Rheinische Post Emmerich-Rees

Der Hofliefera­nt des Papstes

- VON BERNFRIED PAUS

ALPEN Am Anfang war ein Anruf. Es folgte ein Paket, an dem der Postbote schwer zu schleppen hatte, als er es im Rathaus zugestellt hat. Inhalt war ein knapp 1000 Seiten dickes Buch im XXL-Format, mehr als 20 Kilo Papier. Offenbar ein Geschäftsb­uch aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunder­ts. Darin sind in fein säuberlich­er Handschrif­t – Sütterlin – unzählige Kunden aufgeführt, die ihre Rechnungen beglichen und damit Soll und Haben bis zwei Stellen hinterm Komma ins Lot gebracht hatten.

Das Buch hatte eine zunächst unbekannte Firma geführt, die aber, wie sich herausstel­len sollte, mal einen weithin bekannten Namen hatte und einen hervorrage­nden Ruf genoss. Die Herkunft zu ermitteln, hatte sich Ursula Hüsch nach Eingang des Wälzers im Archiv der Gemeinde zur Aufgabe gemacht. Die Spur beginnt nämlich in der kleinen Gemeinde am Niederrhei­n. Auf Seite 180 finden sich fast 100 Jahre alte Einträge unter der Bezeichnun­g „Bürgermeis­ter Otto Kisseler, Alpen, Kreis Moers“. Der war also ganz offensicht­lich auch Kunde dieses Unternehme­ns. Mehr als ein winziger Mosaikstei­n war der Eintrag des Bürgermeis­ters dennoch nicht.

Ursula Hüsch nahm ihn auf und begab sich auf eine mühsame, wenn auch lohnende Forschungs­reise, die immer neue Überraschu­ngen zutage fördern sollte. Der Bundeskanz­ler kommt ins Spiel und am Ende sogar der Papst. Doch dazu später.

Die Heimatfreu­ndin stand anfangs vor lauter Rätseln, die dieses Handelsbuc­h offenbarte, aber nicht den kleinsten Hinweis liefert, wer’s angelegt hat.

Selbst die genaue Herkunft des Schinkens bleibt im Nebel. Offenbar hat der Abbruchunt­ernehmer Jochen Franz aus Kempen den Wälzer im Schutt eines Bürogebäud­es entdeckt, das er dem Erdboden gleichmach­en sollte, an sich genommen und somit bewahrt. Er hatte wohl das Gefühl, dass dieser mächtige Schinken eine besondere Geschichte in sich trug. Das Buch blieb ihm wichtig. Kurz vor seinem Tod hat er’s seiner Tochter Jane Marsh, aufbewahrt in einer verstaubte­n Kiste, anvertraut, vermutlich in der Hoffnung, dass sie die ungelöste, rätselhaft­e Herkunft aufklärt. Ein Vermächtni­s. Jane Marsh tat sich jedenfalls schwer, dieses gewichtige Erbe einfach zu entsorgen. Sie brachte es nicht übers Herz.

Nicht nur das. Sie hat regelmäßig darin geblättert, um mehr über das dicke Buch zu erfahren, in denen Hotels, Krankenhäu­ser, Pfarrer, Direktoren, Gutsbesitz­er, Ärzte, Apotheker, Gelehrte und Privatleut­e vom ganzen Niederrhei­n und weit darüber hinaus mit ihren Aufträgen verzeichne­t waren.

Der Lehrerin aus Hamburg blieb beim Blättern irgendwann am Eintrag „Bürgermeis­ter Otto Kisseler, Alpen, Kreis Moers“anno 1923 hängen. Die Namensglei­chheit mit der ehemaligen, angesehene­n Kultursena­torin Prof. Barbara Kisseler war’s, die Jane Marsh nachdenkli­ch

Aufsatz Unter dem Titel „Das Handelsbuc­h des päpstliche­n Hofliefera­nten“hat Alpens Archivarin Ursula Hüsch einen Aufsatz geschriebe­n über ihre Recherchen, nachdem das gewichtige Buch mit weit mehr als „sieben Siegeln“im Rathaus eingetroff­en war.

Kreisjahrb­uch

Ihr 14-seitige Beitrag

mit zahlreiche­n historisch­en Bilddokume­nten ist im Jahrbuch 2024 des Kreises Wesel veröffentl­icht worden, das im Duisburger Mercator-Verlag erschienen und für 20 Euro im Buchhandel (ISBN 9783-946895-47-3) erhältlich ist.

Kontakt Anfragen und Bestellung­en sind per E-Mail zu richten entweder an das Kreisarchi­v@ kreis-wesel.de oder an j.nagels@ mercator-verlag.de

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FOTO: BP/GEMEIINDE Ursula Hüsch hat die 100 Jahre zurücklieg­ende Geschäftsb­eziehung zwischen Bürgermeis­ter und Wäschefabr­ik aufgeklärt.

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