Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die richtige Geburtsklinik
Für werdende Eltern ist es nicht einfach, die erfahrenste Geburtsklinik in ihrer Region zu finden. Viele Informationen, die für eine gute Wahl hilfreich sind, werden nicht veröffentlicht oder sind für Laien unverständlich. Ein Ratgeber – vor allem in Pand
DÜSSELDORF Es ist ein schöner Film. Vier Minuten dauert er. Darin präsentiert eine Klinik am Niederrhein kurz ihr Leistungsangebot bei der Geburtshilfe. Ein gemütliches Patientenzimmer ist zu sehen. Ärzte, Pfleger und Eltern lächeln viel. Der Chefarzt empfängt eine werdende Mutter, eine junge Assistenzärztin übergibt ein Baby an junge Eltern. Derlei Imagefilme sind nahezu auf jeder Klinikwebsite zu finden. Ihr Nutzen ist klar. Sie sollen den baldigen Eltern die Klinik nahebringen. Sie sollen damit auch eine kleine Entscheidungshilfe sein.
Doch freilich gibt es ganz andere Kriterien, die eine gute Geburtsklinik auszeichnen als schöne Videobilder. Eine der zentralen Informationsquellen für werdende Eltern sind Studien zufolge die Kreißsaalführungen. Doch die sind wegen der Coronavirus-Pandemie in fast allen Krankenhäusern ausgesetzt. Also worauf achten? Die entscheidenden Hinweise, die werdende Eltern bräuchten, um eine informierte Wahl zu treffen, werden entweder von den zuständigen Behörden gar nicht erhoben oder nur in Fachpublikationen veröffentlicht.
Letzten Endes geht es nicht vornehmlich um Räumlichkeiten und technische Ausstattung. „Es geht um den Faktor Mensch“, sagt Frank Louwen, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. „Eltern fragen in Geburtskliniken häufig nach Dingen, die zweitranging sind“, sagt auch Maike Manz, Hebamme und leitende Oberärztin der Geburtshilfe am Klinikum Darmstadt. Zum Beispiel danach, wie die Kreißsäle aussähen oder ob es Familienzimmer gebe. „Das liegt daran, dass Eltern verständlicherweise davon ausgehen, dass in einem Krankenhaus immer das nötige Personal vor Ort ist. Das ist aber nicht der Fall.
Gemeinsam mit dem Kölner Science Media Center hat unsere Redaktion alle 150 Geburtskliniken in Nordrhein-Westfalen nach ihrer personellen Ausstattung gefragt. Mit weiteren Medienpartnern erfolgte die Abfrage bundesweit. Dabei lag der Fokus auf jenen Kriterien, die Experten in mehreren Vorgesprächen als besonders relevant für die Qualitätsbewertung nannten. Wir fragten zum Beispiel: Sind rund um die Uhr ein Narkosearzt, ein Kinderarzt und ein Facharzt für Gynäkologie anwesend? Ist überhaupt eine Kinderklinik vorhanden? Denn nicht jede Geburtsklinik hat automatisch auch eine Kinderklinik angeschlossen. Zudem fragten wir nach der Zahl der Hebammen sowie nach der Anwesenheit von Laktationsberatern. Rund 40 Prozent der Kliniken in NRW haben an der freiwilligen Befragung teilgenommen. Ein Blick auf einige der wichtigsten Kriterien, auf die Eltern bei der Wahl ihrer Geburtsklinik besonders achten sollten.
Anästhesist In allen Kliniken, die geantwortet haben, ist durchgehend ein Narkosearzt anwesend. Auch bei jenen, die nicht geantwortet haben, ist zunächst davon auszugehen, da Anästhesisten in Kliniken in vielen Bereichen gebraucht werden – zum Beispiel bei Operationen, auf Intensivstationen oder der Schmerztherapie. Werdende Eltern sollten sich dennoch nicht davor scheuen, nach der dauerhaften Anwesenheit eines Anästhesisten zu fragen. Hierbei geht es nicht um Rufbereitschaft. Ein Anästhesist sollte stets vor Ort sein.
Kinderarzt/Kinderklinik 15 Prozent der Klinken haben nicht rund um die Uhr einen Kinderarzt im Haus. Bei 37 Prozent ist dies der Fall. 49 Prozent haben auf die Frage nicht geantwortet. Nur weil es sich um eine Geburtsklinik handelt, bedeutet dies nicht automatisch, dass auch eine Kinderklinik angeschlossen ist. So ist es auch möglich, dass vor allem kleinere Geburtskliniken mit Kinderärzten zusammenarbeiten, die nahe des Hauses sitzen. Diese Ärzte stehen jedoch nicht rund um die Uhr zur Verfügung. Etwa elf Prozent aller Neugeborenen müssen vom Kreißsaal in eine Kinderklinik verlegt und dort behandelt werden. „Wenn ein Geburtshelfer weiß, der Kinderarzt ist nicht vor Ort, sondern hat einen Anfahrtsweg von vielleicht einer halben Stunde, dann wird dieser Geburtshelfer immer sein Handeln danach ausrichten müssen“, sagt Oberärztin Maike Manz: „In vielen Fällen wird das dazu führen, dass er die Geburt lieber abbricht und einen prophylaktischen Kaiserschnitt
macht, obwohl das gar nicht notwendig gewesen wäre.“
Kliniktyp Geburtskliniken werden in vier Spezialisierungslevel eingeteilt: Level-I- und Level-II-Kliniken sind sogenannte Perinatalzentren. Sie haben die höchste Versorgungsstufe und müssen strenge Auflagen bei Ausstattung und Personal erfüllen. Dort können alle Frauen gebären. Die Kliniken sind aber besonders auf Risikogeburten spezialisiert. Level-IIIund Level-IV-Kliniken müssen dagegen weniger bis nahezu gar keine gesetzlichen Auflagen beim Personal erfüllen. Geantwortet haben in unserer freiwilligen Umfrage weitgehend die Level-I- und Level-II-Kliniken. Kliniken mit einer nicht so hohen Spezialisierung waren also eher zurückhaltend bei der Beantwortung der Fragen.
Hebammen In jeder Geburtsklinik arbeiten Hebammen. Doch nicht in jeder Geburtsklinik ist ihre Zahl ausreichend für die dort jährlich bewältigten Geburten. „Wir fordern, wenn eine Frau zur Geburt in einem Kreißsaal kommt, dass eine Hebamme für sie da sein kann“, sagt Frank Louwen: „Es hört sich so selbstverständlich an, aber in vielen Kreißsälen in Deutschland ist es so, dass eine Hebamme sich um vier oder fünf Frauen gleichzeitig kümmert. Ich bin für Eins-zu-Eins, um es ganz klar zu sagen. Ich glaube, wir sollten in den Beginn des Lebens investieren.“
Eine Leitlinie für Geburtskliniken aus dem Jahr 2015 empfiehlt für Kliniken mit bis zu 600 Geburten 5,65 in Vollzeit angestellte Hebammen. Je 100 weitere Geburten sollen Kliniken 0,93 Stellen zusätzlich haben. Die Leitlinie gibt an, damit sei zu 95 Prozent eine Eins-zu-Eins-Betreuung möglich. Insbesondere Kliniken mit vielen Geburten halten die Leitlinien-Empfehlung nicht ein – was sie aber auch nicht müssen. Dennoch liefert die Leitlinie einen vergleichbaren Qualitätsstandard. Bundesweit gaben in unserer gemeinsamen Umfrage 261 Kliniken verwertbare Daten für ihre Hebammen ab.
Bei Kliniken mit mehr als 1500 Geburten erfüllen 53 nicht die in der Leitlinie empfohlene Zahl an Hebammen. 43 tun dies. Bei einer Klinikgröße von 500 bis 1000 Geburten konnten dagegen 64 Häuser die Vorgabe erfüllen, 18 konnten dies nicht.
Entfernung Die meisten Frauen wollen nahe des Wohnorts entbinden – was per se auch kein Problem ist, sollte die erfahrenere Klinik nicht wenige Autominuten mehr entfernt liegen. Gynäkologin Maike Manz sagt: „Ich denke, eine halbe Stunde Fahrt kann man ohne Sorge einkalkulieren.“Eltern kämen heute oft eher zu früh in die Klinik als zu spät. Eltern sollten hier in jedem Fall noch einmal abwägen, sagt auch Frank Louwen: „Wie weit ist die nächste, besser ausgestattete Klinik entfernt? Wie viel weiter müsste ich wirklich fahren? Und ist mir die Sicherheit, die ich dadurch gewinne, das nicht wert?“