„Flächentarif überfordert Firmen“
Gesamtmetall wirft der IG Metall vor, den Tarifvertrag überladen zu haben. Arbeitgebervertreter Rainer Dulger will die Vereinbarung wieder aufschnüren und entschlacken – eine Kampfansage an den Sozialpartner.
DÜSSELDORF Die Bombe lies Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“platzen: „Wenn alle Unternehmen die Tarifbindung verlassen, kann die IG Metall zusehen, wie sie sich im Häuserkampf durchschlägt“, drohte der Unternehmer aus Heidelberg. Dulger ist für seine markigen Sprüche bekannt. Ob nun die Regierung, die Opposition oder eben die IG Metall – sie alle bekommen regelmäßig seine scharfzüngige Kritik zu spüren. Doch die jüngsten Äußerungen sind von neuer Qualität, es handelt sich um eine Kampfansage an den Sozialpartner.
Flankiert wurden sie nämlich von der Veröffentlichung eines „Tarifpolitischen Leitbilds“. Und darin heißt es, der Verband setze sich „für einen einfacheren, schlankeren, flexibleren und damit attraktiveren Flächentarifvertrag ein“. Dieser müsse wieder Mindestbedingungen festlegen. Ein dauerhaftes „Höher, Schneller, Weiter“müsse gestoppt werden. Dulger warnte, ansonsten gingen weitere Firmen aus der Tarifbindung heraus.
Die IG Metall wies Dulgers Kritik zurück. „Die Tarifautonomie und die Flächentarifverträge sind die Eckpfeiler unseres seit Jahrzehnten erfolgreichen Wirtschaftsstandorts“, sagte eine Sprecherin. „Davon profitieren Unternehmen wie Beschäftigte gleichermaßen. Dies einseitig infrage zu stellen, schadet allen.“Im Übrigen würden Tarifverträge bekanntlich von beiden Verhandlungspartnern unterschrieben. Ein Sprecher des NRW-Bezirks ergänzte, die Herausforderungen veränderter Arbeitswelten – durch Digitalisierung und andere Transformationsprozesse – erforderten ganz neue Gestaltungslösungen, nicht aber ein Ende von Flächentarifverträgen.
Dass beide Seiten zuletzt gleichermaßen vom Flächentarifvertrag profitiert haben, bezweifelt Dulger. Tatsächlich hat die IG Metall gestützt durch die lang anhaltende gute Konjunktur eine Reihe von Verbesserungen für die Beschäftigten durchgesetzt. So können diese seit dem jüngsten Abschluss zwischen acht zusätzlichen freien Tagen und einer Sonderzahlung von 27,5 Prozent ihres Brutto-Montaslohns wählen. Und das wohlgemerkt zusätzlich zu einer stattlichen Lohnsteigerung von 4,3 Prozent. „Genau dieses Ergebnis hat dazu geführt, dass einige Mittelständer die Mitgliedschaft bei uns gekündigt haben“, sagte Dulger.
Auch Hagen Lesch, Tarifexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW ), hält Dulgers Vorwürfe für durchaus berechtigt. „Bei einer großangelegten Befragung des IW wurde deutlich: Unternehmen im Flächentarifvertrag haben große Schwierigkeiten mit den Entgelten insgesamt, den Entgelten für einfache Tätigkeiten sowie den Regelungen zur Arbeitszeit.“Dort, wo es Haustarifverträge gebe, seien die Regelungen zu diesen Punkten deutlich positiver bewertet worden. „Haustarife gehen offenbar sehr viel stärker auf die Belange der Unternehmen ein.“
Lesch sagte, die IG Metall habe mit ihrem letzten Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie bei den Beschäftigten hohe Erwartungen geweckt, die dann auch umgesetzt wurden und vielen Betrieben aufstoßen. „In der Kommunikation hat die Gewerkschaft nämlich den Fakt unter den Tisch fallen lassen, dass die Arbeitszeitreduzierung laut Tarifvertrag nur dann umgesetzt werden kann, wenn das wegfallenden Arbeitsvolumen von der übrigen Belegschaft ausgeglichen werden kann. Um den Betriebsfrieden zu wahren, haben viele Unternehmer der Reduzierung allerdings auch ohne Ausgleich zugestimmt.“Die IG Metall erwecke mit diesem Verhalten den Eindruck, als seien ihr die Betriebsinteressen herzlich egal. „Offenbar will die Gewerkschaft nicht begreifen, dass es bei der Tarifbindung fünf vor zwölf ist. Sie hat den Flächentarifvertrag – auch mit den neuen Arbeitszeitregelungen – derart überladen, dass die Komplexität immer mehr Unternehmen abschreckt“, sagt Lesch.