Kurz und schmerzhaft
CDU und CSU können die Groko-Verhandlungen nicht schnell genug gehen. Die SPD-Spitze steht auf der Bremse: Sie zittert vor der Basis.
BERLIN Man stelle sich Martin Schulz als Konditormeister vor, der die Torte seines Lebens herstellt. Er hat viele Genossen nach dem richtigen Rezept gefragt, aus eigener Erfahrung geschöpft und dekoriert reichlich Sahne, viel Marzipan und bunten Zuckerguss. Doch wesentliche Teile seiner Parteibasis sagen: Wir mögen gar keine Torten.
Damit ist die Lage in der SPD beschrieben. „Wir hätten den Sozialismus ausrufen können, die Jusos hätten dem Sondierungspapier dennoch nicht zugestimmt. Die wollen keine große Koalition, egal mit welchen Inhalten“, stöhnte ein führendes SPD-Mitglied in der vergangenen Woche. Der Parteitag zeigte dann: Nicht nur die Jusos ticken so, auch viele andere Sozialdemokraten lehnen die Fortsetzung des Regierungsbündnisses mit der Union ab. Nun will die Parteiführung in kurzen und konzentrierten Koalitionsverhandlungen doch noch beweisen, dass sich eine Regierungsbeteiligung der SPD lohnt.
Doch über allem schwebt das Damoklesschwert des SPD-Mitgliederentscheids. Ob die mehr als 440.000 Genossen damit am Ende den fertigen Koalitionsvertrag zertrümmern, hängt eben nur zum Teil von den Verhandlungsergebnissen ab. Auch die jüngsten Umfragewerte werden eine wichtige Rolle spielen.
Denn ein Hauptargument der Kritiker einer weiteren großen Koalition ist ja, dass die SPD als erneuter Juniorpartner dem eigenen Untergang entgegengehen würde. Und just zum ersten Tag der Koalitionsverhandlungen meldete der ARD„Deutschlandtrend“ein erneutes Abrutschen der SPD unter 20 Prozent. Demnach kommen die Sozialdemokraten jetzt auf nur noch 19 Prozent, zwei Punkte weniger als vor drei Wochen. Die Union verharrt bei 33 Prozent. Die AfD landet bei zwölf, die Grünen bei elf, Linke und Libe- rale jeweils bei zehn Prozent. Auch in anderen Umfragen war die SPD zuletzt noch einmal abgesackt, kommt teils nur auf 18 Prozent.
Es erscheint paradox, dass ausgerechnet solche schlechten Nachrichten der Kampagne gegen eine große Koalition nützen könnten. In der Parteiführung und in SPD-Verhandlerkreisen ist man daher alarmiert. Dort weiß jeder: Nur die Gesprächsergebnisse können jetzt noch kurzfristig die Stimmung beeinflussen. Die anderen Beweggründe, für oder gegen eine große Koalition zu stimmen, sind bereits klar. Etliche Parteimitglieder haben längst ihre Entscheidung getroffen, selbst wenn die SPD noch von der Union bekämpfte Projekte wie die Bürgerversicherung durchsetzen könnte.
Während das Gesamtprojekt große Koalition ohnehin am seidenen Faden hängt, zeigt sich zudem, dass die Verhandler noch reichlich Wegstrecke vor sich haben: in der Flüchtlingspolitik, bei Arbeitsmarktfragen, im Gesundheitswesen.
Ärger gibt es auch bei den Bildungsexperten: Im Ergebnispapier der Sondierungen heißt es, dass Union und SPD eine Investitionsoffensive für Schulen auf den Weg bringen wollen. Zusätzlich zum lau- fenden Schulsanierungsprogramm sollen die Länder vom Bund Geld für Bildungsinfrastruktur, Ganztagsschulen oder die Digitalisierung bekommen. Umstritten war dabei jedoch immer die Abschaffung des sogenannten Kooperationsverbots im Grundgesetz, wonach der Bund solche Geldspritzen nur befristet und nur an bestimmte Kommunen verteilen darf. Im Sondierungspapier wiederum hatte man sich geei- nigt. Wörtlich heißt es da: „Dazu werden wir die erforderliche Rechtsgrundlage in Artikel 104c des Grundgesetzes anpassen (Streichung des Begriffs ,finanzschwache‘ in Bezug auf die Kommunen).“
SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil, Mitglied der Verhandlungsgruppe Bildung, findet den Satz eindeutig: „Ein klares Ergebnis der Sondierungsgespräche ist die Abschaffung des Kooperationsverbots in der Bildung.“Der Bund dürfe zukünftig wieder die Bildungsinfrastruktur der Länder finanziell unterstützen, so wie es schon vor dem Kooperationsverbot 2006 möglich war. „Alles andere ist Augenwischerei“, fügte Heil hinzu. In der CSU ist man jedoch völlig anderer Auffassung, was den Satz betrifft. Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle, ebenfalls Mitglied der Verhandlungsgruppe, sagt: „Die Kulturhoheit bleibt bei den Ländern. Die Sondierungsgespräche haben nicht die Aufhebung eines vermeintlichen Kooperationsverbots ergeben.“Er verweist darauf, dass es bereits Möglichkeiten der Kooperation zwischen Bund und Ländern gibt, diese dann aber erweitert werden sollen. Stolpersteine wie den in der Bildungspolitik gibt es noch mehr.
Bleibt die Frage, ob ein Verzicht von Martin Schulz auf einen Platz am Kabinettstisch die Torten-Verweigerer an der Basis gnädig stimmen könnte. Beim Parteitag gab es Druck auf den SPD-Chef, sein Versprechen einzulösen, nicht als Minister in eine Regierung Merkel zu gehen. Im SPD-Vorstand teilen einige Mitglieder die Ansicht, dass sich Schulz ausschließlich um die Partei kümmern soll. Laut sagt das kaum einer. Auch diejenigen, die Schulz zu einem Ministeramt raten, machen dies nicht öffentlich. Vor der Entscheidung der Basis über den Koalitionsvertrag wollen sie die Debatte nicht führen. Im Fall einer Zustimmung wäre der Weg für Schulz ins Kabinett ohnehin frei.