Polizei betreut Clan-Angehörige
In einem neuen Programm werden Jugendliche aus Großfamilien präventiv begleitet.
(mas) Im Kampf gegen kriminelle Clans schlagen die Polizei und das NRW-Innenministerium nun einen weiteren Weg ein – und wollen so Jugendliche vor einer Karriere in den Kreisen türkisch-arabischstämmiger Großfamilien abhalten. Laut Innenminister Heribert Reul ist das Präventionsprojekt unter dem Titel „Integration, Orientierung und Perspektiven! 360 Grad – Maßnahmen zur Vorbeugung von Clankriminalität“in fünf Ruhrgebietsstädten angelaufen. In Duisburg werden neun Familien in dem Aussteigerprogramm betreut.
Für junge Menschen scheint ein Einstieg in die Machenschaften und Welt der organisierten Großfamilien verlockend: In Shisha-Bars werden Geschäfte abgewickelt, mit dem Rauschgifthandel Geld gemacht. Die Gewinne werden in Immobilien investiert. Viel Bargeld ist im Umlauf. Junge Männer können in teuren Sportwagen durch Duisburg fahren. Die Schattenseiten dieser Parallelwelt soll das Programm – so die Vorstellung des NRW-Innenministers – deutlich aufzeigen.
In Duisburg kümmern sich pädagogische Fachkräfte bereits um neun Jugendliche. Sie sind Angehörige von Clans, haben einen engen Kontakt zu den Großfamilien oder bewegen sich in deren Umfeld. Experten haben sie bei einem Screening-Verfahren identifiziert. Dabei bewerteten sie unter anderem strafrechtliche Auffälligkeiten, analysierten Clan-Strukturen und griffen auf Daten der NRW-Initiative „Kurve kriegen“zurück, bei dem die Polizei Duisburg jugendliche Intensivtäter anspricht.
Doch wie können die Pädagogen,
die nach Angaben der Landesregierung zum Teil „eigene mit der Zielgruppe korrelierende Migrationshintergründe“haben, auf die Jugendlichen einwirken? Es handle sich laut einer Antwort von Heribert Reul auf eine Kleine Anfrage im NRW-Landtag nicht um ein Aussteigerprogramm im klassischen Sinne. „Ein Ausstieg aus der Familie als Zielforderung wird nach Einschätzung vieler Experten selten bis gar nicht gelingen“, so Reul.
Im Fokus der präventiven Bemühungen stünde nicht, Familien auseinanderzudividieren. „Es geht darum, den Familienzusammenhalt zu stärken in der Erkenntnis, dass Kriminalität am Ende zu nichts führt“, heißt es in Reuls Stellungnahme. In Gesprächen mit den Jugendlichen und deren Eltern sowie sozialen Kompetenztrainings müssten „wahrnehmbare Alternativen“zur Kriminalität aufgezeigt werden. In einem Interview mit dieser Redaktion hatte Duisburgs Polizeipräsidentin Elke Bartels bereits unterstrichen: „Bildung ist der Schlüssel zu einem geordneten und erfüllten
Leben. Eine berufliche Karriere ist das beste Mittel gegen Jugendkriminalität.“Nach ersten Erfahrungen aus dem Projekt kommt besonders den Müttern der Familien eine große Bedeutung zu. Sie sind ein neuer Ansatzpunkt mit nicht zu unterschätzender Hebelwirkung in den Familienstrukturen. „Letztlich möchte keine Mutter ihr Kind im Gefängnis sehen“, berichtet Heribert Reul.
Die Polizei Duisburg ist bei dem Präventions- und Aussteigerprojekt eine von fünf Pilotbehörden. Die Stadt gehört laut des „Lagebildes Clankriminalität“des Landeskriminalamts zu den zehn Kommunen, die von Clankriminalität besonders belastet sind. So drohte beispielsweise im Frühjahr in Marxloh eine Auseinandersetzung zwischen der Polizei und libanesischen Clans zu eskalieren: Zweimal gerieten Einsatzkräfte im Mai bei Tumulten mit Clan-Mitgliedern aneinander. Am 22. Mai ging im Polizeipräsidium eine E-Mail ein, die eine Anschlagsdrohung enthielt.
Bei einer Razzia gegen kriminelle Clans im August machten Einsatzkräfte in einer Teestube in Rheinhausen einen großen Fund. Dort entdeckte die Polizei über einen Hinterhof eine illegale Spielhalle mit 19 Automaten. 153 Einsätze gegen kriminelle Großfamilien sind im Duisburger Polizeieinsatzbericht für 2019 registriert.
Nach Daten des Landeskriminalamtes beobachtet die Polizei in Duisburg insgesamt 111 kriminelle Familienclans. 3298 Personen sind nach Erkenntnissen der Experten in den kriminellen Strukturen organisiert.