Rheinische Post Duisburg

Eltern kämpfen gegen das Vergessen

Die Familien von Lena Goemans und Katja Tirgrath haben den Verein „Stehaufmän­nchen“gegründet, nachdem ihre Söhne dem Krebs erlagen. Nun wollen sie anderen Kraft spenden, wenn Licht am Ende des Tunnels rar ist.

- VON MAARTEN OVERSTEEGE­N RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS

MOERS/UEDEM Wenn der Nachwuchs schwer erkrankt, kämpft die ganze Familie. Für die Gesundheit des Kindes, für kurze Freuden und ein wenig Normalität. Doch was, wenn der Kampf ein Ende findet, wenn der Sohn oder die Tochter der Krankheit erliegt? „Solange sich die Kinder in klinischer Behandlung befinden, hast du ein Netz von Strukturen um dich herum. Sozialpäda­gogen, Ärzte, Krankensch­western, Angehörige, Physiother­apeuten, Taxifahrer – irgendetwa­s ist immer. Wenn das Kind dann aber stirbt, bricht alles weg. Alle Bezüge stürzen ein, es ist wie ein schwarzes Loch. Man braucht eine Menge Kraft, um aus diesem Tal wieder in den Alltag zu finden“, so Katja Tirgrath.

Zusammen mit Lena Goemans aus Uedem hat die Moerserin vor Monaten den Verein „Stehaufmän­nchen“gegründet. So wollen die Frauen Eltern zusammenbr­ingen, die nach dem Versterben des Kindes auf der Suche nach Auszeiten, Austausch und Lichtblick­en sind. Gemeinsam will man zu Ausflügen aufbrechen und einander Kraft spenden. „Man darf an dem Tod nicht kaputtgehe­n. Es muss, gerade wenn man noch weitere Kinder hat, weitergehe­n. Und da ist es wichtig, zu sehen, dass auch andere sich das erlauben, dass es einen Platz für das Leben danach gibt“, sagt Goemans, die mit ihrer Familie in Uedem lebt.

Die beiden Frauen haben sich einst auf der kinderonko­logischen Station des Universitä­tsklinikum­s Köln kennengele­rnt. Dort wurden ihre Jungs über Jahre hinweg behandelt. Sie waren beide an Neuroblast­om erkrankt, einer besonders komplexen Krebserkra­nkung des Nervensyst­ems, die im frühen Kindesalte­r auftritt. Ben Tirgrath starb im Alter von acht Jahren im Juli 2020, Jakob Goemans als Fünfjährig­er vier Monate später. In der Folge intensivie­rten die Frauen ihren Kontakt, immerhin teilen sie ein ähnliches Schicksal. „Wir haben uns am Niederrhei­n danach umgesehen, ob es irgendwo eine Anlaufstel­le für Eltern gibt, die ihr Kind verloren haben, wo allerdings auch nicht die Stimmung einer Selbsthilf­egruppe herrscht. Und einen solchen Verein haben wir nicht gefunden. Da haben wir gesagt: Dann gründen wir doch kurzerhand selbst einen“, sagt Tirgrath.

Was der Tod eines Kindes emotional hinterläss­t, könnten nur Leidensgen­ossen nachempfin­den, so Goemans. „Die Trauer ist immer präsent. Es ist schwer, von einem normalen Alltag zu sprechen“, so die Uedemerin. Insbesonde­re in der Weihnachts­zeit, an Geburtstag­en oder am Todestag würden die Gedanken an Jakob und Ben besonders laut werden. Katja Tirgrath und Lena Goemans sind bemüht, den Jungs weiterhin einen Platz einzuräume­n. Die vierjährig­en Söhne Theo und Ole dürften ihre Geschwiste­r niemals vergessen. „Es ist wichtig, dass die Jungs ein Bild vor Augen haben, dass sie die gemeinsame­n Geschichte­n hören. So geraten Ben und Jakob nie in Vergessenh­eit, das ist uns wichtig“, so Tirgrath.

Nun sind die Frauen zusammen mit ihren Ehemännern angetreten, um auch anderen Kraft zu spenden. Kraft, um die neue Normalität anzunehmen. „Man darf nicht vergessen, dass die lebenden Geschwiste­rkinder ein Recht darauf haben, ihr Leben zu leben. Sie dürfen trotz der Trauer nicht zu kurz kommen und verdienen feste Strukturen“, so Goemans. Ihr Sohn Jakob aß vor seinem Tod immer wieder Hähnchensc­hnitzel, bisweilen auch zum Frühstück. „Die Ärzte hatten gesagt, er solle alles essen, was ihm schmeckt. Schließlic­h verlieren Kinder, die an Neuroblast­om erkrankt sind, dramatisch an Gewicht. Das führte aber dazu, dass Theo nach dem Tod weiterhin nach Schnitzeln fragte, da er daran auch Geschmack gefunden hatte. Da merkt man, dass der Alltag noch längst nicht normal ist“, so die Mutter.

Bislang gehören dem Verein sechs Familien an. Doch man will noch mehr Menschen miteinande­r verbinden, um gemeinsam Aktivitäte­n auf die Beine zu stellen. Mitglied müssen sie allerdings nicht unbedingt werden. „Wir träumen davon, für und mit den betroffene­n Familien Ausflüge zu organisier­en, etwa in Freizeitpa­rks. Sie sollen sich um nichts kümmern, sondern einfach nur die Zeit genießen“, so Katja Tirgrath. Die Stehaufmän­nchen wollen nun auch Spenden sammeln, um sozial schwächere­n Familien den Spaß zu ermögliche­n. „Immerhin ist es auch so, dass die Zeit der Behandlung nicht nur emotional beanspruch­end, sondern häufig auch finanziell sehr belastend ist. Wir wollen, dass sich die Familien keinerlei Sorgen machen müssen. Es geht um Auszeiten, die sonst selten geworden sind“, sagt Initiatori­n Lena Goemans.

Vor Jahrzehnte­n sei man noch ganz anders mit der Trauer um ein verstorben­es Kind umgegangen. „Damals wurde vor allem geschwiege­n. Nach dem Tod wurde einfach nicht mehr über die Kinder gesprochen, sie gerieten bewusst in Vergessenh­eit. Glückliche­rweise geht man heute in vielen Familien anders mit dem Thema um. Das Sprechen ist für uns der Schlüssel“, sagt Tirgrath. Die Ausflüge und Reisen wolle man nutzen, um ins Gespräch zu finden. Um einander Rat zu geben, Kraft zu spenden. Auch Sommerfest­e oder Weihnachts­feiern wolle man als Verein künftig auf die Beine stellen. Man befindet sich jedoch noch in den Kinderschu­hen, weitere Impulse sind gerne gesehen. „Leider hört man immer wieder, dass Eltern nicht weiterlebe­n wollen, wenn das Kind versterben sollte. Natürlich hatte man auch selbst irgendwann solche Gedanken. Aber heute weiß ich: Wenn man sich anschaut, wie Ben gekämpft hat, schmeiße ich mein Leben doch nicht einfach so weg“, sagt die Vereinsgrü­nderin.

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Kata Tirgrath und Lena Goemans, Vorsitzend­e des Vereins Stehaufmän­nchen Niederrhei­n, der sich für Eltern einsetzt, die früh ihre Kinder verlieren.

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