„Ich kann das einfach nicht glauben“
Nach der Veröffentlichung der Hintergründe, die zur Entpflichtung des Klever Pfarrers geführt haben, sind die Gemeindemitglieder fassungslos. Das Bistum Münster erklärt, es habe nie über Burn-out als Begründung nachgedacht.
KLEVE Die Vorabendmesse in der Klever St.-Anna-Pfarrkirche beginnt mit Gotteslob, Nummer 144: „Nun jauchzt dem Herren, alle Welt...“Es ist der erste Gottesdienst, nachdem die Rheinische Post über die Hintergründe berichtet hat, die zur Entpflichtung des Gemeindepfarrers geführt hatten. Über einen Zeit-
Der Priester war am Samstag zu Gesprächen in Münster. Gegenstand der Unterhaltung: die
aktuelle Situation
raum von knapp zwei Jahren hatte der Geistliche teilweise sehr intime Whatsapp-Nachrichten mit einem Minderjährigen ausgetauscht. Der Jugendliche hatte sich, nachdem für ihn der psychische Druck zu groß wurde, an einen Seelsorger gewandt. Dieser informierte das Bistum, das mit der Entpflichtung schnell reagierte.
Etwa 80 Gläubige sind zur Messe gekommen. Ein Gottesdienst wie jeder. Doch kurz vor dem Schlusssegen tritt ein Diakon an den Ambo. Er verliest eine Mitteilung von Felix Genn, Bischof von Münster. Der Oberhirte bezieht Stellung zu dem Artikel. Einige Gläubige schütteln den Kopf. Vor der Kirche regt sich eine ältere Dame auf: „Eine Schande, ich kann es nicht mehr hören.“Sie ärgert sich über die Worte aus Münster, die aus ihrer Sicht eindeutig sind: Es gehe der Kirche darum, etwas zu verheimlichen und einen Priester zu decken. Einen Mann, der Menschen helfen solle und nicht schaden. Niemand will sich über den ehemaligen Pfarrer äußern. Die meisten Gottesdienstbesucher wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Eine Frau sagt: „Ich kann das einfach nicht glauben.“
Das Bistum Münster hatte am Wochenende in einer Mitteilung zu der Entpflichtung Stellung genom- men. Als Grund wurde ein „unangemessenes Kommunikationsverhalten“des Priesters gegenüber dem Jugendlichen der Gemeinde angegeben. Den kompletten Text finden Sie auf unserer Website. Es heißt dort, das Bistum bedauere zutiefst, dass der Jugendliche durch das Verhalten des früheren Pfarrers so leiden müsse. Allerdings gebe es keinen Hinweis auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Pfarrers. Das Vorgehen des Bistums in diesem Fall sei zu jedem Zeitpunkt eng mit der Familie des betroffenen Jugendlichen abgestimmt worden.
Den Vorwurf der Mutter des Jungen, man habe die Entpflichtung des Pfarrers zunächst nicht mit un- angemessenem Kommunikationsverhalten, sondern mit einem Burnout des Pfarrers begründen wollen, dementiert das Bistum in seiner Stellungnahme. Unserer Zeitung liegen allerdings mehrere Aussagen von am Verfahren beteiligten Personen vor, die einen solchen Verdacht begründen. Unter anderem eine eidesstattliche Versicherung der Mutter des betroffenen Jugendlichen, mit der unsere Redaktion im Zuge der Berichterstattung in regelmäßigem Kontakt steht.
Nach dem Dementi aus Münster hat unsere Redaktion das Bistum ebenfalls um die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung gebeten, um die eigene Darstellung zu untermauern. Das lehnte ein Bistumssprecher gestern ausdrücklich ab: Mit Rücksicht auf das Wohl der Familie strebe man keine Konfrontation an; auch weil man bisher alles im besten Einvernehmen mit der Familie des betroffenen Jugendlichen geregelt habe. Trotzdem bleibe das Bistum bei seiner Version des Geschehens: Wenn das Thema Burn-out überhaupt eine Rolle gespielt habe, dann weil es im Gespräch beim Bistum von der Mutter des Jungen aufgebracht worden sei. Die Mutter war gestern nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
Der Priester war am Samstag zu Gesprächen in Münster. Gegenstand der Unterhaltung: die aktuelle Situation. Details zum Treffen wollte das Bistum nicht veröffentlichen.
Wie der Anwalt des 48-Jährigen gestern auf Anfrage unserer Redaktion erklärte, ist seinem Mandanten bewusst, dass Kleve für ihn nicht der richtige Ort ist, um Abstand zu gewinnen. „Zunächst hat er noch einige persönliche Dinge zu klären. Sobald dies erledigt ist, wird er sich seine Auszeit nehmen“, sagte der Jurist.
Heute trifft sich der Kirchenvorstand der Klever Pfarrgemeinde, um über die neue Situation zu beraten. So will man sich in dem Gremium offenbar abstimmen, ob eine Stellungnahme zu den Vorfällen abgegeben wird.