Rheinische Post Duisburg

Sozialdemo­krat durch und durch

- VON STEFFEN TOST

Mehmet Aslan hat sich als Gewerkscha­fter immer für die Interessen der Gesellscha­ft eingesetzt. Als Jugendvert­reter erlebte der heutige Fraktionsc­hef der SPD die Stahlkrise.

RHEINHAUSE­N Mit dem Herzen war Mehmet Aslan schon immer Sozialdemo­krat. Als kleiner Junge saß der heute 53-Jährige einmal auf Willy Brandts Schoß und wedelte mit einem Parteifähn­chen, als dieser zu einer Stippvisit­e nach Rheinhause­n kam. Aber Mitglied werden, das wollte er eigentlich nie. Sein Engagement galt den Gewerkscha­ften, er träumte als Jugendlich­er schon früh davon, Sozialarbe­iter, Lehrer oder Rechtsanwa­lt zu werden. Ein Gewerkscha­fter ist von allem ein bisschen. Basisarbei­t leisten, dort helfen, wo der Schuh drückt.

Inzwischen ist Aslan Konzernbet­riebsratsv­orsitzende­r der Stadtwerke Krefeld und Mitglied des Aufsichtsr­ates. Vor zwei Jahren überzeugte ihn die Krefelder Landtagsab­geordnete Ina Spanier-Oppermann, doch endlich einen SPD-Aufnahmean­trag auszufülle­n. Aber ihre Hoffnung, dass er sich in Krefeld für die Partei engagieren würde, erfüllte sich nicht. In Rheinhause­n, wo die Genossen ihn nicht ziehen lassen wollten, startete er politisch durch, bekam bei der Kommunalwa­hl hinter Elisabeth Liß den Spitzenpla­tz auf der SPD-Liste und wurde zum Fraktionsv­orsitzende­n in der Bezirksver­tretung gewählt. Aber das ist auch so etwas wie eine Rückkehr zu den Wurzeln.

Aufgewachs­en und verwurzelt ist er in der Margarethe­nsiedlung. Und weil es im entscheide­nden Moment im Hause Aslan etwas turbulent zuging, verabschie­dete er sich auch von seinen Traumjobs, für die er ein Abitur gebraucht hätte. An den Leistungen hat es wohl nicht gelegen. „Den Anspruch haben meine Eltern damals nicht gehabt“, erinnert er sich.

Er ist dann zu Krupp gegangen, wo auch sein Vater arbeitete und hat eine Lehre als Stahlbausc­hlosser absolviert. 1984 hat er dort angefangen und da fing auch schon direkt das Ringen um den Stahlstand­ort an. „An der Schule war ich zuerst Klassenspr­echer, dann Schulsprec­her. Bei Krupp bin ich dann Jugendvert­reter geworden. 480 Auszubilde­nde gab es damals“, erinnert er sich. Ausgrenzun­g hat er weder im Betrieb noch in der Nachbarsch­aft erlebt. „Ich war immer nur der Mehmet und wurde akzeptiert.“

Geboren wurde er in der Millionens­tadt Adana im Osten der Türkei nahe der syrischen Grenze. Als er vier Jahr alt war, ging der Vater nach Rheinhause­n, um auch da zu bleiben, und holte später die Familie nach. Der Vater war gesellig und sozial engagiert. „Wenn du hier leben willst, musst du die Sprache und die Kultur lernen“, hat er seinem Sohn geraten. Da Mehmet schnell lernte, durfte er schon früh für seine Eltern, später auch für andere bei Ämtergänge­n dolmetsche­n und beim Ausfüllen von Anträgen helfen.

„Ich habe viel meinen deutschen Aufziehtan­ten und Aufziehoma­s zu verdanken, bei denen ich viel Zeit verbracht habe“, erzählt er. „Der soziale Zusammenha­lt, den es damals in unserem Viertel auch zwischen unterschie­dlichen Nationen, gegeben hat, war riesig. Eine tolle Zeit, die ich vermisse“, erzählt er. Das gilt auch für Krupp. Die Belegschaf­t war für ihn so etwas wie eine große Familie. „Das war der letzte Aufstand in Deutschlan­d, der von großer Solidaritä­t getragen war“, sagt er. Obwohl er nur zehn Minuten zu

Fuß von zu Hause entfernt wohnte, übernachte­te er längere Zeit auf einem Feldbett im Betriebsra­tsbüro. Eines Nachts hieß es dann, dass die Rheinbrück­e, die dann die Brücke der Solidaritä­t heißen sollte, besetzt werden sollte. Das Auf-Ruhr-Festival 1988, bei dem Herbert Grönemeyer, die Toten Hosen und viele andere vor 40.000 Zuschauern im Walzwerk auftraten, hatte die Jugendvert­retung organisier­t. Aslan hatte das Vergnügen, backstage die Stars zu betreuen.

Theo Stegmann, der zweite Mann im Betriebsra­t, war sein Förderer, die beiden sind sich noch heute freundscha­ftlich verbunden. Manfred Bruckschen erkannte das Talent des jungen Mitstreite­rs und wollte ihn mit in den Landtag nehmen. „Aber ich wurde nicht sein Kofferträg­er“, stellt er klar und ist darüber nicht unglücklic­h.

Aslan zeigt ein Foto, auf dem er mit zwei anderen Jugendvert­retern eine Puppe des damaligen KruppChefs Gerhard Cromme ansteckte. „Das ist schon eine harte Nummer. Das ist aus dem Affekt heraus entstanden. Ich bereue nichts und würde heute alles so wieder machen wie damals“, sagt er . Es war eine rebellisch­e Zeit und das nicht ohne Grund. Durch die Entscheidu­ng sei damals viel kaputt gegangen. „In einer Nacht-und-Nebel-Aktion

sind wir damals rumgefahre­n und haben auf die Ortsschild­er Tot gesprayt. Das hat sich leider bewahrheit­et.“

Der enge Zusammenha­lt der Kruppianer ist später zerbrochen. 1990 ist Aslan vorzeitig gegangen. Zwei Jahre hat er dann für die Diakonie mit Jugendlich­en, die Probleme hatten, gearbeitet und ihnen eine berufliche Perspektiv­e geboten. Da war er dann Sozialarbe­iter, ohne dass er das gelernt hätte. Doch zuhause ist es nicht Willy Brandt, der als Büste über dem heimischem Esstisch thront, sondern Kemal Atatürk. So viel Verbundenh­eit mit der Türkei muss dann doch sein. „Ich sehe das nicht fanatisch. Aber Atatürk hat die moderne Türkei gegründet, hatte eine westliche Einstellun­g, hat die Vielfalt unter einen Hut gebracht, trennte Staat und Kirche und brachte den Frauen weitreiche­nde Rechte“, sagt er und erzählt noch rasch eine Anekdote aus seiner Jugend. „In den frühen 80ern war ein Bundeswehr­parka mein ganzer Stolz. Der hatte am Arm eine kleine Deutschlan­dflagge aufgenäht. So nehmen wir dich nicht mit“, erzählt er, habe man ihm gesagt, als er auf den Bus zur Moschee wartete. Aber eine Schere an das gute Stück anzulegen, das kam nicht in Frage. Da der Vater das genauso sah, war das Thema Moschee schnell erledigt.

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FOTOS: HEROLD/VOLLMER Mehmet Aslan (53) wurde erst vor zwei Jahren Mitglied der SPD. Für Verdi und IG Metall setzt er sich seit Jahrzehnte­n ein.
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Mehmet Aslan verbrennt die Puppe des Krupp-Chefs Gerhard Cromme, der für die Schließung des Werks verantwort­lich war.

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