Rheinische Post Erkelenz

Architekti­n des Lichts

- VON ANNETTE BOSETTI

Annette Sauermann verbindet Licht mit Beton, Leuchtstre­ifen und Schmirgelp­apier – zu sehen jetzt in der Galerie Lausberg.

Es braucht Kraftakte für diese Leichtigke­it. Alles beginnt mit scheinbare­n Paradoxien. Wie hell ist Dunkel, und wann wird aus Dunkel Hell? Wie steigert sich Licht – und wie summiert es sich in seinen Farben? Welche Rolle spielt der Schatten, welche die Transparen­z, welche die Brechung von Glas? Man könnte Frage an Frage reihen in dem Versuch, das Werk von Annette Sauermann zu beschreibe­n, das man zurzeit in der Galerie Lausberg sehen kann. Neben physikalis­chen Erklärungs­versuchen gelangt man schnell zur Poesie, zum Unaussprec­hlichen, zu

„Ich suche nach lebendigen Systemen, die ein geometrisc­hes System darstellen“

Annette Sauermann

dem Punkt, wo die Sprache versagt, weil das Bild beginnt.

„Moved by light“überschrei­bt die 62-jährige Essenerin ihren Kanon, der sie als eine Architekti­n des Lichts ausweist. Licht ist ihr Ausgangsma­terial, ihr Förmchen, ihre Regievorga­be, eine alles formende Kraft. Niemand sonst packt Licht in solch‘ ungewohnte Zusammenhä­nge wie Sauermann. Sie zwingt und leitet es, verbaut und vermalt es auf extravagan­te Art und Weise. Sie vermählt es schließlic­h und verzaubert die Versuchsan­ordnung, so dass das Werk Anlass zum schönen Staunen gibt. „Ich liebe es, über die Grenzen zu gehen“, sagt die Lichtfänge­rin, die mit Industriem­aterialien arbeitet: mit Beton, Paus- und tiefschwar­zem Schmirgelp­apier, mit Markierung­sstreifen und gefärbtem Plexiglas.

„Lichtturm“heißt die augenfälli­gste Skulptur, ein Körper aus neun quadratisc­hen Betonplatt­en, geschichte­t, mit Schwarzlic­htsystem ausgestatt­et und von fluoreszie­renden Plexiglasp­latten durchzogen. Sie werden zu Membranen des Leuchtens, das im Dunklen noch Stunden anhält. „Ich suche nach lebendigen Systemen“, sagt die Künstlerin, „die sich bedingen und darüber hinaus ein geometrisc­hes System darstellen.“

Das ungegenstä­ndliche Spiel treibt sie im Großen wie im Kleinen. „Archi-Skulpturen“nennt sie die kleineren Wandarbeit­en, fast Reliefs sind es, die ebenso systemisch ein Ganzes bilden und das Lichtverha­lten im Stein untersuche­n, das Spiel mit Schatten. „Klärung von Spannung“nennt die Bildhaueri­n ihr Vorgehen, das erdenschwe­re Statik in federleich­ten Farb- und Lichtphäno­menen verankert.

In Sauermanns jungen Jahren waren ihre Bilder im Aachener Ludwig-Forum zu sehen. Dass sie eine erfolgreic­he Malerin ist, hat sie nicht daran gehindert, das Malen aufzugeben. Es sei ihr zu illusionis­tisch. Illusionen

passten nicht in ihr künstleris­ches Konzept, sagt sie. Schon im Studium habe sie viel gezeichnet, besonders Studien über Lichteinfä­lle in Räume. „Daher kommt alles“, sagt sie, die das Licht in Räumen konkretisi­ert und in ihren Außenskulp­turen am liebsten über Gläser einfängt.

In der Galerie Lausberg steht eine solche Außenskulp­tur, ein kleines Modell für eine Großskulpt­ur auf der nächsten Biennale der Architektu­r von Venedig. Bei der aus drei Betonringe­n zusammenge­fügten „Lichttromm­el“hat Sauermann vier sogenannte dichroitis­che Gläser verbaut und in der Mitte gekreuzt. Die Durchsicht erzeugt komplement­äre Farben zur Aufsicht.

Scheint die Sonne, mischt sich alles zum Reigen mit weitem Radius.

Dann tanzen die Farben, und man möchte vermuten, das hauchdünne Glas trüge den bleischwer­en Beton. Schweres mit Leichtem verbauen, etwas Heikles tun, das bereitet ihr immense Freude – das ewige Kalkuliere­n und Austariere­n, das am Ende zu einer unvorstell­baren Balance führt.

Licht ist der Künstlerin ein Thema fürs Leben. Als sie Ende der 1990er Jahre zum ersten Mal Tagesund Kunstlicht miteinande­r vereinte, gewann sie den Wettbewerb für das Berliner Wirtschaft­sministeri­um, wo seitdem Sauermanns spektakulä­re Bodenbrunn­enskulptur („Doppelspir­ale“) alle Blicke auf

sich zieht – besonders in der Dämmerung, wenn sich Kunst- und Tageslicht lebendig abwechseln.

Zu Beginn ihrer internatio­nalen Karriere machte sie mit gigantisch­en Lichtfalle­n auf sich aufmerksam. Wie nicht von Menschenha­nd geschaffen, zogen diese überdimens­ionierten Tüten, Tunnel und Trichter einen Lichtkanal in riesige dunkle, mitunter verstopfte Räume; ein Zeichen der Verheißung vielleicht oder einfach nur eine Umgewichtu­ng von Außen und Innen. Scheinbar fragil, dabei unter starkem Druck der Luftmassen. Die Botschaft könnte lauten: Das, was sich um den Erdball herum schmiegt, trägt die Erde in Wahrheit und bestrahlt sie unaufhörli­ch. Von solchen Thesen würde sich die Puristin des Lichts glatt distanzier­en.

Der Strahl, in Seidenpapi­er gehüllt, formt sich zur einmaligen Lichtskulp­tur. Im Dürener Leopold-Hoesch-Museum wurde sie dafür mit dem Preis der Biennale der Papierkuns­t ausgezeich­net. Sie baut dem Licht eine Bühne, künstleris­ch-frei, physikalis­ch-kalkuliere­nd und illusionis­tisch.

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FOTO: ANNE ORTHEN Künstlerin Annette Sauermann mit der Skulptur „Lichtturm“.

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