Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Einigkeit durch weiße Salbe
Der Eu-gipfel tagt. Polen und Ungarn haben dem umstrittenen Rechtsstaatsmechanismus zugestimmt, aber auch eine eigene Erklärung dazu abgegeben. Das war eine gesichtswahrende Lösung, die schließlich die Finanzplanung rettete.
BRÜSSEL Am Ende ging es ganz schnell. Gegen 18.30 Uhr rief Charles Michel, Präsident des Rats der Staats- und Regierungschefs der EU, das Finanzpaket auf. Um 19 Uhr hatten die 27 Beteiligten es einstimmig beschlossen. Damit war klar, dass Anfang 2021 der Finanzrahmen bis 2027 mit einem Volumen von 1072 Milliarden Euro sowie der Fonds für den Wiederaufbau nach der Corona-pandemie mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro wirksam werden können.
Es war aber auch ein Streit beigelegt, der an den Grundfesten der EU gerüttelt hatte. Polen und Ungarn hatten mit ihrem Veto gegen das Finanzpaket gedroht und wollten damit den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus zu Fall bringen. Der sieht vor, dass Ländern, die es mit den Werten der EU nicht so genau nehmen, der Zugriff auf Haushaltsgelder verwehrt werden kann. Damit aber kamen Polen und Ungarn nicht durch.
Angela Merkel hatte den Kompromiss ausgehandelt – Deutschland hat derzeit den Vorsitz im EU-MInisterrat. Schon als die Kanzlerin erstmals vor die Kameras getreten war, hatte sie den Eindruck vermittelt, der Streit um die 1800 Milliarden sei beigelegt. Man habe „sehr intensiv gearbeitet, eine Lösung für die Bedenken von Ungarn und Polen zu finden“. Man habe auch dafür gearbeitet, „die Rechtsstaatlichkeit natürlich so zu bewahren“, wie das mit dem Parlament ausgehandelt worden sei. Dann wechselte sie in die Zukunft: „Es wird sich zeigen, ob wir auch eine Einstimmigkeit im Europäischen Rat dafür finden.“
Denn immer, wenn sich die „Chefs“treffen, ist Einstimmigkeit gefragt. Manchmal wird dafür lange diskutiert. Diesmal liefen die Diskussionen im Vorfeld; Polen und Ungarn stimmten dann am Donnerstag unmittelbar zu. Auch die „sparsamen vier“, angeführt von den Niederlanden, hatten keine Einwände.
Die Einigung war auch durch eine vier Seiten lange Protokollerklärung Polens und Ungarns möglich geworden. Darin ist unter anderem festgelegt, welche Möglichkeiten es gibt, sich gegen die Anwendung der Regelung zu wehren. Ist das nur „weiße
Salbe“, um den beiden Regierungschefs Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki gesichtswahrend den Rückzug zu ermöglichen?
Die Erklärung ändere nichts am Rechtsstaatsverfahren, ist Monika Hohlmeier (CSU), die Chefin des Haushaltskontrollausschusses im Europa-parlament, überzeugt: „Es bleibt bei der Botschaft, die wir senden: Wer versucht, eine illiberale Demokratie zu installieren, der hat in der EU keinen Platz.“Das einzige Zugeständnis besteht wohl darin, dass Rechtsverstöße nicht rückwirkend geahndet werden.
Nach dem grünen Licht für das Finanzpaket konnten die Chefs sich dem zweiten großen Thema widmen: dem neuen Klimaziel. Merkel setzt sich dafür ein, dass die EU bis 2030 55 Prozent weniger Treibhausgase ausstößt als 1990 und für 2050 Klimaneutralität anstrebt. Polen und andere Mitgliedstaaten hatten zuvor Bedenken geäußert.
Nicht auf der Tagesordnung, aber umso mehr Thema ist die Frage, ob es doch noch einen Handelsvertrag mit dem Vereinigten Königreich gibt. Seit dem Abendessen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Premier Boris Johnson am Dienstag sind selbst Optimisten nachdenklich. Man ist sich zwar einig bei Zöllen und Quoten, beim Datenschutz, Straßenverkehr und Menschenrechten. Als Baustellen bleiben aber die Fischerei und die Spielregeln innerhalb und außerhalb des Binnenmarktes. Bis Sonntag reden die Unterhändler wieder.