Verrat und Verdächtigungen
Natasha Stagg lebt in Brooklyn, sie schreibt für die tollsten US-Magazine, und nun hat sie einen Roman veröffentlicht, der cool ist und brutal und satt von Gegenwart. „Erhebungen“heißt er, und das Original hat die tolle Chris Kraus (“I Love Dick“) in den USA in ihrem Verlag veröffentlicht. Es geht um Colleen, sie ist 23 Jahre alt und hat einen öden Job an einem Marktforschungsinstitut in Tucson, Arizona. Sie schlafwandelt durch ein Leben zwischen stumpfem Arbeitsalltag, ermüdenden OneNight-Stands und ihrer nie fertig eingerichteten Wohnung in einem gesichtslosen Apartmentblock in der Peripherie. Nur online ist sie lebendig und wird bald von dem geheimnisvollen Jim entdeckt. Als Paar werden sie zu Social-Media-Stars. Natasha Stagg geht mit dem Buch nun auf Lesereise, und am 20. September stellt sie es ab 20 Uhr im King Georg in Köln (Sudermannstraße 2) vor. hols Rock Es ist faszinierend zu sehen, wie alte Hasen ihre Werke vollenden. Paul McCartney und Paul Simon etwa. Sie sind beide 76 Jahre alt, und beide veröffentlichten soeben neue Alben. Sie blicken zurück, sie sind wehmütig und nostalgisch. Viele Stücke auf McCartneys aktueller Platte „Egypt Station“klingen denn auch, als seien es alte. Sein amerikanischer Kollege Paul Simon geht einen anderen Weg, kommt allerdings an derselben Stelle heraus wie Sir Paul: Er nimmt eigene Lieder aus den Jahren zwischen 1973 bis 2011 und interpretiert sie neu.
„In The Blue Light“heißt das Album, und tatsächlich bietet Paul Simon darauf ausschließlich Updates bereits bekannter Kompositionen. Er deutet sie um, er arrangiert sie anders, er singt sie mit der Weisheit des alten Mannes. Solche Projekte sind gefährlich, Paul Simon gelingt es aber ziemlich gut. Die Arrangements sind feiner, Simon vereinfacht die Stücke, ohne sie simpler zu machen. Er greift seinem früheren Autoren-Ich unter die Arme, er reicht ihm über Jahrzehnte hinweg die Hand, und gemeinsam schleifen sie die über- Roman Es wäre so schön, wenn Maxim Biller für diesen Roman den deutschen Buchpreis bekäme. Denn dann müsste er eine Dankesrede halten und noch ein, zwei Buchpreislesungen hinter sich bringen, und vermutlich wäre ihm dabei nicht ganz wohl, und wenn ihm nicht ganz wohl ist, läuft er zur Höchstform auf. Das war schon bei seiner Kolumne „100 Zeilen Hass“so und in seinem Selbstporträt „Der gebrauchte Jude“. Biller steht sich und der Welt unversöhnlich gegenüber, auch in seinem neuen Buch ist das so. „Sechs Koffer“erzählt eine Familiengeschichte – die der des Autors entfernt ähnelt –, es ist ein Krimi, es geht um die Frage, wer den Großvater einst an den sowjetischen Geheimdienst verraten hat. Vater, Mutter, Onkel, Tante, Schwester, alle leben längst im Exil, und niemand will es gewesen sein. Biller erzählt vom Verrat und Verdächtigungen. Er widmet seinen Figuren je ein Kapitel und verwickelt sich kunstvoll in Widersprüche. Pointiert und auf den Punkt. kl sehenen Preziosen. Am radikalsten bei „How The Heart Approaches“, das nun ein Jazz-Stück für die Nachtstunden ist. Der Höhepunkt der neuen Version ist der Trompeten-Einsatz von Wynton Marsalis. Zwischen Folk und Jazz changieren die neuen Arrangements, für „Darling Lorraine“und zwei weitere Stücken bittet Paul Simon den Jazzgitarristen Bill Fri- sell dazu. „Can’t Run But“hat etwas von „Peter und der Wolf“. Und wer genau hinhört, wird merken, dass sich die Weltsicht des Mannes, der gerade erst angekündigt hat, seine Karriere beenden zu wollen, verändert hat. „Love“war im Jahr 2000 ein düsteres Lied, nun klingt es viel optimistischer, und Paul Simon hat sogar den Text geändert: „Just love yourself and pass it on“, singt er.
Mag man sich gerne dran halten.
Philipp Holstein