Der große Ehrgeiz der Regierung
Bei der Windkraft verfehlt NRW die Bundesziele. Das Land verweist auf ambitionierte Pläne. Der Ökostrom-Verband LEE übt Kritik und fordert das Ende der 1000-Meter-Regel. Dafür herrscht beim Kohleausstieg Einigkeit.
DÜSSELDORF Im Koalitionsvertrag, den CDU und FDP 2017 für NRW geschlossen haben, spielt der Klimaschutz nur eine Nebenrolle. Das Kapitel „Umwelt, Natur- und Klimaschutz“beginnt auf Seite 78. Das dürfte sich in der neuen Koalition ändern – egal, aus welchen Parteien sie besteht. Wie gut ist das Land beim Klimaschutz?
Treibhausgas-Emissionen „Es gibt Licht und Schatten. Dass die Landesregierung die bundesweite 40-Prozent-Einsparmarke vorzeitig getoppt hat, ist anerkennenswert“, räumt Christian Mildenberger ein. Er ist Chef des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE). In der Tat konnte NRW seine Treibhausgasemissionen 2020 im Vergleich zu 1990 um 45 Prozent senken. „Das zeigt: Nordrhein-Westfalen ist auf einem guten Weg“, freute sich Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) bei Veröffentlichung. Für Mildenberger wäre mehr möglich: Dieser Erfolg basiere vor allem auf dem vorzeitigen Abschalten einiger Kohlekraftwerke. „NRW hätte deutlich mehr Kohlendioxid (CO2) einsparen können, wenn die Landesregierung die erneuerbaren Energien, allen voran die Windenergie, mit mehr Tempo ausgebaut hätte.“RWE ist mit seinen Braunkohleblöcken im Rheinischen Revier der größte CO2-Emittent in Deutschland. Nun geht er beim Kohleausstieg voran, weil die ostdeutschen Tagebaue aus politischen Gründen verschont werden sollen. Windräder in Garzweiler, Fotovoltaik auf Tagebau-Seen – so stellen sich alle Parteien in NRW den perfekten Strukturwandel vor.
Windkraft Die Zahlen sind ernüchternd. Der Bund will, dass zwei Prozent der Landesfläche für den Bau von Windrädern ausgewiesen werden. Schleswig-Holstein schafft das, Hessen nahezu. NRW kommt nur auf 1,2 Prozent. Das NRW-Wirtschaftsministerium verweist auf „landestypische Gegebenheiten wie Windhöffigkeit und Siedlungsdichte“, daher würde der Bund auch individuelle Länder-Ziele festlegen. Laut Landesumweltamt (Lanuv) liegt die Potenzialfläche für Windenergie in NRW eben nur bei 1,7 Prozent. „Das Land arbeitet mit großem Engagement
daran, dieses Potenzial bestmöglich zu nutzen“, so das Ministerium. Das sieht der LEE ganz anders, Mildenberger nennt die Windbilanz „das Ergebnis mangelnder politischer Unterstützung“. Das Land schließe Waldgebiete für die Windenergie aus und halte am 1000-Meter-Abstandsgesetz fest. „In NRW fehlt eine raumplanerische Entfesselung, mit der es verbindliche Vorgaben für alle Kommunen beim Windkraftausbau gibt.“
In der Tat will Schwarz-Gelb an den 1000 Metern festhalten. Das Wirtschaftsministerium spricht von einer „Akzeptanz sichernden Regel“und verweist darauf, dass man ja „Kalamitätsflächen“(vom Borkenkäfer zerstörte Waldflächen) für die Windkraft freigibt. 2021 liege man in Deutschland beim Windkraft-Zubau ohnehin auf Platz drei mit 331 Megawatt.
Schon um das Ziel gibt es Streit:
Das Land betont, auch unter Berücksichtigung der 1000-Meter-Regel könne man bis 2030 die Windkraft auf eine Kapazität von gut 16 Gigawatt ausbauen. LEE-Chef Mildenberger meint hingegen: „Zwölf Gigawatt sind unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht zu schaffen.“Ohnehin sei das Ziel nicht ambitioniert: „Um die Ökostrom-Ziele der Bundesregierung bis 2030 zur erreichen, muss landesweit eine Windkraftleistung von 17 Gigawatt in Betrieb sein.“2030 sollen mindestens 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Auch die Grünen fordern ein Ende der 1000-Meter-Regel, sonst gebe es bei der Energiewende in NRW weiter mehr Schein als Sein.
Kohleausstieg Nach langem Streit hatten Bund und Länder den Kohleausstieg 2038 beschlossen. Die Ampel
will ihn auf 2030 vorziehen. Und auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verfolgt dieses Ziel. „Machbar ist dieser Ausstieg auf jeden Fall, wenn der Ausbau erneuerbarer Energien endlich forciert wird und die zahlreichen Hemmnisse (etwa fehlende Flächen, zu lange Genehmigungszeiten) abgebaut werden“, sagt Mildenberger. Zudem sollte es in allen Kommunen verpflichtende Biomülltonnen geben. Schwarz-Gelb erhört die Kritik teilweise und kündigte gerade an, mehr Windflächen auszuweisen, mehr für die Freiflächen-Fotovoltaik zu tun und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
Manuel Frondel, der Energieexperte des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, mahnt hingegen, es nicht zu übertreiben: „Mit dem Ziel, bereits 2045 treibhausgasneutral zu sein, hat der Landtag das ehrgeizigste Klimaschutzgesetz aller Bundesländer verabschiedet.