Erdogan träumt von Waffenschmieden
Der türkische Staatschef will sein Land von ausländischen Rüstungslieferanten unabhängig machen und mit Exporten Geld verdienen.
ANKARA Es summt und piepst, die Bildschirme im Cockpit flimmern, die Instrumente leuchten. Alles scheint zu funktionieren. Aber vom Start ist der Hubschrauber noch einige Wochen entfernt. „Wir testen alle Systeme, erst dann geht dieser T129 in die Luft“, sagt Yusuf Ekiz. Der junge Türke ist in Deutschland aufgewachsen. Jetzt ist er in die Türkei zurückgekehrt, arbeitet als Manager für Unternehmenskommunikation bei Turkish Aerospace (TAI). „Dieses Unternehmen hat Zukunft“, sagt Ekiz beim Rundgang durch die große Montagehalle, in der ein Dutzend Helikopter auf ihre Fertigstellung wartet.
Im Konferenzsaal des Staatsunternehmens reiht sich in einer großen Vitrine ein Modell ans andere: Transportflugzeuge, Kampfjets, Satelliten, Hubschrauber, Passagiermaschinen. Einige davon fliegen bereits, wie der leichte Kampfhubschrauber T129 Atak und die Drohne „Anka“. Anderes ist noch Zukunftsmusik, wie das Tarnkappenflugzeug TF-X.TAI hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen gemacht. Mitte der 1980er Jahre begann das Unternehmen mit der Lizenzfertigung von F-16-Kampfflugzeugen des US-Herstellers General Dynamics. Inzwischen liefert die Firma auch Bauteile an Airbus, Boeing und Lockheed Martin.
Doch dabei soll es nicht bleiben. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat große Pläne: Er will eine nationale Rüstungsindustrie aufbauen. Die Türkei soll zum Waffenexporteur und das eigene Militär von ausländischen Lieferanten unabhängig werden. Letzteres ist ein aktuelles Thema: Weil Erdogan in Russland Flugabwehrraketen geordert hat, droht Washington der Türkei mit einem Lieferstopp für amerikanische F-35-Kampfflugzeuge.
Erdogans Dogma: Die Türkei muss mit einer eigenen Rüstungsproduktion autark werden und ihre Rolle als Führungsmacht im Nahen Osten untermauern. Der Atak ist dafür nur ein Beispiel. Bei TAI arbeitet man bereits am Atak-2, einem schweren Kampfhubschrauber. Die satellitengesteuerte Drohne Anka ist schon bei der türkischen Armee im Einsatz, unter anderem über den Grenzen zum Irak und Syrien. Jetzt verhandelt die Türkei mit Indonesien über einen Exportauftrag für sechs Exemplare.
Auch bei der Modernisierung ihrer Kriegsmarine setzt die Türkei auf eigene Schiffe. Anfang November wurde die dritte selbst ge- baute Korvette dem Kommandeur der Seestreitkräfte übergeben. Derweil laufen beim Fahrzeughersteller BMC, einem türkisch-katarischen Gemeinschaftsunternehmen, die Vorbereitungen für eine Serienproduktion des ersten türkischen Kampfpanzers Altay. Er basiert auf dem südkoreanischen K2. Das erste Exemplar soll in 18 Monaten von der Montagelinie rollen. „Es wird der beste Panzer der Welt“, verspricht Ethem Sancak, BMC-Mitinhaber und zugleich Vorstandsmitglied der Erdogan-Partei AKP.
Noch ist allerdings unklar, mit welchen Motoren und Getriebe der Altay fahren wird. Bei diesen Komponenten ist die Türkei noch auf ausländische Lieferanten angewiesen. Ursprüngliche Überlegungen, den Panzer mit Antriebstechnik des deutschen Herstellers MTU auszurüsten, werden offenbar überprüft – man fürchtet deutsche Exportrestriktionen. Die Grünen im Bundestag wollen die Außenwirtschaftsverordnung dahingehend ändern, dass künftig technische Unterstützung bei der Entwicklung und Herstellung von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern im Ausland genehmigungspflichtig wird. Bisher gilt das nur für chemische und biologische Waffen.
Vor dem gleichen Dilemma steht man bei den Hubschraubern. Pakistan will 30 Atak-Maschinen ordern. Aber in dem Helikopter, der
Erdogan lässt auch an einer Superwaffe arbeiten, einer elektromagnetischen Kanone
auf dem italienisch-britischen A129 basiert, steckt jede Menge ausländische Technik, auch amerikanische Komponenten. Das erfordert eine Exportgenehmigung der USA – auf die man in Ankara bisher vergeblich wartet.
Erdogan, der sich im neuen Präsidialsystem die militärische Beschaffungsbehörde SSB direkt unterstellt hat, drängt deshalb auf eigene Entwicklungen. Das soll die Türkei nicht nur unabhängiger von ausländischen Exportgenehmigungen machen. Auch vor dem Hintergrund der Lira-Schwäche macht es Sinn, möglichst viele hochwertige Komponenten selbst zu fertigen.
So arbeiten bei BMC jetzt rund 200 Ingenieure an der Konstruktion eines eigenen Antriebs für den Kampfpanzer Altay. Für die Drohne Anka, die noch mit einem deutschen Dieselmotor fliegt, konstruiert Turkish Aerospace jetzt ebenfalls einen eigenen Antrieb, um den Flugkörper ungehindert exportieren zu können. Anfang November gab die Rüstungsbehörde SSB auch grünes Licht für die Entwicklung eines Triebwerks für den geplanten Tarnkappenjet TF-X - ein ehrgeiziges Vorhaben, denn die Entwicklung einer neuen Flugzeugturbine könnte mehr als ein Jahrzehnt dauern und einen zweistelligen Dollar-Milliardenbetrag verschlingen.
Die ständig wachsenden Werksanlagen von Turkish Aerospace nordwestlich von Ankara zeigen, wie viel Geld sich die Türkei den Auf- bau einer eigenen Rüstungsindustrie kosten lässt. Davon profitiere die Kampfkraft der Armee, heißt es in Ankara. Drei Viertel der im türkischen Syrienfeldzug eingesetzten Waffen stammen bereits aus eigener Produktion. Das Sortiment der türkischen Waffenschmieden reicht mittlerweile von Pistolen und Schnellfeuergewehren über Radpanzer bis hin zu Raumfahrzeugen wie dem Spionagesatelliten Göktürk, der in 700 Kilometern Höhe die Erde umkreist. Erdogan lässt auch an einer Superwaffe arbeiten, einer elektromagnetischen Schienenkanone, die Geschosse mit sechsfacher Schallgeschwindigkeit abfeuern soll.
Noch ist der Aufbau der türkischen Rüstungsindustrie ein Zuschussgeschäft. Aber die Investitionen beginnen sich auszuzahlen. In diesem Jahr dürften die Exporterlöse gut zwei Milliarden Dollar erreichen. Erdogan hat große Ziele: 2023, wenn sich die Gründung der türkischen Republik zum 100. Mal jährt, soll das Land im Rüstungsexport 25 Milliarden Dollar verdienen.