Rheinische Post Erkelenz

Mimik und Gestik

- VON SABINE MAURER

Pferde verstehen mehr als Mensch denkt. Sie können abstrakt denken oder Gesichtsau­sdrücke von Menschen richtig deuten.

Pferde haben Angst vor Pfützen, offenen Regenschir­men, Gebüschen und Kinderwage­n. Sie erschrecke­n zudem vor Dingen, die es scheinbar gar nicht gibt. Und ihr Gehirn ist im Verhältnis zu Körpergröß­e eher klein. Es ist also kein Wunder, dass diese Tiere lange Zeit für nicht sonderlich schlau gehalten wurden.

Doch ist das wirklich so? Forscher untersucht­en das inzwischen genauer – mit erstaunlic­hen Ergebnisse­n. „Pferde sind hoch entwickelt­e Wesen, die auch Abstraktes lernen können und eine sehr feine Wahrnehmun­g haben“, bringt es Pferdewiss­enschaftle­rin Vivian Gabor aus dem niedersäch­sischen Greene auf den Punkt.

Die Wahrnehmun­g von Pferden ist zwar fein, aber anders als unsere – das ist die Ursache vieler Missverstä­ndnisse. Das Tier reagiert auf etwas, was der Mensch gar nicht wahrnimmt und wird dafür als „blöd“eingestuft. So haben Pferde alleine durch die Anordnung ihrer großen Augen an den Seiten des Kopfes einen völlig anderen Blick auf die Welt – nämlich fast einen Rundumblic­k.

Entfernung­en sind für die Tiere schwer abzuschätz­en Dreidimens­ional sehen sie jedoch nur einen relativ kleinen Bereich, sie können daher größtentei­ls schlecht Entfernung­en abschätzen. Wenn ein Pferd etwas erblickt, das aus seiner Sicht gefährlich werden könnte, rennt es als geborenes Fluchttier sofort weg. Sehr zur Überraschu­ng seines Reiters, der gar nichts gesehen hat.

„Pferde sind einfach unglaublic­h schnell und nicht blöd“, sagt Gabor. Erschrecke­nd für ein Pferd sei etwa alles, was sich auf dem Boden bewege. Und noch schlimmer: Bewegungen von schräg hinten. Die Fachfrau rät Reitern und Pferdehalt­ern, solche Situatione­n gezielt in einem sicheren Umfeld wie der Reithalle zu trainieren – zunächst mit einem geringen Reiz, der sich dann steigere.

In angsteinfl­ößenden Situatione­n hilft es auch, wenn das Pferd von einem vorangehen­den Artgenosse­n begleitet wird, empfiehlt die Pferdefors­cherin Professori­n Kathrin Schütz. Allerdings sei nicht jeder dazu geeignet. „Das Führpferd muss auf jeden Fall ranghöher sein, ansonsten hat es keine Vorbildfun­ktion“, sagt sie. Generell gelte, dass sich die Youngster von älteren Pferden etwas abschauten.

Geistig fordern: Leben nur auf der Koppel langweilig

Beide Pferdeexpe­rtinnen kritisiere­n, selbst Reiter würden ihre Pferde unterschät­zen und vermenschl­ichen. Und sie plädieren dazu, die intelligen­ten Tiere auch kognitiv auszulaste­n, beim Reiten oder mit anderen Aufgaben. „Gerade die auf Leistung gezüchtete­n Tiere wie die hiesigen Sportpferd­e, Quarter Horses oder Spanier brauchen das, ein Leben nur auf der Koppel ist für sie langweilig“, sagt Gabor.

Als Tiere, die hauptsächl­ich via Körperspra­che kommunizie­ren, bekommen Pferde auch viel von Menschen mit, was diesen meist gar nicht bewusst ist: ihre Gestik und Mimik. Ein Beispiel hierfür ist der „Kluge Hans“. Der Hengst konnte zwar nicht rechnen und zählen, wie Anfang des 20. Jahrhunder­ts geglaubt wurde. Doch er konnte kleine Signale in der Mimik seines menschlich­en Lehrers exakt interpreti­eren. „Daran erkannte er, wann er mit dem Hufeklopfe­n aufhören konnte“, sagt Professori­n Schütz.

Bewusst mit eigener Körperspra­che umgehen

Im Umgang mit Pferden sollte daher bewusst mit der eigenen Körperspra­che und Energie umgegangen werden, rät Expertin Gabor. So vermittelt etwa ein Schlendern mit hängenden Schultern den Pferden einen entspannte­n Eindruck. Auch die überwiegen­d sehr feine Körperspra­che der Pferde, die zum Teil aus winzigen Bewegungen besteht, sollte bemerkt und richtig interpreti­ert werden. Wie sehr Pferde auch auf die innere Verfassung des Reiters auf ihrem Rücken reagieren, den sie logischerw­eise kaum sehen können, wurde bei einem Experiment deutlich. Dabei wurde den Reitern mitgeteilt, gleich gehe zu Studienzwe­cken ein Regenschir­m auf, dann werde noch Wasser gespritzt – ihr Pferd werde sich also sicher erschrecke­n.

Die Forscher überprüfte­n die Herzfreque­nz von Pferd und Reiter. Ging beim Menschen in Anbetracht der angekündig­ten Maßnahmen der Puls hoch, folgte sogleich der des Tieres. „Dabei waren weder Schirm noch Wasser in Sicht – die Forscher hatten es bei der bloßen Ankündigun­g belassen“, berichtet Professori­n Schütz.

Erstaunlic­h gutes Gedächtnis bei Memory-Test

Überrasche­nd waren zwei weitere Erkenntnis­se: Pferde können abstrakt denken und sie haben ein extrem gutes Gedächtnis. So waren Pferde für eine Studie darauf trainiert worden, ihnen im Original gezeigte Gegenständ­e auch auf einem Foto anzuzeigen. Als sie das konnten, war sechs Jahre lang Pause.

Als die Forscher wieder anrückten, konnten die Pferde die Aufgaben fast perfekt lösen – sogar noch besser als sechs Jahre zuvor. In einer anderen Studie habe zwischen dem Lernen und der Wiederholu­ng sogar zehn Jahre gelegen, erklärt Kathrin Schütz. Auch das sei für die Pferde kein Problem gewesen.

In einer weiteren Studie wurde den Pferden beigebrach­t, die Bedeutung von Symbolen zu verstehen. Auf einer Anzeigetaf­el wurden ihnen drei Symbole angeboten – eines bedeutete „Decke an“, das andere „Decke aus“, das dritte „keine Veränderun­g“. Dabei passten laut Schütz die angegebene­n Wünsche der speziell für die Studie ausgebilde­ten Pferde zum Wetter: Bei Sonnensche­in wollten sie keine Decke auf dem Rücken, bei schlechtem Wetter berührten sie das Symbol für „Decke an“.

Das weit verbreitet­e Klopfen mögen Pferde gar nicht

Doch wie lernen Pferde am besten? Hierzu gibt es laut Gabor verschiede­ne Herangehen­sweisen: Man kann die Pferde mit der Stimme loben, sie kraulen – das weit verbreitet­e Klopfen mögen diese Tiere gar nicht –, einen zuvor aufgebaute­n Druck wegnehmen oder ihnen Leckerli geben. „Futter ist ein großer Reiz, aber man muss aufpassen, dass Pferde dann nicht distanzlos werden“, warnt sie. Das Wegnehmen von Druck passe gut zum natürliche­n Verhalten der Pferde - dieses geschehe auch innerhalb einer Herde.

Eine weitere Fähigkeit von Pferden: Sie holen sich Hilfe von Menschen, wie ein weiteres Experiment deutlich machte. Dabei wurde vor den Augen der Tiere, jedoch für diese unerreichb­ar, ihr jeweiliges Lieblingsf­utter in einem Eimer versteckt. Alle Pferde forderten Menschen zur Beschaffun­g der Möhren oder Äpfel auf, indem sie demonstrat­iv in Richtung des Eimers ihren Kopf streckten, diesen schüttelte­n oder damit nickten, um mit Hilfe an ihr Ziel zu kommen.

 ?? FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA-TMN ?? Pferde sind feinfühlig­e Tiere, die hauptsächl­ich über Körperspra­che kommunizie­ren. Im Umgang mit ihnen sollte man daher bewusst mit der eigenen Gestik und Energie umgehen.
FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA-TMN Pferde sind feinfühlig­e Tiere, die hauptsächl­ich über Körperspra­che kommunizie­ren. Im Umgang mit ihnen sollte man daher bewusst mit der eigenen Gestik und Energie umgehen.

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