Die Revolutionsgarde droht
Die mächtige iranische Elitetruppe fordert ein Ende der Proteste. Die aber gehen weiter, die Wut wächst.
TEHERAN/ISTANBUL Das iranische Regime will härter gegen die Proteste vorgehen, die seit mehr als sechs Wochen die Islamische Republik erschüttern. Die Elitetruppe der Revolutionsgarde, die anders als die Polizei bisher nicht gegen die landesweiten Demonstrationen eingeschritten ist, forderte ein sofortiges Ende der Kundgebungen. Regimegegner berichteten, in einigen Städten seien Scharfschützen auf Hausdächern stationiert worden. Die Demonstranten ließen sich jedoch nicht einschüchtern und gingen auch am Sonntag wieder auf die Straße: An mehreren Dutzend Universitäten protestierten Studenten gegen die Theokratie, wie Oppositionsvertreter mitteilten.
„Heute ist der letzte Tag der Unruhen“, warnte der Kommandant der Garde, Hossein Salami, am Samstag. Die Demonstranten sollten sich nicht zu Helfern von USA und Israel machen lassen, sagte er. Teheran macht ausländische Gegner für die Unruhen verantwortlich. „Geht nicht mehr auf die Straße“, sagte Salami. Die Revolutionsgarde mit ihren rund 250.000 Soldaten ist die mächtigste Militärmacht im Iran, untersteht direkt Revolutionsführer Ali Chamenei und versteht sich als Beschützerin des theokratischen Systems.
Der 83-jährige Chamenei lässt keine Bereitschaft erkennen, auf die Demonstranten zuzugehen. Proteste in früheren Jahren waren von der
Revolutionsgarde niedergeschlagen worden. Im Jahr 2019 erschossen Gardisten, Milizionäre und Polizisten bis zu 1500 Menschen, um Proteste gegen eine Benzinpreiserhöhung zu beenden.
Bei den derzeitigen Protesten hält sich die Garde bisher zurück und setzt lediglich ihre Freiwilligen-Miliz Bassidsch gegen die Demonstranten ein. Salamis Warnung und Äußerungen anderer Garde-Offiziere könnten aber bedeuten, dass die Zurückhaltung bald enden wird. Ein Offizier sagte staatlichen Medien, wenn die Demonstrationen weitergingen, könnte die Situation außer Kontrolle geraten. Bisher setzen Polizei und Bassidsch-Milizionäre vor allem Tränengas und Knüppel ein, um Kundgebungen zu zerstreuen; Menschenrechtler berichten aber auch über den Einsatz von Schusswaffen. Auch am Sonntag sollen Milizionäre
geschossen haben.
Salami sprach bei der Beisetzung von Opfern des Anschlages von Schiras im Süden des Landes, bei dem ein mutmaßlicher Anhänger des sogenannten Islamischen Staates am Mittwoch 15 Menschen getötet hatte. Die iranische Führung versucht seit Tagen, der Protestbewegung die Schuld für die Gewalttat von Schiras zuzuschieben. Dagegen beschuldigen einige Oppositionsvertreter das Regime, den Anschlag inszeniert zu haben, um eine gewaltsame Unterdrückung der Proteste zu rechtfertigen.
Am Wochenende stürmte die Polizei mehrere Wohnheime von Universitäten und nahm Studenten fest. Ein Gericht begann mit Strafprozessen gegen mehrere Hundert festgenommene Demonstranten. Auslöser für die Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die kurz nach der Festnahme durch die Moralpolizei am 16. September starb. Sie soll ihr Kopftuch nicht richtig getragen haben. Nach einer Zählung der Exil-Organisation Iran Human Rights sind seitdem bei Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten mehr als 250 Menschen ums Leben gekommen.
Trotzdem forderten Demonstranten auch am Sonntag den Sturz der Islamischen Republik. Studenten riefen Parolen gegen Revolutionsführer Chamenei und die BassidschMiliz. „Das Ziel ist das gesamte System“, skandierten Studenten einer Teheraner Universität. In einigen Clips war zu sehen, wie Demonstranten schiitischen Geistlichen die Turbane vom Kopf schlugen. Die Wut auf die Mullahs sei so groß, dass es für Geistliche gefährlich werde, in Turban und Robe auf die Straße zu gehen, schrieb der türkische IranExperte Arif Keskin auf Twitter.
Deutschland und die EU prüfen nun nach den Worten von Außenministerin Annalena Baerbock, ob die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation eingestuft werden können. In einem ARD-Interview wies die Grünen-Politikerin am Sonntag zugleich den Vorwurf der iranischen Regierung einer unerlaubten Einmischung zurück. „Das ist nicht der Fall. Wir unterstützen diejenigen, die für Freiheitsrechte, für Menschenrechte, für Bürgerrechte kämpfen, so wie wir das in unserem Land auch tagtäglich leben können“, sagte sie.