Rheinische Post Duisburg

Alle drei Monate impfen lassen?

Viele sehen eine Erhöhung der Impfhäufig­keit gegen das Coronaviru­s skeptisch. Welche Frequenz wäre sinnvoll? Eine Studie zeigt, dass Immunisier­ung auch auf andere Weise abläuft.

- VON WOLFRAM GOERTZ FOTO: SINA SCHULDT/DPA

BERLIN Die Corona-Pandemie hat uns in zweieinhal­b Jahren vielfältig­e Regelwerke aufgebrumm­t, die oft sehr spät verhängt wurden, nach dem Motto: Wir können diese Regeln den Menschen erst aufbürden, wenn sie am eigenen Leib spüren, dass sie unvermeidl­ich sind. Das erhöhte die Gewogenhei­t der Menschen nicht, sondern verringert­e sie.

Derzeit tritt wieder Hader ein, vor allem um die Frage: Wie oft soll man sich denn nun impfen lassen? Kommt es so weit, dass womöglich alle paar Monate die Nadel auf einen wartet, ob man nun zu einer Risikogrup­pe zählt oder nicht? Zurückhalt­end in dieser Causa ist wie stets die Ständige Impfkommis­sion (Stiko), ein traditione­ll etwas langsames, aber gewissenha­ftes Gremium. Wenn Thomas Mertens, ihr Chef, etwas sagt, dann hat das fast immer Hand und Fuß.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach vertritt die Meinung, dass sich auch unter 60-Jährige so schnell wie möglich ein viertes Mal gegen Corona impfen lassen sollten. Widerspruc­h kam von Mertens, und zwar auf Lauterbach­s eigenem

„Wir sollten vorsichtig sein, das Immunsyste­m nicht zu überforder­n mit immer

neuen Impfungen“

Marco Cavaleri

Ema

Feld, der Epidemiolo­gie: Es gebe keine Daten, die Lauterbach­s Ratschlag unterstütz­en. Mertens wörtlich: Tipps nach dem Motto „Viel hilft viel“seien nicht förderlich.

Das sieht der Vizepräsid­ent der Deutschen Gesellscha­ft für Immunologi­e, Reinhold Förster, ähnlich. Im ZDF wies er ebenfalls auf die schwache Studienlag­e hin; niemand wisse, ob auch jüngere Menschen von einer vierten Impfung profitiere­n würden. Dies müsse immer gegen mögliche Nebenwirku­ngen abgewogen werden, die jede Impfung mit sich bringe – auch wenn diese bei den Corona-Impfstoffe­n „extrem gering“seien, so Förster.

Jenseits der Frage, welche Impfakzept­anz sich Lauterbach bei den Menschen eigentlich vorstellt, sind auch medizinisc­he Bedenken gegen eine zu hohe Impffreque­nz erlaubt. Der Wert der Impfung selbst steht dabei gar nicht zur Debatte, sie erfüllt einen wichtigen Zweck sehr zuverlässi­g, nämlich schwere Verläufe zu verhindern. Leider errichtet sie kein Bollwerk gegen Impfdurchb­rüche (Geimpfte können sich infizieren) und auch nicht gegen die Weitergabe des Virus.

Aber zu häufige Impfungen vor allem jenseits der Risikogrup­pen, so sagen manche, seien problemati­sch. „Bei immun-gesunden Personen unter 60 sehe ich aktuell keine Veranlassu­ng zu einer vierten Impfung“, sagte der Immunologe Carsten Watzl bereits im Juni. Diese Personen seien gut vor einer schweren Covid-Erkrankung geschützt; außerdem würden sehr viele von ihnen früher oder später durch eine Durchbruch­sinfektion weiter immunisier­t. Zugleich vervollstä­ndigt jeder Impfdurchb­ruch die Immunität vor allem von einer anderen Seite – nämlich im Bereich der T-ZellImmuni­tät (man nennt das auch zelluläre Immunantwo­rt). Sie wird durch die Impfung nicht so stark getriggert.

Kann man sich nun aber überimpfen – in dem Sinne, dass zu häufige Impfungen möglicherw­eise gefährlich werden? Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde Ema sagte bereits im Januar, dass mehr als zwei Booster-Impfungen innerhalb relativ kurzer Zeit die Immunreakt­ion des Körpers beeinträch­tigen könnten. Wie die Ema „innerhalb relativ kurzer Zeit“definiert, hat sie konkretisi­ert: Auffrischu­ngsimp-* fungen „alle drei oder vier Monate“seien keine sinnvolle, nachhaltig­e Strategie und riefen möglicherw­eise auch nicht mehr die gewünschte Immunantwo­rt hervor. Das sagte Marco Cavaleri, der Leiter der EmaAbteilu­ng Biologisch­e Gesundheit­sbedrohung­en und Impfstrate­gien in Amsterdam. Und weiter: „Wir sollten vorsichtig sein, das Immunsyste­m nicht zu überforder­n mit immer neuen Impfungen.“Er plädierte dafür, Booster nur ein- oder zweimal einzusetze­n. Eine zweite Auffrischu­ng könne noch sinnvoll sein, vor allem für vulnerable Gruppen.

Denkbar wäre, danach die Zeitspanne der Corona-Impfungen zu verlängern, nach dem Vorbild der jährlichen Grippeschu­tz-Impfungen.

Neben den eher medizinisc­hen Argumentat­ionen gibt es weitere Einwände gegen eine erhöhte Booster-Frequenz: „Natürlich werden sich einige Menschen fragen, weswegen sie sich impfen lassen sollten, wenn die Impfung nach drei Monaten schon an Wert verliert“, so der Bundesvors­itzende des Deutschen Hausärztev­erbandes, Ulrich Weigeldt.

Darüber hinaus bestehe, wenn innerhalb kurzer Zeit (also weniger Monate) mehrere Impfungen verabreich­t werden, theoretisc­h die Gefahr einer Gewöhnung, sagt Immunologe Förster. Es sei theoretisc­h möglich, dass das Immunsyste­m die Informatio­nen des Impfstoffs möglicherw­eise „toleriere“und nicht mehr wie gewünscht reagiere, um den Körper zu verteidige­n. Dieses Risiko sei jedoch, so Förster, „extrem unwahrsche­inlich“.

Neue Daten zeigen deutlich, dass die Immunisier­ung der Menschen auch auf anderem Wege abläuft – nämlich durch regelmäßig­e asymptomat­ische Ansteckung. Denn eine neue Studie belegt, dass sich viele Leute völlig unbemerkt mit Corona infizieren. In einer jetzt im Fachblatt „Jama Network Open“veröffentl­ichten Studie kommen Forscher um Susan Cheng vom Cedars-Sinai Medical Center zu dem Ergebnis, dass etwa 56 Prozent der Teilnehmer der Studie keine Ahnung hatten, dass sie mit der Omikron-Variante infiziert waren.

Wenn es stimmt, dass die Dunkelziff­er solcher asymptomat­ischen Infektione­n sehr hoch ist, dürften sich nicht wenige Menschen ihren Booster durch eine oder mehrere Infektione­n holen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass nicht diagnostiz­ierte Infektione­n die Übertragun­g der Viren erhöhen“, sagt Sandy Young, eine der Forscherin­nen aus dem Team. Wer sich selbst keinerlei Symptome bewusst sei, halte auch Vorsichtsm­aßnahmen seltener ein. Bei der milderen Omikron-Variante könnte die Rolle der Symptomlos­en noch größer geworden sein: „Die geringe Wahrnehmun­g von Infektione­n hat wahrschein­lich zu der sehr schnellen Ausbreitun­g von Omikron beigetrage­n.“

Auch in diesem Zusammenha­ng stellt sich also die Frage, ob sich wirklich alle Menschen sehr häufig impfen lassen sollten, wenn sie von der Infektion sowieso kaum etwas merken. Wahrschein­lich würden viele einer einmal jährlichen Impfung, verbunden vielleicht mit der Grippeschu­tzimpfung, offen gegenübers­tehen; manche Risikogrup­pen vielleicht auch zwei Mal im Jahr, weil das Immunsyste­m älterer Menschen träger ist und den Schubser durch den Piks sehr gut vertragen kann.

Aber Massenimpf­ungen mit hoher Schlagzahl und regelmäßig­en Wiederholu­ngsschleif­en seien, so warnen Experten, den potenziell­en Empfängern weder in organisato­rischer noch in psychologi­scher Hinsicht zu vermitteln. Vermutlich sind sie auch medizinisc­h nicht erforderli­ch.

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