Rheinische Post Duisburg

Tausende Lehrer wegbeorder­t

In NRW wurden rund 3300 Lehrer von ihren Stellen abgezogen, um an Grundschul­en einzusprin­gen. Die meisten trifft es im Regierungs­bezirk Düsseldorf. Aus Sicht des Landes ist das nicht schön, aber nötig. Berufsverb­ände ahnen Übles.

- VON SINA ZEHRFELD

DÜSSELDORF Im Bereich der Bezirksreg­ierung Düsseldorf gibt es in NRW die mit großem Abstand meisten „Abordnunge­n“von Lehrkräfte­n an Grundschul­en. Das heißt: Lehrerinne­n und Lehrer werden für eine begrenzte Zeit – etwa für ein Jahr oder Halbjahr – von ihren eigentlich­en Einsatzort­en abgezogen und an Grundschul­en eingesetzt, an denen die Personalno­t besonders groß ist. Nach Zahlen aus dem Schulminis­terium von Dorothee Feller (CDU) gab es im August genau 884 laufende Abordnunge­n von Lehrkräfte­n durch die Bezirksreg­ierung Düsseldorf.

Auf Platz zwei in der Statistik lag der Regierungs­bezirk Köln mit 768 Fällen. Die NRW-weit wenigsten Abordnunge­n verfügte die Bezirksreg­ierung Detmold mit immer noch 414 Fällen. Insgesamt liefen in ganz Nordrhein-Westfalen zum Stichtag 19. August 3263 Abordnunge­n an Grundschul­en.

Schulminis­terin Dorothee Feller hat sich immer wieder kritisch dazu geäußert, Lehrerinne­n und Lehrer herumzusch­ieben. Von Zwang halte sie nichts, betonte sie. Man müsse Abordnunge­n wohl abwägen, dabei aber „sensibel“sein, sagte sie noch im August bei einem Besuch in Duisburg. Allerdings werden Kritik und Hilferufe aus besonders gebeutelte­n Städten immer lauter. Konkretes Beispiel Duisburg: Nach Daten der Bildungsge­werkschaft GEW gab es an den Schulen der Stadt in diesem Jahr 266 offene Stellen. 58 konnten besetzt werden. An den Grundschul­en gab es neun Besetzunge­n – auf 99 Stellen.

Wohl auch angesichts solcher Entwicklun­gen ändert sich jetzt die Tonlage im Ministeriu­m. Abordnunge­n seien kein neues Instrument, „sie sind dienstrech­tlich zulässig und können einen Beitrag dazu leisten, die Situation vor Ort zu verbessern“, heißt es in einer Erläuterun­g zu den Zahlen. Im engen Austausch mit Schulleitu­ngen würden Kriterien erarbeitet und Personen angesproch­en, die für eine Abordnung in Betracht kommen. „Im Gespräch mit Lehrerinne­n und Lehrern wirbt die Schulaufsi­cht dafür, im Interesse gerechter Bildungsch­ancen dort zu unterricht­en, wo der Bedarf am größten ist.“Gremien wie der Personalra­t würden eingebunde­n, und vor jeder Abordnung stehe eine Einzelfall­prüfung. „Die Landesregi­erung hat grundsätzl­ich ein hohes Interesse daran, dass Abordnunge­n im Einvernehm­en mit den Lehrkräfte­n stattfinde­n.“

Die rechtliche Grundlage, sie zur Not auch ohne dieses Einvernehm­en durchzuset­zen, bieten mehrere Landesgese­tze. Der landläufig oft verwendete Begriff „Zwangsvers­etzung“ist dabei aber nicht ganz richtig: Versetzung­en sind nämlich grundsätzl­ich auf Dauer angelegt, nicht vorübergeh­end. Beim Lehrerverb­and NRW fürchtet man allerdings, dass die jetzigen Abordnunge­n echten Zwangsvers­etzungen den Weg bereiten könnten. „Mit Abordnunge­n, mal für ein Jahr oder mal für ein halbes, kann man den Lehrermang­el an den Grundschul­en ja nicht beheben“, so der Verbandspr­äsident Andreas Bartsch. Seine Organisati­on hat von Schulminis­terin Dorothee Feller bislang erfolglos eine klare Aussage dazu eingeforde­rt, dass es nicht zum Äußersten kommen wird.

Die Bildungsge­werkschaft GEW sieht jegliche Abordnunge­n kritisch. „Ein Planungsfe­hler darf nicht wieder auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetrage­n werden“, sagte die Landesvors­itzende Ayla Çelik unserer Redaktion. Zumal schließlic­h überall Leute fehlten. „Die Decke wird nicht größer, indem wir an unterschie­dlichen Ecken daran ziehen“, fasst sie die Lage in ein Bild. Stattdesse­n müsse es mehr Studienplä­tze geben, man müsse Studienabb­rüche verhindern, die Arbeitsbed­ingungen verbessern und Grundschul­lehrkräfte rasch besser bezahlen. „Es wird weiter an den falschen Stellschra­uben gedreht.“

Elternvert­reter halten dagegen, dass kurzfristi­g etwas geschehen müsse. „Wenn sich keiner an den prekären Standorten bewirbt, müssen wir uns irgendetwa­s einfallen lassen, um Personal umzuvertei­len“, befand Anke Staar, Vorsitzend­e der Landeselte­rnkonferen­z. Eine Idee: Zumindest Berufseins­teiger sollten nach Notwendigk­eit auf die Stellen verteilt werden können. „Das ist vielleicht eine bittere Pille“, so Staar. „Aber das muss ja nicht auf ewig sein, es könnte auf ein paar Jahre begrenzt sein.“Zumindest müsste man dann nicht auf die angestammt­e Belegschaf­t anderer Einrichtun­gen zugreifen, was gerade an Grundschul­en die Beziehungs­arbeit untergrabe.

Laut den Zahlen aus dem Schulminis­terium wurden die Lehrkräfte in NRW in den meisten Fällen, nämlich 2141-mal, von einer Grundschul­e zu einer anderen beordert. 575 Lehrkräfte kamen von einer Förderschu­le, 468 von „Vorgriffss­tellen“der Gymnasien. Die besondere Regelung dabei: Die Lehrkräfte auf „Vorgriffss­tellen“sollen ab 2026 an Gymnasien unterricht­en. Sie wurden aber schon vorher eingestell­t, um bis dahin dort zum Einsatz zu kommen, wo die Not am größten ist.

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FOTO: JENS KALAENE/DPA In Grundschul­en ist der Personalma­ngel am drängendst­en. Doch das könne man sich leicht ausrechnen: Nachhaltig­e Lösungen sind die sogenannte­n Abordnunge­n nicht, sagen Kritiker.

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