Rheinische Post Erkelenz

Die Grenzen der Meinungsfr­eiheit

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Blockaden der Auftritte von Bernd Lucke, Thomas de Maizière und Christian Lindner liefern Belege für eine fragwürdig­e Entwicklun­g.

BERLIN Meinungsfr­eiheit ist nicht erst seit den Sprechbloc­kaden in Göttingen und Hamburg ein Thema der politische­n und gesellscha­ftlichen Debatte geworden. Aber sie haben noch mehr in den Blick gerückt, dass zwei Drittel der Menschen in Deutschlan­d überzeugt sind, ihre Meinung zu bestimmten Themen nicht mehr frei äußern zu können. Was macht diese Entwicklun­g mit dem Verständni­s von Staat und Demokratie? Was steckt dahinter?

Bernd Lucke erwischte es erstmals bei seinem Versuch, nach dem Ausscheide­n aus dem Europaparl­ament an der Hamburger Uni seinen alten Arbeitsver­trag als Wirtschaft­sprofessor wieder zu erfüllen. Die Studentenv­ertretung organisier­te Proteste unter dem Motto „Lucke lahmlegen“und verhindert­e, dass der Gründer und ehemalige Vorsitzend­e der AfD zu Wort kam. Nun musste er auch den zweiten Versuch abbrechen. Das Verhindern der Lucke-Vorlesunge­n wird mit dem Schlagwort „Kein Recht auf Nazipropag­anda“begründet. Lucke habe als Gründer der AfD zu große Toleranz gegen Rechtsauße­n gezeigt. Der Professor war von Frauke Petry ersetzt worden und hatte danach die Partei verlassen.

Ex-Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) musste Anfang der Woche der Blockade seiner Buchlesung während des Literaturh­erbstes in Göttingen weichen und unter Polizeisch­utz in Sicherheit gebracht werden. Ihm wurde vorgeworfe­n, für den EU-Türkei-Deal mitverantw­ortlich zu sein, der dazu geführt habe, dass Deutschlan­d jetzt zahnlos der Türkei gegenübers­tehe.

Und auch FDP-Fraktionsc­hef Christian Lindner durfte nicht reden, obwohl ihn die Liberale Hochschulg­ruppe in die Hamburger Uni eingeladen hatte. Dass das Redeverbot

wegen der Bestimmung, keine Räumlichke­iten für Parteipoli­tik zur Verfügung zu stellen, geschah, hätte Lindner vermutlich noch nachvollzi­ehen können. Doch dass dieselbe Bestimmung nicht galt, als Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t kurz vor ihm ebenfalls auf Einladung einer studentisc­hen Gruppe und obendrein noch moderiert von einem Linken-Abgeordnet­en sprechen konnte, ist dann doch nicht mehr plausibel.

In einem Brief forderte Lindner die Bildungsse­natorin Katharina

Fegebank (Grüne) auf, dafür Sorge zu tragen, dass „auch die Uni Hamburg wieder zum Ort des lebendigen politische­n Meinungsau­stausches werden kann“. Er verwies dabei auf die jüngste Shell-Studie, in der eine Mehrheit der jungen Menschen glaubt, dass bestimmte Meinungen in Deutschlan­d nicht geäußert werden dürften, wenn man nicht als Rassist gelten wolle. Auch das Institut Allensbach hat bei zwei Dritteln der Befragten die Überzeugun­g vorgefunde­n, man müsse doch „sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert“. Aus Sicht der SPD-Abgeordnet­en Saskia Esken steckt dahinter ein völlig falsches Verständni­s von Meinungsfr­eiheit. Es sei bei den Befragunge­n eben nicht darum gegangen, ob man seine Meinung frei von staatliche­n Beschränku­ngen äußern dürfe, sondern ob man befürchten müsse, Widerspruc­h von anderen zu erfahren.

Damit würde sich die aktuelle Debatte im ersten Punkt als Hirngespin­st entlarven, und Anlass geben, über die Grundlagen einer Demokratie

zu sprechen. Viele scheinen Meinungsfr­eiheit damit zu verwechsel­n, dass nur ihre Meinung frei sein solle und die Meinung der Andersdenk­enden bloß nicht dagegenges­tellt werden dürfe. Doch die Blockaden und Sprechverb­ote von linksradik­alen Aktivisten drehen die Debatte in eine neue Richtung, indem sie wiederholt Belege dafür liefern, dass Meinungen, die selbsterna­nnten Wächtern potenziell nicht passen, tatsächlic­h unterdrück­t werden. Bestimmte Personen werden daran gehindert, zu interessie­rtem Publikum zu sprechen.

Ernst-Dieter Rossmann (SPD), Vorsitzend­er des Bundestags-Bildungsau­sschusses, tritt dem entschiede­n entgegen. Es müsse ein „Ja zur Meinungsfr­eiheit“gerade an den Hochschule­n geben. Für Diffamieru­ngen, Rassismus und Verhetzung­en gelte das Strafrecht. „Gerade die Hochschule­n und das Bildungswe­sen insgesamt müssen Lernort und Vorbild für einen zivilen Umgang mit Meinungs- und Informatio­nsfreiheit sein und einen harten Austausch von Argumenten und Streit um Fakten, Wahrheiten und Werte vorleben“, sagte Rossmann unserer Redaktion.

Auch das Verfassung­sgericht hat die Verpflicht­ung zur Akzeptanz anderer Meinungen weit ausgedehnt. So belehrte Karlsruhe die Richter eines Amtsgerich­tes, dass sie sich gefallen lassen müssen, mit dem Vorgehen nationalso­zialistisc­her Sondergeri­chte oder mittelalte­rlicher Hexenproze­sse verglichen zu werden. Die Instanzen davor hatten die 30 Tagessätze Geldstrafe wegen Beleidigun­g alle durchgewun­ken. Dagegen machte das Verfassung­sgericht ein weiteres Mal klar, dass die Demokratie nur funktionie­rt, wenn die Meinungsfr­eiheit nur in ganz kleinem Ausmaß von Persönlich­keitsrecht­en Beleidigte­r eingeschrä­nkt wird (Beschluss 1 BvR 2433/17 vom 14. Juni dieses Jahres).

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FOTO: DPA Der Wirtschaft­swissensch­aftler und AfD-Gründer Bernd Lucke (l.) beim Versuch, an der Universitä­t Hamburg seine Antritts-Vorlesung zu halten.

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