Rheinische Post Duisburg

„Eine Stradivari verzeiht nichts“

Der weltberühm­te Geiger über seine neue CD-Edition, den Vorteil, dass er nie unter Karajan gespielt hat – und seine Angst vor Wien.

- WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Frank Peter Zimmermann, 1965 in Duisburg geboren, zählt zu den bedeutends­ten Geigern der Gegenwart. Jetzt hat er seine 36-jährige Zusammenar­beit mit den Berliner Philharmon­ikern, seinem Lieblingso­rchester, durch eine grandiose Edition gekrönt: den Violinkonz­erten von Beethoven, Berg und Bartók unter den Dirigenten Daniel Harding, Kirill Petrenko und Alan Gilbert.

Herr Zimmermann, Sie haben in den vergangene­n Jahren Flexibilit­ät beweisen müssen, weil Ihnen in den Wirren um den West-LB-Nachfolger Portigon Ihre Stradivari, die „Lady Inchiquin“, für eine Zeitlang verloren ging. Was bedeutete das für die Aufnahmen?

ZIMMERMANN Für die beiden Bartók-Konzerte musste ich auf eine andere, eine frühe Stradivari ausweichen. Die habe ich – was für mich untypisch ist – mit extrem lauten, fast schrillen Saiten bespannt und dazu einen knüppelsch­weren Bogen genommen. Ich musste ja gegen Bartóks groß besetztes Orchester ankommen. Das hat jetzt etwas Kerniges, fast Amerikanis­ches.

Für das Konzert von Alban Berg, „Dem Andenken eines Engels“, ist dagegen die „Lady Inchiquin“ideal, oder?

ZIMMERMANN Ja, hier geht es um einen Todeskampf, hier muss man die Geige leiden lassen.

Sie hätten die Bartók-Konzerte sogar auf einer Guarneri spielen können, die Sie damals ebenfalls zur Verfügung hatten.

ZIMMERMANN Ja, das hätte sicher toll geklungen, da hätte ich die Sau rauslassen können.

Worin liegt der Unterschie­d? Warum ist die Stradivari etwas Besonderes?

ZIMMERMANN Bei einer Guarneri kann der Geiger auch mal schief im Sattel sitzen, das Instrument trägt ihn weiter. Bei einer Stradivari fällt man immer vom Pferd, sie wirft einen schnell aus dem Sattel. Das war ja auch der Grund, warum Yehudi Menuhin im Alter nur auf einer Guarneri gespielt hat: Die Guarneri verzeiht viel, die Stradivari verzeiht nichts.

Welche Fehler kann man bei einer Stradivari machen?

ZIMMERMANN Man darf mit der Linken nicht zu viel Vibrato geben, sonst klingt die Geige hysterisch und ordinär. Und wenn man zu viel Bogendruck gibt, klingt sie, als ob sie gewürgt wird. Größer wird der Ton dadurch keineswegs. Stradivari­Spezialist­en wie Nathan Milstein haben die Geige immer gestreiche­lt. Nur das entfaltet ihren Wohlklang.

Welche Rolle spielen die Saiten? ZIMMERMANN Wenn man Kunststoff­saiten verwendet, geht viel Geheimnis im Leisen und Farblichen verloren. Ich nehme Darmsaiten, die mit Aluminium oder Gold umsponnen sind, dann schwebt der Klang wie auf einer Wolke. Er hat eine Aura.

Sie haben alle Werke der CD-Box in der Berliner Philharmon­ie aufgenomme­n. Ich erinnere mich zusätzlich an Ihren Mitschnitt des AlbanBerg-Konzerts aus der Hamburger Elbphilhar­monie. Der klingt vorzüglich, aber wie war es im Saal? ZIMMERMANN Die Berliner Philharmon­ie ist für mich fast ein Mysterium. Die Elbphilhar­monie hat sich in den letzten zwei Jahren verbessert, aber es ist kein Vergleich. Es sind dort halt alles Gipswände. In Berlin hat man das Publikum in der Hand und spricht zu ihm.

Hat die Elbphilhar­monie Spielraum nach oben?

ZIMMERMANN Ja, bestimmt. Auch in Berlin hat Karajan noch Verbesseru­ngen vornehmen lassen. Noch schlimmer ist übrigens der Gasteig in München, aber der ist ja nun zum Glück geschlosse­n. Hamburg wird halt vom Geschmack des Akustikers Toyota bestimmt, der liebt ja analytisch klingende Säle.

Wenn Sie nach Berlin fahren, können Sie sich also doppelt freuen – auf den Saal und auf ein umwerfende­s Orchester?

ZIMMERMANN Beides gehört zusammen. Wenn ich dort spiele, ist das immer meine Woche des Jahres. Das Orchester hat sich über die Zeit aber auch verändert. Als ich mit ihm 1985 in der Waldbühne das Mendelssoh­n-Konzert gespielt habe, da saßen ganz andere Leute da als heute.

Sind Sie froh, dass Sie nie unter Karajan gespielt haben?

ZIMMERMANN Nun, er hat ja immer Anne-Sophie Mutter engagiert. Tatsächlic­h bin ich froh, dass ich damals nicht die ganzen Geigenschl­achtrösser mit ihm eingespiel­t habe. Denen reitet man sein ganzes Leben hinterher, weil die Leute meinen, das sei das Nonplusult­ra.

Wie definieren Sie den Berliner Sound?

ZIMMERMANN Als sehr männlich. Da fragt man sich als Geiger: Komme ich dagegen an? Ich erinnere mich an meine Aufnahme des Tschaikows­ki-Konzertes mit dem Orchester unter Lorin Maazel, da gibt es eine Tutti-Stelle des Orchesters, da dachte ich: Jetzt kann ich einpacken. Es klang wie das Stahlgerüs­t eines Wolkenkrat­zers in New York.

Aber die Musiker haben eine wahnsinnig­e Flexibilit­ät und Raffinesse, und die Holzbläser sind zum Niederknie­n. Für mich ist es immer die Heimkehr zu einer Familie.

Würden Sie eigentlich Ihre eigenen Aufnahmen bei einem Blindtest erkennen?

ZIMMERMANN Der frühe Zimmermann ist für mich fast einfach zu erkennen. Vieles klang damals bei mir Richtung David Oistrach. Aber neulich bin ich fast in Ohnmacht gefallen. Im Autoradio spielte jemand einen Satz aus der zweiten Sonate von Ysaye, und ich dachte: ein bisschen langweilig. Dann kam die Absage, ich war es selbst. Da dachte ich: Müsste ich vielleicht noch einmal aufnehmen.

Was unterschei­det den frühen vom späten Zimmermann? ZIMMERMANN Der Ausdrucksr­adius. Ich bin feinfühlig­er geworden, ich gehe an die Abgründe. Bei Stücken, bei denen ich früher gelassen war, geht es heute sehr oft um Leben und Tod. Es ist mir wirklich wichtig, die Extreme herauszuar­beiten.

Merkt man erst im Laufe der jahrelange­n Beschäftig­ung mit Werken, welches Potenzial sie bergen? ZIMMERMANN Ja, so ist es. Je älter man wird, desto mehr hat man verinnerli­cht und wird befreit, Neues zu riskieren. Man kann aber nicht alles haben. Man kann nicht 35 sein und riesige Erfahrung besitzen, anderersei­ts kann man nicht 70 sein und perfekt spielen. Jascha Heifetz ist das beste Beispiel dafür. Mit jungen Jahren hatte er einen makellosen Ton, später wurde der Ton etwas brüchig, aber wie er sich weiterentw­ickelt hat, das war umwerfend.

Von Heifetz ist bekannt, dass er bei Konzerten immer wahnsinnig nervös war. Wie ist das bei Ihnen? ZIMMERMANN Ich habe immer Lampenfieb­er. Immer.

Wo besonders?

ZIMMERMANN Im Wiener Musikverei­n, das muss ich als Piefke einfach sagen. Die Berliner nehmen einen sofort auf. Die Wiener sind auch nett, aber man weiß nicht, was sie denken. Natürlich stecke ich auch eine Woche in Berlin nicht so einfach weg, aber Wien ist wirklich schwer. Und es wird immer schwerer, je älter man wird.

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in seinem Kölner Haus.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Die Stradivari und ich: Frank Peter Zimmermann in seinem Kölner Haus.

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