Als der Wagen nicht kam
Da die meisten Büros des Wehrmachtführungsstabes ausgebrannt waren und wohl weitere Angriffe auf diese Wehrmachthochburg befürchtet wurden, übersiedelte der Stab in die Unteroffizierschule Eiche bei Potsdam, die nicht weit vom Neuen Palais einsam im Grünen lag und dann auch keinerlei Angriff erlitten hat. Dort habe ich den Rest meiner Wehrmachtzeit verbracht.
In Eiche übernahm an Stelle des an die Front versetzten Oberst Ulrich die Leitung der Standortstaffel des Wehrmachtführungsstabes der Generalstabsoberst Meichsner, mit dem ich eine sehr angenehme Zusammenarbeit hatte. Im Herbst 1943 wurde mir mein bisheriges Arbeitsgebiet weggenommen und in die Hand zuverlässiger Wehrmachtbeamter gegeben. Das Innenministerium hatte gemerkt, dass manche lästige Dinge im Bereich der Zusammenarbeit mit Chef OKW auf mein Konto zu buchen waren. Man hatte daher bei Warlimont unter der Hand Schritte gegen mich getan, die sofort Erfolg hatten, da dieser keine Reibung mit der Partei haben wollte. Ich wurde von da ab auf dem eigentlichen, politisch harmlosen Gebiet der Standortstaffel beschäftigt, der Bewirtschaftung von Menschen und Material. Hierbei hatte ich Anfang Juli 1944 ein amüsantes Erlebnis. Mussolini hatte nach seiner romantischen Befreiung eine neue Regierung für das in deutscher Hand verbliebene kleine norditalienische Restgebiet gebildet. Hitler versprach ihm, dass er aus den in deutsche Gefangenenlager verbrachten Italienern drei neue italienische Divisionen aufstellen dürfe, unter Hergabe des hierfür erforderlichen
Materials aus deutschen Beständen. Mussolini legte hierauf großen Wert, damit seine Scheinregierung ein etwas besseres äußeres Ansehen durch diese eigene italienische Streitmacht erhielte.
In Wirklichkeit wollte Hitler sein Versprechen nicht erfüllen wegen der eigenen unsagbar großen Materialverknappung und weil niemand wissen konnte, ob diese neuen, zwar sorgfältig unter faschistischen Gesichtspunkten ausgesuchten Truppen nicht doch auf die Seite des Königs überwechseln würden. Aus denselben Gründen war der Plan bei der Wehrmacht nicht beliebt. Unter allen erdenklichen Vorwänden und Machenschaften wurde daher die Vollziehung des Versprechens hinausgezögert. Der italienische Militärbevollmächtigte in Berlin mahnte immer wieder vergebens und verlangte schließlich eine mündliche Erörterung der Fragen. Meichsner konnte sich dem ohne Verlust des Gesichts nicht entziehen und vereinbarte eine Besprechung in Eiche. Die Sache war ihm höchst zuwider, da er als anständiger Soldat die italienischen Bundesgenossen in ihrer Not nicht anlügen wollte, anderseits aber ihre Forderungen nicht erfüllen konnte. Am Abend vor der vereinbarten Besprechung fuhr er daher unter dem Vorwand einer plötzlichen Abberufung in das Führerhauptquartier und beauftragte mich, den italienischen Militärbevollmächtigten General Morera zu empfangen und hinhaltend mit ihm zu verhandeln. Als der General mit zwei Begleitern in mein Zimmer geführt wurde, waren wir beide gleicherweise verdutzt. Vor mir stand der Mann, der gut zwanzig Jahre vorher in Rybnik während meiner Landratszeit als Leutnant Adjutant des Kreiskontrolleurs Marchese Bernezzo gewesen und inzwischen zum Generalleutnant aufgerückt war. Seine schwarzen italienischen Locken waren leicht angegraut, das Gesicht etwas verfältelt, aber sonst war es derselbe nette „tenente“von früher, der auch mich trotz der entsprechenden Veränderungen sofort erkannte. Wir sprachen, wie von früher gewohnt, französisch, und er machte mich mit seinen Begleitern bekannt. Der eine, ein großer korpulenter Mann, war ein Sohn Mussolinis, der diesem weder äußerlich noch hinsichtlich der persönlichen Wirkung glich. Anscheinend war er mitgekommen, um den italienischen Wünschen durch seinen Namen Nachdruck zu verleihen. Es ergab sich also eine doppelt peinliche Lage für mich, als ich den Besuchern eröffnen musste, dass der Oberst Meichsner plötzlich dringendst in das Führerhauptquartier bestellt worden sei und sie daher zunächst mit mir vorlieb nehmen müssten. Morera hatte auf Grund seiner Klugheit, seines italienischen Einfühlungsvermögens und seiner früheren Kenntnis meiner Person sofort herausgespürt, dass ich kein Hitleranhänger sei. Er flüsterte mir also zu: „Zunächst werden wir uns jetzt formell über die Geschichte unterhalten und nachher sprechen wir uns unter vier Augen.“Die italienischen Beschwerden wurden dann eingehend erörtert, und ich versprach entsprechend den Weisungen Meichsners bestmögliche Erfüllung der Wünsche, tunliche Beseitigung der Schwierigkeiten und einen baldigen Gegenbesuch Meichsners bei Morera. Dann entließ Morera seine beiden Begleiter mit dem Hinweis, er wolle mit mir alte Erinnerungen austauschen.
Als sie gegangen waren, sprach er offen ohne jede Hemmung. Er wisse natürlich auch ohne die vorgeschobene Reise Meichsners, dass die italienischen Forderungen nicht erfüllt werden würden. Aus Pflichtgefühl und Anstand Mussolini gegenüber müsse er aber die Erfüllung der Versprechungen fordern, und er habe den Sohn Mussolinis mitgebracht, damit dieser wisse, dass er sich bestens um die Erfüllung bemühe. Im Übrigen sei es ja völlig belanglos, ob die italienischen Divisionen aufgestellt würden oder nicht, denn das Spiel sei für Mussolini wie für Hitler gleicherweise verloren. Das gelte auch für sein persönliches Geschick. Die Lage der Monza-Regierung in Norditalien sei so unsicher, dass er seine Familie nach Deutschland geholt und in dem Hotel am Müggelsee untergebracht habe. Als ich ihn fragte, weshalb er denn bei Mussolini geblieben und nicht auf die Seite des Königs getreten sei, begründete er das damit, dass er an Mussolini und seine Aufgabe geglaubt habe und ihm, der ihn zum General gemacht, jetzt im Unglück treu bleiben müsse. Dasselbe Lied, dasselbe Leid wie bei so vielen deutschen Offizieren. Ich schilderte ihm dann meine Ansichten über Hitler und die Lage. Er erwiderte, das habe er bei mir nicht anders erwartet, und er sei ganz sicher darüber geworden, als er die Statue der Muttergottes mit einem Blumenstrauß davor in meinem Zimmer gesehen habe, die ich der Bomben halber nach Eiche geborgen hatte. Die Katholizität hat eben ihr eigenes Vokabular.