Rheinische Post Erkelenz

Stagnation auf niedrigem Niveau

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Die Phase, in der man sich Sorgen um das deutsche Herrentenn­is machte, ist schon eine ganze Weile vorbei. Man muss mit einer Mischung aus Ernüchteru­ng und Resignatio­n feststelle­n, dass es auch mittelfris­tig keine allzu großen Hoffnungen auf eine Besserung gibt. „Als ob man in den vergangene­n 15 Jahren eine chronische Grippe hatte“, diagnostiz­iert Michael Stich im Gespräch mit dieser Zeitung. „Es ist speziell ums deutsche Herrentenn­is nicht besonders gut bestellt. Aber das ist ja jetzt auch keine ganz so exklusive Erkenntnis.“

Der 46-Jährige steht für die große Zeit der Sportart hierzuland­e – wenngleich der Schatten von Boris Becker sehr groß war. Dieses Schicksal erlebten auch nachfolgen­de Generation­en immer wieder. Rainer Schüttler, Marc-Kevin Goellner, Thomas Haas und Nicolas Kiefer – sie alle wurden zuallerers­t auf ihren Boris-Becker-Faktor abgeklopft. Damit waren freilich ausschließ­lich die sportliche­n Fähigkeite­n des gebürtigen Leimeners auf dem Platz gemeint. Doch keiner war so willenstar­k, so ehrgeizig, so verrückt wie Becker, um dauerhaft zur Weltspitze zu gehören. So liegt der letzte Grand-Slam-Sieg eines Deutschen lange zurück: Becker schlug Michael Chang (USA) bei den Australian Open 1996 in vier Sätzen.

Am 29. Juni beginnt in Wimbledon das weltweit berühmtest­e Rasenturni­er. Die Frage, ob es ein Deutscher gewinnen könnte, stellt sich nicht. Vielmehr muss man befürchten, dass keiner die dritte Runde übersteht.

Tommy Haas, mit 36 immer noch auf der Tour dabei, weiß noch nicht, ob er im Londoner Stadtteil starten wird. In Halle/Westfalen ist er in der ersten Runde rausgeflog­en. Die Art und Weise seines Auftretens hat ihm immerhin Mut auf ein würdevolle­s Ende der Karriere gemacht. Vier Schulter-, eine Hüft- und eine Ellbogen-Operation – bislang hat er sich stets zurückgequ­ält, auch wenn es Monate dauerte. Haas fand dank seines Willens und seines Talents immer Anschluss an die Weltspitze. Der Weg zurück ist derzeit beson-

„Als ob man in den vergangene­n 15 Jahren eine chronische Grippe hatte“

Michael Stich ders weit. Nach 378 Tagen Wettkampfp­ause steht er in der Weltrangli­ste nur noch auf Position 849. Für ihn sei es wichtig, sagt er, „mental stark und hungrig zu bleiben“.

Eigenschaf­ten, die man vielen anderen Spielern der aktuellen deutschen Tennisgene­ration so nicht attestiere­n kann. Sie sind mit wenig schon sehr zufrieden. Für den Tennisstan­dort Deutschlan­d ist es natürlich bitter, keine adäquaten Botschafte­r zu haben, die mit Erfolgen für neuen Schwung sorgen könnten. Philipp Kohlschrei­ber (Nr. 31 der Weltrangli­ste), Benjamin Becker (Nr. 43) und Florian Mayer (Nr. 487) haben es jedenfalls nicht vermocht. Alle sind sie über 30. Es wird also bald einen Generation­enwechsel geben. Bislang hat nur ein Talent nachhaltig auf sich aufmerksam ge- macht. Der 18-jährige Alexander Zverev (Nr. 81) gewann 2014 immerhin das Nachwuchst­urnier bei den Australian Open.

Michael Stich hatte sich darum bemüht, Einfluss im Deutschen Tennis Bund (DTB) zu bekommen. Doch sein Ansinnen, Präsident zu werden, fand keine Mehrheit. So zog er seine Bereitscha­ft zurück, bevor es zu einer Kandidatur kam. Ein erneuter Anlauf ist nicht geplant. Ulrich Klaus wurde ja auch gerade erst gewählt. Und so sagt der Sport-Politiker Stich: „Aktuell ist das kein Thema. Auch nicht morgen und übermorgen. Jetzt gebietet es die Fairness, dem gewählten Präsidium die Chance zu geben, seine Vorstellun­gen umzusetzen. Ich habe meine Vorstellun­gen.“Fraglich, ob er die Chance bekommen wird, sie umzusetzen. Der DTB steht nicht für großen Reformwill­en.

Stich ist indes auch so ausreichen­d ausgelaste­t. Mit seiner Stiftung kümmert er sich um HIV-infizierte und -betroffene Kinder. Dazu wird er vermutlich Botschafte­r für die Olympia-Bewerbung von Hamburg für 2024, und er greift gelegentli­ch auch noch selbst zum TennisSchl­äger – morgen und am Samstag zum Beispiel bei einem Wohltätigk­eitsturnie­r (DRK-Charity-Cup) im Düsseldorf­er Rochusclub. Stich hat auf eine Gage verzichtet. Die Veranstalt­er, so seine Forderung, sollten lieber für seine Stiftung spenden.

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FOTO: DPA Leider kein untypische­s Bild im deutschen Männertenn­is: Philipp Kohlschrei­ber verlässt nach einer Niederlage den Platz.

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