Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Rückkehr nach Gangelt
Im Februar 2020 wurde Deutschland von dem damals mysteriösen Coronavirus heimgesucht. Ungewollte Bekanntheit erlangte der Ort im Kreis Heinsberg nach einer Karnevalssitzung. Jetzt wurde wieder gefeiert – mit einem prominenten Gast.
GANGELT (dpa) Ein wenig erinnert Hendrik Streeck (45) in seiner weißen Kapitänsuniform an Florian Silbereisen als Traumschiff-kapitän. „Love“steht auf der goldenen Kette, die er um den Hals trägt. Neben ihm dabei sind sein Mann Paul Zubeil als Magier und der Heinsberger Landrat Stephan Pusch als Pfarrer. Es ist Karneval in Gangelt-langbroich.
Professor Streeck ist an diesem Samstagabend ganz Privatmann – und doch auch wieder nicht. Denn der Ort, an dem der Virologe wenige Tage vor Beginn der tollen Tage feiert, ist, wie er es ausdrückt, „ein Ort mit Geschichte“. Es ist sozusagen der Ground Zero der Corona-pandemie: die Große Kappensitzung des Karnevalvereins Langbröker Dicke Flaa – jenes Ereignis, das sich 2020 als erstes Corona-superspreader-event in Deutschland entpuppte. Ein Bierkranz und Getränkebons von der legendären Sitzung befinden sich mittlerweile im Haus der Geschichte.
Fast die Hälfte der etwa 450 Teilnehmer hatte sich bei der fünfstündigen Feier mit dem damals noch mysteriösen Virus infiziert. In der Folge kam es im Kreis Heinsberg zum ersten großen Corona-ausbruch in Deutschland. Das winzige Örtchen stand dadurch von einem Tag auf den anderen im Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Fernsehteams zogen durch die Straßen, in sozialen Netzwerken wurde über die Feiernden abgelästert, nach dem Motto: Jetzt haben wir hier diese Seuche, weil sich die da beim Karneval nicht benehmen konnten.
„All die Gerüchte, die damals gestreut worden sind – ganz furchtbar“, sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will. „Wir kennen den angeblichen Patienten Null, und was ihm nachgesagt wurde, das ist eine Schweinerei.“Er habe sich absolut nicht unverantwortlich verhalten.
Es ist letztlich Streeck gewesen, der die Gangelter rehabilitiert hat. Anfangs von vielen misstrauisch beäugt, nahm der Bonner Wissenschaftler die Kappensitzung zum Anlass für eine erste große Feldstudie zu Corona, die „Heinsberg-studie“. 2021 veröffentlichte er eine weitere Untersuchung mit dem Ergebnis, dass eine schlechte Belüftung die Verbreitung des Virus bei der Feier begünstigt hatte. Alkoholkonsum bestätigte sich dagegen nicht als Risikofaktor. Spekulationen, wonach die Feiernden dem Ausbruch der Seuche durch alkoholbedingt enthemmtes Verhalten Vorschub geleistet haben könnten, wurden mithin widerlegt.
„Wenn man die letzten drei Jahre noch mal Revue passieren lässt, sieht man ja, wie leicht diese Übertragungen sind“, sagt Streeck. „Da hätte es gar keine Karnevalsfeier geben müssen. Natürlich sind die eher schon auch prädestiniert für so ein Superspreading-event, aber das hätte überall sein können. Dass es gerade hier in Gangelt gewesen ist, das war Zufall, und man kann von Glück sagen, dass es damals nicht im Kölner Karneval gewesen ist, das wären ganz andere Ausmaße gewesen.“
Mittlerweile hat der Experte in Gangelt Freundschaften geschlossen. „Mich hat es sehr gefreut, eingeladen worden zu sein“, sagt er. „Für mich ist es ein bisschen ein Abschluss der Pandemie. Es ist nicht komplett unbeschwert, aber es ist in meinen Augen auch wichtig, einen Schlussstrich zu ziehen.“So sieht es auch Landrat Stephan Pusch, der durch sein Krisenmanagement in der Corona-pandemie bundesweit bekannt geworden ist. „Es schließt sich schon irgendwo ein Kreis heute“, sagt der Cdu-politiker. „So ist das im Leben: Freude und Leid gehören eng zusammen.“Für ihn bedeute die Feier den „Start in eine neue Normalität“. Die Leute würden jetzt wieder unbeschwert feiern, und „das ist auch gut so“.
Hendrik Streeck stammt gebürtig aus dem niedersächsischen Göttingen und hat lange in den USA gelebt – der rheinische Karneval ist ihm nicht unbedingt vertraut. Aber im Anschluss an die Feier wirkt er freudig bewegt. „Es war eine unheimlich gute Stimmung, und es hatte für mich auch etwas Emotionales, weil man gemerkt hat, man hat hier viel gemeinsam durchgemacht und durchgestanden“, erzählt er. „Viele kamen auf mich zu, haben mich umarmt, die ich auch nicht kannte, haben sich bedankt, haben mit mir kurz geredet.“
Am Ende hat er natürlich den Hausorden des Karnevalsvereins Dicke Flaa bekommen. Ist er jetzt auf dem besten Weg, Karnevalist zu werden? „Ich habe auf jeden Fall Spaß gehabt“, sagt er lachend. „Was nicht ist, kann ja noch werden.“