Preußens fremdes Erbe
Der Große Zapfenstreich sollte den Einsatz in Afghanistan würdigen – und wurde zum Politikum. Die Kritik war teils hanebüchen und geschichtsvergessen. Sie zeigt aber auch einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel an.
Schauplatz Twitter, eine Videosequenz in Schwarz-Weiß. Dicht gedrängte Personen marschieren mit Fackeln in Reih und Glied, im Hintergrund der erleuchtete Reichstag, dazu streng taktgebende Blasmusik. „Nein das ist nicht 1933“, schreibt der Nutzer dazu, das sei der Große Zapfenstreich 2021. So oder so ähnlich lauten die zynischen Beiträge, die seit der militärischen Ehrung, die am Mittwochabend in Berlin stattfand, im Netz kursieren.
Da wird die Bundeswehr mit der Wehrmacht verglichen, ein uraltes Militärritual mit nationalsozialistischen Veranstaltungen. Dass der sogenannte Große Zapfenstreich einen angemessenen Schlusspunkt nach dem 20 Jahre andauernden gefährlichsten Einsatz der Bundeswehr, der Parlamentsarmee eines demokratischen Rechtsstaats, in Afghanistan setzen sollte, rutscht durch die Kritik in den Hintergrund. Mehr noch: Bei all den Todesopfern gebe es überhaupt gar nichts zu feiern, twitterte etwa Grünen-Politiker Christian Ströbele.
Bei alldem gerät nicht nur politisch, sondern auch historisch so einiges durcheinander. Das mag zunächst der Optik geschuldet sein: Im NS-Staat gehörten Fackelzüge zum Repertoire der politischen Inszenierung – zum Beispiel am 30. Januar 1933, nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, am Brandenburger Tor. Das rückt einen Großen Zapfenstreich der Bundeswehr aber noch lange nicht in die Kontinuität von SA und SS. In mancherlei Hinsicht ist das Gegenteil richtig: Die kühle Rationalität, die pragmatische Toleranz Preußens, aus dessen Militärtradition der Zapfenstreich in seiner heutigen Form stammt, war dem geifernden, vernichtungswütigen Nationalsozialismus tief wesensfremd. Selbst das hochreaktionäre, religiös-schwärmerische Preußen des 19. Jahrhunderts – damals entstand die Form des Rituals –, das mit dem friderizianischen Motto „Jeder nach seiner Fasson“schon nicht mehr so sehr viel anfangen konnte, ist Welten von der Proletenhaftigkeit der braunen Horden entfernt.
Aber was ist mit der Tradition? Dem preußischen Offizierkorps, das den Vernichtungskrieg ja geführt hat? Dem Tag von Potsdam 1933, als der Gefreite Hitler demütig dem Feldmarschall Hindenburg die Hand reichte? Auch all das hilft wenig, um geistige Kontinuität zu konstruieren: „Potsdam“war eine listige Schmierenkomödie, ein Propagandastück, für das sich das alte Preußen einspannen ließ – in Wahrheit blieb Hitler stets der Bohemien, der Künstler, der arbeitete, wenn ihn die Eingebung überkam, nicht wenn es gut preußisch die Pflicht geboten hätte. Seine Generäle hat er damit zur Verzweiflung getrieben.
Der militärische Widerstand gegen das NS-Regime speist sich nicht zufällig aus dieser altpreußischen Tradition. Das Wort vom „heiligen Deutschland“, das der Attentäter Stauffenberg, ein gebürtiger Bayer, in seinen letzten Worten beschworen haben soll, passt in das romantische Preußen des 19. Jahrhunderts – Hitler führte Deutschland nur im Munde, solange es ihm passte. Als der Krieg verloren war, kehrte sich sein Vernichtungswille gegen die Deutschen. Dass am Eingang von Buchenwald das preußische Motto „Jedem das Seine“steht, ist keine Reverenz an die vorurteilslos zuteilende Staatsmaschine Friedrichs des Großen, sondern ein obszöner Witz, allerdings einer, dessen Hinterhältigkeit noch heute verfängt.
Von den Lügen der Nazis Parallelen zum Zeremoniell der Bundeswehr zu ziehen, ist deshalb mutwillig geschichtsvergessen. Auch wenn eine
Die pragmatische Toleranz Preußens war
dem geifernden Nationalsozialismus
tief wesensfremd