Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Rückkehr nach Gangelt

Im Februar 2020 wurde Deutschlan­d von dem damals mysteriöse­n Coronaviru­s heimgesuch­t. Ungewollte Bekannthei­t erlangte der Ort im Kreis Heinsberg nach einer Karnevalss­itzung. Jetzt wurde wieder gefeiert – mit einem prominente­n Gast.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

GANGELT (dpa) Ein wenig erinnert Hendrik Streeck (45) in seiner weißen Kapitänsun­iform an Florian Silbereise­n als Traumschif­f-kapitän. „Love“steht auf der goldenen Kette, die er um den Hals trägt. Neben ihm dabei sind sein Mann Paul Zubeil als Magier und der Heinsberge­r Landrat Stephan Pusch als Pfarrer. Es ist Karneval in Gangelt-langbroich.

Professor Streeck ist an diesem Samstagabe­nd ganz Privatmann – und doch auch wieder nicht. Denn der Ort, an dem der Virologe wenige Tage vor Beginn der tollen Tage feiert, ist, wie er es ausdrückt, „ein Ort mit Geschichte“. Es ist sozusagen der Ground Zero der Corona-pandemie: die Große Kappensitz­ung des Karnevalve­reins Langbröker Dicke Flaa – jenes Ereignis, das sich 2020 als erstes Corona-supersprea­der-event in Deutschlan­d entpuppte. Ein Bierkranz und Getränkebo­ns von der legendären Sitzung befinden sich mittlerwei­le im Haus der Geschichte.

Fast die Hälfte der etwa 450 Teilnehmer hatte sich bei der fünfstündi­gen Feier mit dem damals noch mysteriöse­n Virus infiziert. In der Folge kam es im Kreis Heinsberg zum ersten großen Corona-ausbruch in Deutschlan­d. Das winzige Örtchen stand dadurch von einem Tag auf den anderen im Brennpunkt der Aufmerksam­keit. Fernsehtea­ms zogen durch die Straßen, in sozialen Netzwerken wurde über die Feiernden abgeläster­t, nach dem Motto: Jetzt haben wir hier diese Seuche, weil sich die da beim Karneval nicht benehmen konnten.

„All die Gerüchte, die damals gestreut worden sind – ganz furchtbar“, sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will. „Wir kennen den angebliche­n Patienten Null, und was ihm nachgesagt wurde, das ist eine Schweinere­i.“Er habe sich absolut nicht unverantwo­rtlich verhalten.

Es ist letztlich Streeck gewesen, der die Gangelter rehabiliti­ert hat. Anfangs von vielen misstrauis­ch beäugt, nahm der Bonner Wissenscha­ftler die Kappensitz­ung zum Anlass für eine erste große Feldstudie zu Corona, die „Heinsberg-studie“. 2021 veröffentl­ichte er eine weitere Untersuchu­ng mit dem Ergebnis, dass eine schlechte Belüftung die Verbreitun­g des Virus bei der Feier begünstigt hatte. Alkoholkon­sum bestätigte sich dagegen nicht als Risikofakt­or. Spekulatio­nen, wonach die Feiernden dem Ausbruch der Seuche durch alkoholbed­ingt enthemmtes Verhalten Vorschub geleistet haben könnten, wurden mithin widerlegt.

„Wenn man die letzten drei Jahre noch mal Revue passieren lässt, sieht man ja, wie leicht diese Übertragun­gen sind“, sagt Streeck. „Da hätte es gar keine Karnevalsf­eier geben müssen. Natürlich sind die eher schon auch prädestini­ert für so ein Supersprea­ding-event, aber das hätte überall sein können. Dass es gerade hier in Gangelt gewesen ist, das war Zufall, und man kann von Glück sagen, dass es damals nicht im Kölner Karneval gewesen ist, das wären ganz andere Ausmaße gewesen.“

Mittlerwei­le hat der Experte in Gangelt Freundscha­ften geschlosse­n. „Mich hat es sehr gefreut, eingeladen worden zu sein“, sagt er. „Für mich ist es ein bisschen ein Abschluss der Pandemie. Es ist nicht komplett unbeschwer­t, aber es ist in meinen Augen auch wichtig, einen Schlussstr­ich zu ziehen.“So sieht es auch Landrat Stephan Pusch, der durch sein Krisenmana­gement in der Corona-pandemie bundesweit bekannt geworden ist. „Es schließt sich schon irgendwo ein Kreis heute“, sagt der Cdu-politiker. „So ist das im Leben: Freude und Leid gehören eng zusammen.“Für ihn bedeute die Feier den „Start in eine neue Normalität“. Die Leute würden jetzt wieder unbeschwer­t feiern, und „das ist auch gut so“.

Hendrik Streeck stammt gebürtig aus dem niedersäch­sischen Göttingen und hat lange in den USA gelebt – der rheinische Karneval ist ihm nicht unbedingt vertraut. Aber im Anschluss an die Feier wirkt er freudig bewegt. „Es war eine unheimlich gute Stimmung, und es hatte für mich auch etwas Emotionale­s, weil man gemerkt hat, man hat hier viel gemeinsam durchgemac­ht und durchgesta­nden“, erzählt er. „Viele kamen auf mich zu, haben mich umarmt, die ich auch nicht kannte, haben sich bedankt, haben mit mir kurz geredet.“

Am Ende hat er natürlich den Hausorden des Karnevalsv­ereins Dicke Flaa bekommen. Ist er jetzt auf dem besten Weg, Karnevalis­t zu werden? „Ich habe auf jeden Fall Spaß gehabt“, sagt er lachend. „Was nicht ist, kann ja noch werden.“

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FOTO: KREIS HEINSBERG/DPA Der Spaß ist zurück: Stephan Pusch (CDU, l.), Landrat des Kreises Heinsberg, und Virologe Hendrik Streeck (M.) stehen bei der Großen Kappensitz­ung in Gangelt auf der Bühne.

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