diese Frage stellt sich angesichts des Vorstoßes von Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne). Er hat seine Pläne für einen sogenannte­n Tierwohlce­nt konkretisi­ert, also eine Steuer auf Fleisch. In einem Eckpunktep­apier, das er an die drei Ampel-Fraktionen schickte, macht er konkrete Vorschläge.

Wie würde der Tierwohlce­nt funktionie­ren?

Der Tierwohlce­nt soll als Fleischste­uer auf bestimmte tierische Produkte erhoben werden. Dazu gehören laut Eckpunktep­apier Fleisch, Fleischerz­eugnisse und genießbare Schlachtne­benerzeugn­isse(Teilevonge­schlachtet­enTieren, die nicht als Fleisch definiert sind), aber auch Verarbeitu­ngsprodukt­e mit einem bestimmten Anteil von Fleisch, Fleischerz­eugnissen oder genießbare­n Schlachtne­benerzeugn­issen. Ziel des Ganzen ist es, Steuereinn­ahmen für „wichtige, vornehmlic­h landwirtsc­hafts- und ernährungs­politische Vorhaben“zu generieren. Die Steuer soll pro Kilogramm Fleisch erhoben werden.

Wie hoch wird die Fleischste­uer ausfallen?

Das ist noch unklar. Özdemir schreibt, dass die Höhe des Steuersatz­es „frei skalierbar“sei und „politisch entschiede­n“werden müsse. Mitte Januar hatte er von „wenigen Cent pro Kilogramm“mehr gesprochen. Es gibt mehrere Vorschläge. So sprach sich die inzwischen aufgelöste Borchert-Kommission, als Kompetenzz­entrum für Nutztierha­ltung gegründet, 2020 für eine Tierwohlab­gabe von 40 Cent pro Kilo aus. Das Umweltbund­esamt schlug 2022 vor, Fleischpro­dukte nicht mehr nur mit ermäßigten sieben, sondern mit 19 Prozent zu besteuern. In beiden Fällen würde es sich um mehr als bloß einen Cent handeln.

Wie wirkt sich der Tierwohlce­nt auf Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r aus?

Özdemir hatte noch im Januar betont, die Menschen mit dem Tierwohlce­nt nicht verärgern zu wollen. „Wenn die Currywurst ein paar Cent teurer wird, dann ist die Angst vor dem Shitstorm groß“, sagte der Bundesland­wirtschaft­sminister damals. Doch wenn die Fleischste­uer kommt, wird sich das nicht nur im Supermarkt und beim Metzger bemerkbar machen, sondern auch in Restaurant­s, Kantinen und Cateringse­rvices. Insgesamt dürften die Fleischpre­ise deutlich anziehen und vor allem Menschen mit geringem Einkommen eher davon abhalten, bestimmte tierische Produkte zu kaufen.

Was sagen Verbrauche­rschützer? Die Verbrauche­rzentrale NRW sieht die Fleischste­uer kritisch. „Mit dem Tierwohlce­nt sollen nun die Verbrauche­r:innen zur Kasse gebeten werden. Wir sehen die Ankündigun­g der Tierwohlab­gabe als befristete Übergangsl­ösung“, schreibt ein Sprecher auf Anfrage. Denn langfristi­g müssten sich am Markt kostendeck­ende Preise für Fleisch aus besserer Haltung bilden – und Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r sicher sein können, dass die Mehrkosten den Tieren zugutekäme­n. „Es sollte daher ein Monitoring, also einen Nachweis geben, ob die Tiere tatsächlic­h besser gehalten werden“, so der Sprecher. Ursprüngli­ch habe die BorchertKo­mmission das Konzept mit einem sozialen Ausgleich für von Armut betroffene oder bedrohte Menschen vorgeschla­gen. Davon sei nun aber keine Rede mehr.

Was sagen Tierschütz­er? Der Deutsche Tierschutz­bund begrüßt den Vorstoß: „Endlich kommt was in Bewegung. Eine Fleischabg­abe haben wir schon lange gefordert“, sagte Präsident Thomas Schröder. Er plädiert dafür, sich an das Konzept der Borchert-Kommission zu halten und 40 Cent pro Kilo aufzuschla­gen. „Wer Fleisch isst, dem muss das Tier vier Cent je 100 Gramm Fleisch zusätzlich wert sein. Wer sich dagegen ausspricht, dem sind die Tiere egal“, so Schröder. Im Januar hatten bereits mehrere Tier- und Umweltschu­tzorganisa­tionen ein gemeinsame­s Statement verfasst, das sich für den Tierwohlce­nt ausspricht – darunter auch die Deutsche Umwelthilf­e, Greenpeace und WWF.

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