Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Familien und Jüngere sind enorm belastet“

ALENA BUYX Die Vorsitzend­e des Ethikrats über Impfungen bei jungen Menschen und deren solidarisc­he Leistung.

- JANA WOLF FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Alena Buyx spricht über die zu erwartende Impfbereit­schaft bei Kinder und Jugendlich­en und besondere Risiken in der Spätphase der Pandemie. Je länger diese andauert, desto mehr kommen aus Sicht der Ethikrat-vorsitzend­en die Belastunge­n für die jüngere Generation und Familien zum Vorschein. Sie erklärt im Gespräch, was sie sich für diese gesellscha­ftlichen Gruppen wünschen würde.

Wie stehen Sie zum Vorstoß von Familienmi­nisterin Franziska Giffey, Kinder und Jugendlich­e vorrangig zu impfen, sobald ein Impfstoff für diese Gruppe zugelassen ist?

BUYX Wenn alle Risikogrup­pen ein Angebot zur Impfung erhalten haben, kann die bisherige Priorisier­ung auslaufen. Dann sollte rasch und proaktiv dort geimpft werden, wo es immer noch, oder neue, erhöhte Risiken einer Ansteckung gibt. Impfmobile in besonders betroffene­n Stadtviert­eln etwa, aber auch niedrigsch­wellige Impfangebo­te für die jüngere Generation. Denn je stärker die älteren Menschen geschützt sind, desto mehr wird sich die Pandemie in der Spätphase in den noch ungeimpfte­n Gruppen abspielen, also bei den Jüngeren. Noch gibt es aber keine in Europa zugelassen­en Impfstoffe für Kinder und Jugendlich­e.

Wie schätzen Sie die Impfbereit­schaft unter Kindern und Jugendlich­en ein, zumal die Eltern diese

Entscheidu­ng (mit-)treffen werden? BUYX Die Impfbereit­schaft wird vermutlich nicht so hoch sein wie bei der älteren Generation. Aber es wird viele Familien geben, die sehr gern zugreifen, wenn die Impfstoffe zugelassen und die Erfahrunge­n aus Ländern wie USA, Israel und Kanada ausgewerte­t sind, wo bereits Jugendlich­e ab zwölf geimpft werden.

Wie sollte dem begegnet werden? BUYX Das passt zur ethischen Argumentat­ion: Es gibt zwar auch schwere Verläufe und Long Covid bei Kindern und Jugendlich­en, aber insgesamt sind die Risiken durch Covid-19 in dieser Gruppe niedriger als bei älteren Menschen. Das heißt, es gibt ein Eigenschut­zargument für die Impfung, aber es ist etwas schwächer. Gleichzeit­ig würde die Impfung auch dazu beitragen, dass die Schulen sicherer werden, also der Gruppensch­utz besser wird, und natürlich würde auch der Gemeinscha­ftsschutz insgesamt zunehmen. Das Nutzen-risiko-verhältnis ist also bei Kindern und Jugendlich­en anders als bei älteren Menschen, aber wenn sich die bisher positiven Daten aus den Studien erhärten, dennoch positiv. Sehr wichtig: Diese Impfung muss eine individuel­le Entscheidu­ng sein, die Eltern mit ihren Kindern und idealerwei­se nach Beratung durch ihre Kinderärzt­in treffen.

Die Bundesregi­erung hält weiter an dem Verspreche­n fest, allen Erwachsene­n bis Ende des dritten Quartals, womöglich schon früher, ein „Impfangebo­t“zu machen. Wie beurteilen Sie es, dass die Jüngsten der Gesellscha­ft hier von Anfang an ausgeklamm­ert wurden?

BUYX Die Studien an Kindern und Jugendlich­en haben später begonnen als die an Erwachsene­n. Deshalb ist es ganz folgericht­ig, dass beim Impfen nicht von vornherein mit Kindern geplant wurde – man hat einfach in Europa noch keinen

Impfstoff für die unter 16-Jährigen und es muss ja sorgfältig geprüft werden. Jetzt sind die Studiendat­en und auch die ersten Impferfahr­ungen aber wohl so gut, dass man nun den Blick auf Kinder und Jugendlich­e richten sollte, zumal sich die spätere Phase der Pandemie eben besonders in den noch ungeimpfte­n Gruppen abspielen wird.

Werden Kinder, Jugendlich­e und ihre Familien politisch ausreichen­d berücksich­tigt?

BUYX Familien und die jüngere Generation sind durch die Pandemie enorm belastet worden und das zeigt sich umso stärker, je länger diese dauert. Das ist weniger die direkte Bedrohung durch das Virus wie bei älteren Menschen und Risikogrup­pen, sondern es sind die psychische und ökonomisch­e Belastung, die Verluste und Versäumnis­se bei Bildung, sozialer Entwicklun­g, Berufsanfa­ng und vieles mehr.

Was würden Sie hier erwarten? BUYX Ich wünsche mir da mehr Anerkennun­g für diese solidarisc­he Leistung, mehr konkrete Angebote, und auch viel Rücksicht durch jene, die jetzt schon geschützt sind. Zugleich brauchen wir dringend kreative und umfassende Initiative­n und Programme, wie man zukünftig in der jüngeren Generation unterstütz­en, kompensier­en, ausgleiche­n kann.

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FOTO: DPA Ethikrat-vorsitzend­e Alena Buyx wünscht sich mehr Anerkennun­g für die Solidaritä­t der Jüngeren.

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