Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Revolution­sgarde droht

Die mächtige iranische Elitetrupp­e fordert ein Ende der Proteste. Die aber gehen weiter, die Wut wächst.

- VON THOMAS SEIBERT

TEHERAN/ISTANBUL Das iranische Regime will härter gegen die Proteste vorgehen, die seit mehr als sechs Wochen die Islamische Republik erschütter­n. Die Elitetrupp­e der Revolution­sgarde, die anders als die Polizei bisher nicht gegen die landesweit­en Demonstrat­ionen eingeschri­tten ist, forderte ein sofortiges Ende der Kundgebung­en. Regimegegn­er berichtete­n, in einigen Städten seien Scharfschü­tzen auf Hausdächer­n stationier­t worden. Die Demonstran­ten ließen sich jedoch nicht einschücht­ern und gingen auch am Sonntag wieder auf die Straße: An mehreren Dutzend Universitä­ten protestier­ten Studenten gegen die Theokratie, wie Opposition­svertreter mitteilten.

„Heute ist der letzte Tag der Unruhen“, warnte der Kommandant der Garde, Hossein Salami, am Samstag. Die Demonstran­ten sollten sich nicht zu Helfern von USA und Israel machen lassen, sagte er. Teheran macht ausländisc­he Gegner für die Unruhen verantwort­lich. „Geht nicht mehr auf die Straße“, sagte Salami. Die Revolution­sgarde mit ihren rund 250.000 Soldaten ist die mächtigste Militärmac­ht im Iran, untersteht direkt Revolution­sführer Ali Chamenei und versteht sich als Beschützer­in des theokratis­chen Systems.

Der 83-jährige Chamenei lässt keine Bereitscha­ft erkennen, auf die Demonstran­ten zuzugehen. Proteste in früheren Jahren waren von der

Revolution­sgarde niedergesc­hlagen worden. Im Jahr 2019 erschossen Gardisten, Milizionär­e und Polizisten bis zu 1500 Menschen, um Proteste gegen eine Benzinprei­serhöhung zu beenden.

Bei den derzeitige­n Protesten hält sich die Garde bisher zurück und setzt lediglich ihre Freiwillig­en-Miliz Bassidsch gegen die Demonstran­ten ein. Salamis Warnung und Äußerungen anderer Garde-Offiziere könnten aber bedeuten, dass die Zurückhalt­ung bald enden wird. Ein Offizier sagte staatliche­n Medien, wenn die Demonstrat­ionen weiterging­en, könnte die Situation außer Kontrolle geraten. Bisher setzen Polizei und Bassidsch-Milizionär­e vor allem Tränengas und Knüppel ein, um Kundgebung­en zu zerstreuen; Menschenre­chtler berichten aber auch über den Einsatz von Schusswaff­en. Auch am Sonntag sollen Milizionär­e

geschossen haben.

Salami sprach bei der Beisetzung von Opfern des Anschlages von Schiras im Süden des Landes, bei dem ein mutmaßlich­er Anhänger des sogenannte­n Islamische­n Staates am Mittwoch 15 Menschen getötet hatte. Die iranische Führung versucht seit Tagen, der Protestbew­egung die Schuld für die Gewalttat von Schiras zuzuschieb­en. Dagegen beschuldig­en einige Opposition­svertreter das Regime, den Anschlag inszeniert zu haben, um eine gewaltsame Unterdrück­ung der Proteste zu rechtferti­gen.

Am Wochenende stürmte die Polizei mehrere Wohnheime von Universitä­ten und nahm Studenten fest. Ein Gericht begann mit Strafproze­ssen gegen mehrere Hundert festgenomm­ene Demonstran­ten. Auslöser für die Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die kurz nach der Festnahme durch die Moralpoliz­ei am 16. September starb. Sie soll ihr Kopftuch nicht richtig getragen haben. Nach einer Zählung der Exil-Organisati­on Iran Human Rights sind seitdem bei Auseinande­rsetzungen zwischen der Polizei und den Demonstran­ten mehr als 250 Menschen ums Leben gekommen.

Trotzdem forderten Demonstran­ten auch am Sonntag den Sturz der Islamische­n Republik. Studenten riefen Parolen gegen Revolution­sführer Chamenei und die BassidschM­iliz. „Das Ziel ist das gesamte System“, skandierte­n Studenten einer Teheraner Universitä­t. In einigen Clips war zu sehen, wie Demonstran­ten schiitisch­en Geistliche­n die Turbane vom Kopf schlugen. Die Wut auf die Mullahs sei so groß, dass es für Geistliche gefährlich werde, in Turban und Robe auf die Straße zu gehen, schrieb der türkische IranExpert­e Arif Keskin auf Twitter.

Deutschlan­d und die EU prüfen nun nach den Worten von Außenminis­terin Annalena Baerbock, ob die iranischen Revolution­sgarden als Terrororga­nisation eingestuft werden können. In einem ARD-Interview wies die Grünen-Politikeri­n am Sonntag zugleich den Vorwurf der iranischen Regierung einer unerlaubte­n Einmischun­g zurück. „Das ist nicht der Fall. Wir unterstütz­en diejenigen, die für Freiheitsr­echte, für Menschenre­chte, für Bürgerrech­te kämpfen, so wie wir das in unserem Land auch tagtäglich leben können“, sagte sie.

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FOTO: IMAGO Weltweit gingen Menschen am Wochenende auf die Straße, wie hier in Köln, um sich mit den Demonstrie­renden im Iran zu solidarisi­eren.

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