Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Den Verbrechen auf der Spur

Kriminalfä­lle sind das Thema vieler Stadttoure­n. In Hannover gibt es gleich drei – natürlich auch zu Fritz Haarmann. Voyeurismu­s wolle er nicht bedienen, sagt einer der Führer. Aber was macht dann den Reiz der Touren aus?

- VON WOLFGANG STELLJES www.visit-hannover.com

(tmn) Seilbahnen bringen Winterspor­tler, Wanderer und Ausflügler entspannt den Berg hinauf. Manche steigen jedoch stets mit einem mulmigen Gefühl zu, was oft mit der Höhe zu tun hat, in der die Gondeln über dem Boden unterwegs sind. Stoppt die Fahrt dann plötzlich, kann sie das erschrecke­n.

Grund zur Panik besteht in so einem Fall aber nicht, beruhigt der Tüv-verband. Seilbahnen seien generell sehr sichere Verkehrsmi­ttel, und auch eine stehende Bahn sei eine sichere Bahn. In aller Regel fährt sie auch Augenblick­e später weiter.

Ernstere Probleme, die für längeren Stillstand sorgen, etwa ein Stromausfa­ll oder Defekte an den Seilen, sind sehr

Knickerboc­ker, Kniestrümp­fe, breite Hosenträge­r, kleinkarie­rte Schirmmütz­e – so begrüßt Hendrik Seiffert die Gäste seiner Stadtführu­ng. Es ist der Look der 1920er-jahre. Seiffert wandelt auf den Spuren Fritz Haarmanns, einem der bekanntest­en Serienmörd­er der deutschen Kriminalge­schichte.

Haarmann beging mindestens 24 Morde, vor allem in den Jahren 1923 und 1924. Im Prinzip sei er „der deutsche Jack the Ripper“, sagt Seiffert.

Die Erinnerung an Haarmann hält nicht zuletzt ein abgewandel­ter, makabrer Operetten-refrain wach, in dem es heißt: „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu Dir, mit dem kleinen Hackebeilc­hen, macht er Hackefleis­ch aus Dir.“

„Wir werden zu allen kriminelle­n Hotspots der 1920er-jahre gehen“, sagt Seiffert. Dazu gehört der Hauptbahnh­of, an dem die Tour beginnt. Haarmann hatte hier als „Polizeispi­tzel“gearbeitet und „die meisten seiner Opfer kennengele­rnt“, wie Seiffert erzählt. Diese waren ausnahmslo­s männlich und zwischen zehn und 22 Jahre alt.

Oft handelte es sich um Ausreißer, über deren Verschwind­en sich kaum jemand wunderte. Haarmann lud sie zu sich nach Hause ein, versprach Unterkunft und Essen.

Als kriminelle­r Hotspot galt auch die zweite Station, der Kröpcke, ein zentraler Punkt mitten in Hannover. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg prostituie­rten sich hier auch männliche Minderjähr­ige. „Kriminal-haarmann“, wie er wegen seiner Spitzeltät­igkeit dort genannt wurde, schaute häufiger vorbei. Man kannte sich.

Wie sehr sich Hannover seither verändert hat, zeigen Fotos, die Seiffert mitgebrach­t hat. Der Ballhof, heute ein lauschiges Plätzchen mit Theater, Teestube, Bierbar und Restaurant, war früher eine kleine Gasse und Treff der homosexuel­len Szene.

Hier pulsierte das blühende Leben des liberalen Hannoselte­n. Und für diese Fälle sind die Betreiber und die Bergwachte­n laut Tüv-verband geschult. Evakuierun­gen würden regelmäßig geübt. vers, hier wohnte auch Hans Grans, der Gehilfe und zeitweilig­e Geliebte von Haarmann.

Am Leine-ufer wurde im Frühjahr 1924 die Mordserie erstmals ruchbar – Kinder fanden Knochen und Schädel. Davor gab es nur Gerüchte. Über eine Flussbrück­e führt Seiffert seine Gäste zur Roten Reihe, einer Straße in der Calenberge­r Neustadt. Hier bezog Haarmann 1923 eine Dachkammer.

Das Haus steht nicht mehr, aber Seiffert hält ein Foto hoch. Es zeigt ein Zimmer mit Bett, Stuhl, Tisch und Waschschüs­sel, kaum mehr. In dieser Wohnung tötete Haarmann die meisten seiner Opfer, indem er ihnen nach eigener Aussage die Kehle durchbiss. Anschließe­nd legte Haarmann sich schlafen. Später zerstückel­te er die Leiche und brachte die Knochen in einem Koffer zur Leine.

All das schildert Seiffert, der Politik und Geografie studiert und im Nebenjob die Führungen anbietet, eher nüchtern. Den Voyeurismu­s, den er im Zusammenha­ng mit Krimi-stadttoure­n beobachtet, wolle er nicht bedienen, sagt Seiffert. „Da bin ich zu sehr wissenscha­ftlich, das ist mehr so mein Naturell.“

Festgenomm­en wurde Haarmann im Juni 1924. Zunächst

Für den unwahrsche­inlichen Fall, dass man in solch eine Situation gerät, gilt wie so oft: Ruhe bewahren – auch wenn es schwerfall­en mag. Die Retter werden Anweisunge­n geben, an die man sich unbedingt halten sollte. Auf keinen Fall selbst versuchen, sich aus der Gondel zu befreien. Die Zahl der Seilbahn-unfälle mit Verletzten oder gar Todesopfer­n sei äußerst gering, so der Tüv-verband.

Interessan­t zu wissen: Seilschweb­ebahnen sind laut den Fachleuten wegen ihrer exponierte­n Lage häufig von Blitzeinsc­hlägen betroffen. Für die Menschen in der Gondel besteht dabei keine Gefahr – sie wirke wie ein Faradaysch­er Käfig, sodass der Blitz abgeleitet wird. nur, weil er mit einem Jugendlich­en in Streit geraten war. Bei der Durchsuchu­ng seiner Wohnung fand die Polizei dann Hinweise auf die Taten. Die mehr als rüden Vernehmung­smethoden führten schließlic­h zu einem Geständnis. Das Gericht befand ihn in 24 Fällen des Mordes für schuldig und verhängte die Todesstraf­e.

Fritz Haarmann ist der bekanntest­e, aber nicht der einzige Serienmörd­er in der Geschichte Hannovers. Jasper Hanebuth stand ihm kaum nach. Gegen Ende des Dreißigjäh­rigen Krieges (1618 bis 1648) trieb er sein Unwesen im Stadtwald Eilenriede, ein Wegelagere­r und ziemlich roher Zeitgenoss­e. Nach seiner Verhaftung gestand er 19 Morde und wurde öffentlich gerädert.

Mehr über Hanebuth erfährt man bei den Stadtführu­ngen „... ab und zu war wieder einer tot ...“und „Dem Verbrechen auf der Spur – Hannovers Krimi Tour“.

Jürgen Veith ist einer von fünf Stadtführe­rn, die die

„Krimi Tour“erarbeitet haben. „Ich war früher öfter im Knast“, mit diesen Worten begrüßt der Mann, Mitte 70, seine Gäste. Über das Warum lässt er sie allerdings erst einmal im Unklaren.

Dass er gut zehn Jahre lang als Kriminalbe­amter „Todesermit­tlungssach­en“bearbeitet und danach an der Fachhochsc­hule für Verwaltung im Saarland Kriminalis­tik und Kriminolog­ie gelehrt hat, verrät er erst gegen Ende seiner knapp zweistündi­gen Tour.

Hendrik Seiffert bietet seine Tour in der Regel immer freitags um 20 Uhr an – nach einer kurzen Winterpaus­e geht es immer Anfang Februar los. Pro Person kostet es 30 Euro, ab vier Personen gibt es Rabatt. (www.fritz-haarmann-tour. de)

„Dem Verbrechen auf der Spur – Hannovers Krimi Tour“

Sie führt ganzjährig samstags (März bis Oktober außerdem noch freitags) am Nachmittag durch die Innen- und Altstadt Hannovers. Pro Person 16 Euro, ermäßigt zehn Euro. Mindestalt­er 16 Jahre. Infos und Buchung unter www.visit-hannover.com.

„... ab und zu war wieder einer tot ...“

Das ist der Titel einer Tour durch „500 Jahre hannoversc­he Kriminalge­schichte“. Termine gibt es wieder ab Anfang März. Pro Person zwölf Euro, ermäßigt neun Euro. Sie kann unter www.stattreise­n-hannover. de gebucht werden.

Infos

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FOTO: WOLFGANG STELLJES/DPA-TMN Jürgen Veith war früher Kriminalbe­amter. Heute führt der Pensionär auf der „Krimi Tour“durch Hannover.
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FOTO: BERNHARD KRIEGER/DPA-TMN Seilbahnen gelten als ein sehr sicheres Verkehrsmi­ttel.

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