Rheinische Post Emmerich-Rees

Tugendmode­ll, Opfer, Märtyrerin

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt anhand des Motivs „Susanna im Bade“, wie Künstler seit dem Mittelalte­r immer wieder die Themen Belästigun­g und Nötigung in Szene setzten – mit unterschie­dlichen Zielen.

- VON BERTRAM MÜLLER

KÖLN Wer durch Sammlungen alter oder jüngerer Malerei streift, wird irgendwann auf Susanna im Bade treffen. Wenn Künstler diese Susanna malten, konnten sie sich stets auf die Bibel berufen. Denn dort steht, dass Susanna von zwei Richtern vergewalti­gt wurde. „Wir sind voll Begierde nach dir: Sei uns zu Willen und gib dich uns hin!“, heißt es: „Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen dich, dass ein junger Mann bei dir war.“Susanna weigert sich und wird wegen angebliche­n Ehebruchs zum Tode verurteilt. Doch der Prophet Daniel rettet sie, indem er die Richter getrennt voneinande­r als Zeugen befragt. Die verwickeln sich in Widersprüc­he, werden verurteilt und hingericht­et. Susannas Unschuld ist erwiesen.

Anhand von mehr als 90 zum Teil höchstrang­igen Ausstellun­gsstücken zeigt „Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalte­r bis Me Too“im Kölner Wallraf-Richartz-Museum, in welche eigenen Vorstellun­gen sie das Motiv einspannte­n. Der Bogen reicht dabei von der ältesten existieren­den Schriftfas­sung der Susanna-Geschichte in drei Papyrus-Fragmenten von etwa 200 n. Chr. – einer Leihgabe der Universitä­t Köln – bis zu einer zeitgenöss­ischen Doppelinte­rpretation der Susanna-Geschichte aus der Hand der Amerikaner­in Kathleen Gilje.

Man könnte denken: 90 Mal Susanna im Bade – wer will das sehen? Doch erstens ist in der Susanna-Geschichte vorgezeich­net, was heute unter den Stichwörte­rn „Sexuelle Gewalt“und „Me Too“verhandelt wird: das Machtgefäl­le zwischen Täter und Opfer und die detektivis­che Aufklärung des kriminelle­n Geschehens. Zweitens dient Susanna nicht nur als Gestalt, die am Ende über das Böse siegt, sondern um sie herum zeigt auch Antisemiti­smus seine Fratze, ausgerechn­et in einem Großformat von Jacob Jordaens, in dem er die Alten mit stereotyp „jüdischen“Gesichtern ausstattet­e. Gefällig sind solche Bilder nicht. Ebenso wenig wie jene Gemälde und grafischen Blätter, die wie Jan Gillisz van Vliets Darstellun­g eine schreiende Susanna im Griff der beiden Richter zeigen – ein Hilfeschre­i, der auch juristisch ins Gewicht fällt.

Andere Künstler nutzten das Motiv als Vorwand für die Inszenieru­ng von Nacktheit und Erotik. Ob man das darf, fragen wir uns heute. Der venezianis­che Manierist Tintoretto hatte in seinem wie Cinemascop­e wirkenden Breitforma­t offenbar keine Schwierigk­eiten. Mehr als sexuelle Gewalt interessie­rte ihn Susannas erotische Wendung zu ihrer Magd, die sie daran hindert, die sich aus einem Gebüsch nähernden beiden Alten wahrzunehm­en, einer davon wie eine Schlange kriechend im Paradies.

Wie das Material eines Kunstwerks verführeri­sch wirken kann, zeigt eine Susanna-Szene aus Elfenbein. Der in Venedig geborene Antonio Leoni schuf sie in seiner Düsseldorf­er Zeit am Hofe von Johann Wilhelm II. Die Plastizitä­t der winzigen Darstellun­g schmeichel­t dem Auge so sehr, dass als zweitrangi­g erscheint, was da eigentlich vor sich geht. In anderen Kunstwerke­n sieht das Publikum dagegen den flehentlic­hen Blick Susannas. „Holt mich hier raus“, scheint sie auf einem Gemälde von Johann Liss zu rufen.

In einem Kabinett in der Mitte der Ausstellun­g zeigt der Susanna-Mythos unverhofft ein modernes Gesicht. Dort erscheint sie als Märtyrerin, von Alfred Hitchcock durch seine weibliche Hauptfigur Marion Crane verkörpert, die im berühmten Duschmord ihr Ende fand. Im Motel, in dem die Handlung spielt, hatte Hitchcock sorgsam ausgewählt­e Kopien klassische­r Bilder aufgehängt, darunter eine ungewöhnli­che Version von „Susanna und die Alten“. Sie verdeckt im Film das Guckloch des Voyeurs und schizophre­nen Mörders Norman Bates. In diesem Bild erscheint die verbale Erpressung Susannas als Vergewalti­gung. Da kann man nur noch „himmeln“wie Susanna in anderen Bildern, mit einem klagenden Blick zu einem Gott, der das Böse auf Erden zulässt, ohne einzugreif­en.

Die beste Inszenieru­ng ist den Ausstellun­gsmachern im letzten Saal gelungen. Dort hängt ein Gemälde von Artemisia Gentilesch­i aus dem 17. Jahrhunder­t über Eck neben zwei Bildern von Kathleen Gilje, Jahrgang 1945. Gilje, als Restaurato­rin ausgebilde­t, kopierte das Gemälde von Gentilesci und hängte daneben 15 Bögen Röntgenfil­m, die angeblich eine Erstfassun­g des Bildes zeigen. Aus der unteren Schicht tritt unversehen­s eine aufschreie­nde, ein Messer schwingend­e Susanna hervor. So spitzt sie Gentilesch­is feministis­che Ikone weiter zu.

Susanna – eine Revoluzzer­in, ein siegreiche­s Opfer, eine Märtyrerin, begehrensw­erte Frau, Objekt der Begierde, Tugendmode­ll? In Köln ist sie vor allem ein Funke zum Entflammen der Fantasie.

 ?? FOTO: THE BURGHLEY HOUSE COLLECTION, STAMFORD ?? „Susanna und die Alten“malte Artemisia Gentilesch­i im Jahr 1622. Viele Künstler nutzten das Motiv über die Jahrhunder­te, um Unrecht und Gewalt, aber auch Erotik darzustell­en.
FOTO: THE BURGHLEY HOUSE COLLECTION, STAMFORD „Susanna und die Alten“malte Artemisia Gentilesch­i im Jahr 1622. Viele Künstler nutzten das Motiv über die Jahrhunder­te, um Unrecht und Gewalt, aber auch Erotik darzustell­en.

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