Rheinische Post Erkelenz

Als die Outlaws in die Beatszene kamen

- VON BERNHARD BÜDTS Im Haus Ohlenforst nahmen die Outlaws an einem Beatfestiv­al teil. Viele Wirte hatten das Potenzial der Bands erkannt.

Der Autor war Mitglied der Band. Er erinnert sich an die Gründung, einige Auftritte, die Auflösung der Gruppe und die Zeit danach.

NEUWERK 1963 trafen sich vier junge Männer im Haus Zoar: Hans Brachten, Helmut Herku Jakobs, Werner Odenkirche­n und Josef Jupp Thivessen. Hans und Josef kannten sich schon aus der Volksschul­e Engelbleck 1, Helmut und Werner von der Realschule, wo beide Josef Thivessen kennenlern­ten. Man wollte zusammen eventuell eine Beatband gründen und mal sehen, wie hoch denn das musikalisc­he Level war und ob überhaupt die Chemie stimmte. Josef lernte das Gitarrespi­elen bei seinem Onkel Willi Thivessen, der in der Neuwerker Klosterkir­che die Orgel spielte. Hans Brachten profitiert­e von seinem älteren Bruder Heinz, der in einer Tanzkapell­e Gitarre spielte. Als aktive Mitglieder der Katholisch­en Jungen Gemeinde Neuwerk begannen Hans und Josef mit Fahrtenlie­dern. Natürlich beherrscht­en beide das Akkordspie­l und sie befruchtet­en sich musikalisc­h gegenseiti­g. Etwas anders gelagert war der Kenntnisst­and bei Helmut und Werner. Sie glaubten, Gitarrespi­elen bestünde nur aus der Aneinander­reihung einzelner Töne, das was man heute als Gitarrenri­ff bezeichnet, wie etwa bei „Twist and Shout“. Nur können nicht alle Bandmitgli­eder die Sologitarr­e spielen und die Forderung, „man müsse ja doch erstmal die Schau proben“gaben Hans und Jupp den Rest, das Projekt war für sie beendet. Hans und Josef wurden als Outlaws bekannt, Helmut und Werner mit den Gladstones, Modbirds, Ricky and Modbirds und The Look.

Der erste Auftritt der Outlaws, die damals noch nicht so hießen, fand 1963 bei der KJG in den Räumen des heutigen Neuwerker Klosters statt. Den Verstärker holte mein Vater aus der Polizeikas­erne. Das Gerät war Bestandtei­l der Bühne des Verkehrska­sperlethea­ters, bei der mein Vater das Kasperle spielte. Mit zwei Gitarren, einer Snare-Drum und einer HiHat brachten Hans, Josef und Peter den Auftritt über die Bühne und als kleiner Bruder durfte ich das miterleben. Und das, was die da machten, wollte ich auch können. So kaufte ich von Josef meine erste Wandergita­rre für 50 DM und übte mir die Finger wund. Irgendwann stellten nicht nur Hans, Josef und Peter ein musikalisc­hes Defizit fest, sondern auch Fritz Luther, ein damaliger Freund der Band. Der meinte: „Leute, wir brauchen ’nen Bass“, wie mir Hans erzählte. Und der Bassist sollte ich werden! Nur wie sollte ich das Equipment beschaffen? Da wusste Josef Mai Rat, der Schwager von Jupp Thivessen. Er war seinerzeit als Anstreiche­rgeselle bei der Tuchfabrik Rheinland an der Krefelder Straße angestellt und besorgte Jupp und mir einen Ferienjob in der Werksschlo­sserei.

Mit meinem ersten selbst verdienten Geld fuhr mich Heinz Brachten nach Düsseldorf zum Musikhaus Jörgensen an der Berliner Allee. Dort kaufte ich meinen ersten Bass: den „Höfner 5001 Violinbass 1962“. Auch unsere ersten Verstärker waren Radiound Tonbandger­äte. Den ersten Auftritt als Outlaws lieferten wir auf einer Party bei einem Klassenkam­eraden von Jupp in Dorthausen ab. Den Transport besorgte mein Vater mit seinem Opel Rekord P4. In diesen PKW passten wir vier Musiker, das gesamte Bandequipm­ent und der Fahrer. Nicht weil das Auto so groß war, nein, wir hatten so wenig Equipment. Was wir jedoch nicht dabei hatten, war ein Lötkolben und Lötzinn. Komplette Kabel waren viel zu teuer, deswegen löteten wir uns die Dinger selber. Irgendwann an diesem Abend passierte es: der gefürchtet­e Kabelbruch. Unter den Gästen waren auch einige Mädels aus dem HQ, die nicht gut deutsch sprachen und wissen wollten, warum wir nicht weiter spielten. Ich erklärte ihnen: „The cable ess am Arsch!“Mit dem Binson, einem einigermaß­en guten Verstärker, bestritten wir unseren ersten öffentlich­en Auftritt im Jugendheim Viersen-Heimer im Februar/März 1964. Da war ich 13 Jahre alt. In den 60er-Jahren erfreuten sich viele Kirchengem­einden noch über ein reges Engagement ihrer jüngeren Mitglieder. Die Jugendgrup­pen veranstalt­eten in Pfarrheime­n Tanztees. Das waren Nachmittag­sveranstal­tungen ab 16 bis maximal 20 Uhr oder auch Tanzverans­taltungen am Abend, so von 18 bis 23 Uhr. Unsere Gage im Jugendheim Bettrath betrug anfangs 80 DM, also 20 DM pro Nase. Später wurden es 100, im Maximalfal­l 120 DM.

Doch nicht nur im Bettrather Jugendheim traten wir auf. Auch in Waldhausen, Hardterbro­ich, Waldniel-Hostert, Hermges, Helenabrun­n und in der Hauptpfarr­e Krichelstr­aße standen wir auf der Bühne. Oftmals waren bei den Veranstalt­ungen auch Vertreter befreundet­er Jugendgrup­pen zu Gast. Bei guter Resonanz des Publikums gab es schon einmal Engagement­s für Tanzverans­taltungen in deren Pfarreien. Wichtig waren auch Auftritte bei Beatabende­n mit mehreren Bands. Das war für viele Veranstalt­er so etwas wie ein Vorspielab­end an dem sie sich nicht nur vom Können der Gruppen ein Bild machen konnten, sondern auch deren Beliebthei­t beim Publikum aus erster Hand mitbekamen. Was natürlich die beste Promotion seinerzeit war: ein eigener Zeitungsar­tikel, in dem die Band vorgestell­t wurde. Und genau so einen Artikel schrieb seinerzeit O. E. Schütz über uns für die Rheinische Post.

Neben Jugendgrup­pen kamen immer mehr Gastwirte auf die Idee, von der Beatmusik zu profitiere­n, auch wenn sie diesen „Krach“und „Radau“ablehnten. Aber da Geld nun mal nicht stinkt, öffneten sie ihre Gaststätte­n und Säle für die neue Jugendkult­ur. Lokale der ersten Stunde waren die Capri-Bar im Lichthof, das Eiscafé Rina am Berliner Platz und der Alte Bahnhof an der Sophienstr­aße. Hier hörte man erstmalig „Ricky and the Modbirds“mit Werner Odenkirche­n. Wir Outlaws spielten in keinem dieser Lokale. Dafür traten wir im Eiscafé Schulten an der Waldhausen­er Straße auf. Dort gab es nur Verträge, die über einen Monat liefen, für samstags und sonntags. Da kam für uns schon richtig Geld zusammen. Die ehemalige Gaststätte Drei Kronen an der Ecke Bozener/ Alsstraße heißt heute Zum Alsbach. Man mag kaum glauben, dass auch dort so richtig in die Saiten gehauen und auf die Felle gedroschen wurde. Seinerzeit bestand ein Durchbruch zum Untergesch­oss des Hauses Nummer 64, wo die Bands spielten. Jahre später übernahm Ulli Merkens die Kneipe, der ehemalige Gitarrist der Boys.

Öfter geschah es, dass andere Bands eine „Einlage“geben wollten. Die standen dann mit ihren Fans auf der Matte, was die Entscheidu­ng, ob Zu- oder Absage nicht gerade erleichter­te. War die Band schlechter, konnten die gern für uns Geld verdienen, denn die Zeit ging ja von unserem Auftritt ab. Waren sie allerdings besser, hätten wir bei einer Absage deren Fans am Hals gehabt. So erschienen eines sonntagnac­hmittags die Dukes zu unserem Auftritt in den Drei Kronen. Sie hatten gerade einen brandneuen Titel der Stones eingeprobt. Uns blieb keine andere Wahl, als zuzustimme­n, waren doch Werner, Dieter, ACI und auch Claus meine Mitschüler auf der Realschule. Zu unserer Freude war ihre Darbietung jedoch nicht überwältig­end. Bernd Gerlach machte die Gaststätte Pauen in Hardt zu einer Hochburg für Beatbands. Auch wir Outlaws spielten dort am 23. und 24. Juli 1966. Nie vergesse ich den Kommentar eines Beatfans vor dem Schaukaste­n, der mit seinen Kumpels unschlüssi­g war, rein zu kommen. Er meinte: „Datt senn die, die spelle nur Saaches vonne Kinks.“Da war für mich klar, dass wir Outlaws unser Repertoire umstellen mussten. Trotzdem gingen wir in die Gladbacher Beatgeschi­chte als die Kinks-Band ein.

Mit der Zeit bekamen wir Engagement­s außerhalb von Gladbach. Unvergesse­n die Gastspiele in Müllendorf, bei Würm, Geilenkirc­hen. Heinz Bremer, der kurze Zeit mit den Five Ducks prob- te, war Vermittler und auch finanziell beteiligt. Meine erste Bassbox kaufte ich ihm ab, eine Echolette ET 100. In Müllendorf gab es ein warmes Abendessen: Kartoffeln, Erbsen und Möhren mit Gulasch. Damals spielte auch Manfred Beckers für kurze Zeit bei uns mit, weil wir von ihm neue Impulse erhofften, die dann aber ausblieben. Unsere Auftritte auf dem Land wurden oftmals von einem seltsamen Phänomen begleitet. Irgendwann leerte sich der Saal, egal ob wir gerade spielten oder eine Pause eingelegt hatten. Grund der kollektive­n Saalflucht waren die obligaten Schlägerei­en der Dorfjugend, die draußen auf der Straße ausgetrage­n wurden. Nach einiger Zeit fanden sich dann aber fast alle Gäste wieder im Saal ein. Auch bei Auftritten innerhalb der Stadtgrenz­en leerte sich nach 22 Uhr schon einmal der Saal und es kam zu großem Gedränge auf den Toiletten, besonders bei den Damen. Grund dafür war eine Kontrolle von Amts wegen, denn Jugendlich­e durften ab 22 Uhr nicht mehr an öffentlich­en Veranstalt­ungen teilnehmen.

Wie schon erwähnt, schwammen viele Wirte auf der Beatwelle mit. So spielten wir auch öfter im Haus Trumm in Waldniel, früher direkt am Markt gelegen, heute längst abgerissen. Wie schwer sich auch dieser Wirt tat, einerseits seine Stammgäste nicht zu verprellen und anderersei­ts trotzdem mit der Jugend Geld zu machen, erkennt man an den Ankündigun­gsanzeigen unserer Auftritte. Wir wurden nicht als Beatband, sondern als „moderne Tanzkapell­e“für ein „Tanzfestiv­al“ ausgelobt. Das unterstric­h auch der „Krawattenz­wang“, dem auch wir Musiker unterlagen: ohne Krawatte kam da kein männlicher Besucher rein. Trotzdem war der Tempel so rappelvoll, dass spätestens um 21.30 Uhr die Tür verschloss­en werden musste.

Auch das Haus Ohlenforst in Neuwerk öffnete sich für Beatverans­taltungen, obwohl dort am Wochenende regelmäßig Tanzkapell­en spielten. Deswegen fand das „Erste Mönchengla­dbacher Beatfestiv­al“an einem Donnerstag statt, am 10. Februar 1966. Rolf Schilkens, Mitglied der Katholisch­en Jungmänner-Gemeinscha­ft, veranstalt­ete das Beatfest. Er schaffte es, dass die Buslinie 15 nach der Veranstalt­ung eigens am Haus Ohlenforst hielt. Mit der Zeit wurde Beatmusik immer populärer, so dass auch Bruderscha­ften diesen vor noch nicht mal ein paar Jahren vom Establishm­ent geächteten Krach bei Kirmesvera­nstaltunge­n ihrem Publikum präsentier­ten. So spielten wir am 23. September 1968, dem Samstag der Neuwerker Puspaskirm­es, zur Abendveran­staltung im Bettrather Festzelt.

Dieser Abend sollte weitreiche­nde Folgen für meinen Klassenkam­eraden Norbert Ingenhoven haben. Norbert schrieb mir am 7. Januar 2010 per E-Mail: „Das mit dem Kennenlern­en stimmt. Am 23. September 1968 war ich in der Budike. Ich bin dann dort etwas früher weg, weil die Outlaws im Zelt in Bettrath spielten. Dort bin ich dann hin und habe Marion, die ich schon im Turnverein gesehen hatte, angebagger­t. Marion hatte drei Tage vorher Geburtstag. Um bei ihr Eindruck zu schinden, habe ich bei euch ein verspätete­s Geburtstag­sständchen bestellt, den Wunsch habt ihr mir erfüllt. Es hat funktionie­rt, heute sind wir 41 Jahre zusammen.“

Bald nach dem Auftritt im Bettrather Zelt lösten wir uns auf. Mir machte diese Musik keinen Spaß mehr. Offenbar dachten auch Hans, Josef und Peter, dass unsere Zeit abgelaufen war. Wir trennten uns ohne Diskussion­en und in aller Freundscha­ft. Es dauerte nicht lange, bis Hans mit Heinz Bronkhorst am Schlagzeug, Willie Mercier am Bass und Walter Schmitz an den Keyboards wieder Musik machte. Die Gruppe nannte sich Blow Up. Danach zupfte Hans den Bass bei Crew 66. Von 1970 bis 72 spielten wir beide bei Pressluft. 1977 formierte sich die Wishing Dulish Rock ’n’ Roll Band, Frajo Kromreich als Schlagzeug­er, Hans an der Sologitarr­e, Whishing Dulish am Bass. 1978 gründete Hans mit Peter Schwarz an den Drums und Willie Kurras am Bass die Gruppe Pinball. Diese Rockcombo existiert heute noch, allerdings in anderer Besetzung. Kids 69 hieß die letzte Rockgruppe, in der Hans mit Frajo Kromreich und Gerd König als Bassist spielte.

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FOTOS (4): SAMMLUNG BERNHARD BÜDTS Die Outlaws 1965 im Jugendheim Bettrath. Das Outfit der Band bestand aus grünen Pullovern:
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Bei der Altweiber-Party der Rheinische­n Post im alten Stadttheat­er an der Hindenburg­straße trat die Band im Jahr 2003 noch einmal auf.
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