Bis zur Erschöpfung
Laura Dahlmeier ist trotz ihrer Krankheitsgeschichte in dieser Saison wieder die größte deutsche Medaillen-Hoffnung bei der Biathlon-WM. Für den Sieg wird sie wie die Konkurrenz an ihre Grenzen gehen müsssen.
DÜSSELDORF Wintersportler, die völlig ausgepumpt im Schnee liegen, die im Ziel nach Luft schnappen und mit wackeligen Beinen zur Siegerehrung laufen – bei der am Donnerstag beginnenden Biathlon-WM im schwedischen Östersund werden die Athleten wieder an ihre körperlichen Grenzen gehen. Auch Deutschlands Olympia-Star Laura Dahlmeier ist bekannt dafür, bis zur Erschöpfung zu laufen. Doch vor dieser Saison hatte ihr Körper ihr seine Grenzen deutlich aufgezeigt. Auch deswegen hoffen viele vor der WM, dass sie sich im Kampf um den nächsten Titel nicht überfordert.
Aber Dahlmeier scheint sich gut für den Saisonhöhepunkt vorbereitet zu haben. Sie zählt in dieser Saison nicht zur Weltspitze im Biathon-Weltcup – zumindest wenn man auf die Gesamtwertung schaut. Da liegt sie auf Rang 19. Das liegt vor allem daran, dass sie nur an vier Weltcup-Wochenenden in dieser Saison gestartet ist. Zehn Rennen ist sie dabei insgesamt gelaufen. Dahlmeier spielte im Weltcup nur eine Nebenrolle. Und der Weltcup spielte für sie nur eine Nebenroll. Er bot die Bühne für Training unter Wettkampfbedigungen. Mehr sollte er diesmal für Dahlmeier auch gar nicht sein. Sie wollte mit Blick auf die WM behutsam mit ihrem Körper, ihren Kräften umgehen.
Das hat einen guten Grund: Monatelang musste die siebenfache Weltmeisterin im Sommer und Herbst 2018 mit dem Training aussetzen. Erst verletzte sie sich bei einem Radsturz, dann kam eine Zahnoperation dazwischen. Es folgte ein Infekt nach dem anderen. Im Oktober entschied sie mit Mannschaftsarzt Klaus-Jürgen Marquardt, das Training erstmal ganz auszusetzen. Marquardt sprach damals von einem „ziemlich geschwächten“Immunsystem bei der 25-Jährigen. Sie brauche vor allem Ruhe, um sich von all dem erholen zu können.
Mit „all dem“war wohl auch der Trubel nach Olympia 2018 gemeint. Die Bayerin gewann dort zweimal Gold und einmal Bronze. Termin folgte auf Termin. Pausen gab es nur wenige. Als die Saisonvorbereitung wieder los ging, zwang sie ihr Körper zur Pause. Dahlmeier und die Ärzte wollten kein Risiko eingehen. Ihr Körper dürfe nicht zu früh wieder zu stark belastet werden. Das könnte schwerwiegende Folgen haben, sagte Marquardt. Außerdem gab es da ja noch das große Ziel Weltmeisterschaft. Gold im Sprint fehlt noch in ihrer Titelsammlung. Das soll sich in Östersund ändern. Und das mit „sauberen Mitteln“, wie sie nach dem Doping-Skandal um einige Langläufer betont. Sie sei „brutal schockiert“von dem Skandal. Das erschüttere auch die Biathleten. Im Namen der Mannschaft betonte sie aber: „Wir sind absolut sauber.“
Dass sie mit der Weltspitze mithalten kann, hat Dahlmeier in ihren zehn Rennen bewiesen. In neun davon landete sie im Einzel oder mit dem Team unter den Top Ten. In Antholz gewann sie den Massenstart, im kanadischen Canmore führte sie die Staffel zum Sieg. Nach dem Zieleinlauf wirkte Dahlmeier aber regelmäßig am Ende ihrer Kräfte. Ohnehin ist es nicht die erste gesundheitlich schwierige Phase für sie. In den vergangenen vier Jahren startete sie dreimal krank in den Winter. Bei der WM 2017, bei der Dahlmeier fünfmal Gold gewann, brach sie nach zwei ihrer Rennen zusammen. „Sie gehört zu den Persönlichkeiten, die auch mehr geben, als sie körperlich dazu in der Lage sind in dem Moment“, sagte Teamarzt Marquardt damals. Eine Situation, die wohl auch wieder eintreten wird, wenn Dahlmeier nun beim Saisonhöhepunkt um Medaillen kämpft.
Aber ist das auf Dauer gesund? „Die Athleten sind alle gut trainiert für diese Situationen. In der Schlussrunde musst du alles geben. Danach bist du dann einfach erschöpft. Die Laktatwerte im Körper sind dann oft so hoch, dass erstmal nichts mehr geht“, sagt die frühere Weltmeisterin und Olympiasiegerin Uschi Disl. Tatsächlich zusammenbrechen würden Biathleten nur sehr selten nach dem Rennen. Wenn sie im Schnee liegen, sehe das dramatischer aus, als es ist. „Meist ist es einem zu warm, und man legt sich in den Schnee, um abzukühlen und erstmal durchzuatmen“, sagt Disl.
Nach dem Auslaufen erhole sich der Körper schnell wieder. „Wenn man aber direkt zu Medienterminen oder in die Pressekonferenz muss, dann kann es schon mal zum Laktatstau im Körper kommen, und man wird wackelig“, erklärt Disl. Sie selbst kann sich nur an eine Situation erinnern, in der sie größere Probleme hatte: bei ihrem letzten Olympiarennen 2006 in Turin. Damals lief sie zu Bronze. „Da habe ich mich richtig ausgepowert und weiß nicht mehr genau, wie ich ins Ziel gekommen bin“, sagt sie.
Wenn ein Leistungssportler gesund sei, seien solche Ausnahmebelastungen nicht gefährlich, sagt der Sportmediziner Herbert Löllgen von der deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention. Gefährlich sei es aber, wenn man krank in einen Wettkampf gehe, zum Beispiel mit einer Erkältung. „Das kann dann schnell zu einer Herzmuskelentzündung führen. Das gilt auch für jeden Hobbysportler“, mahnt Disl. Dahlmeier wird hoffen, dass sie gesund bleibt und sich am Ende ausgepowert über Gold freuen darf.