Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wenn Corona bleibt
Bis Ende des Jahres wollen die Behörden die Pandemie überwunden haben. Doch das gefährliche Virus wird noch lange Zeit nicht vollständig verschwunden sein – und unser Alltag wird nicht mehr so sein wie vorher.
In den 1980er-Jahren fühlten sich viele Menschen urplötzlich an etwas erinnert, das über Jahrzehnte schon ausgerottet schien. Die tödliche Infektionskrankheit Aids suchte die Menschheit heim. Inzwischen gilt eine HIV-Infektion als kontrollierbar, die Viruslast kann so weit gesenkt werden, dass ein Patient nicht mehr ansteckend ist. Trotzdem infizieren sich allein in Deutschland jedes Jahr zwischen 2000 und 3000 Menschen. Und Begriffe wie Safer Sex, Kondom-Benutzung oder Prophylaxe haben unser Geschlechtsleben verändert.
Die Folgen der Corona-Pandemie dürften ähnlich einschneidend sein, selbst wenn die Herdenimmunität erreicht ist. Wann immer es zu lokalen Ausbrüchen kommt oder das Virus resistent gegen die vorhandenen Impfstoffe wird, müssen die Behörden eingreifen, kurze Lockdowns verhängen oder neue Impfkampagnen starten. Entsprechend wird sich die Arzneimittelforschung noch lange Zeit mit den Mutanten des Virus beschäftigten und Milliarden Euro weltweit einsetzen. „Wir werden noch 20 Jahre und mehr mit dem Coronavirus leben müssen“, prognostiziert auch der Kölner Infektiologe Matthias Schrappe, der bis 2011 Vizevorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit bei der Bundesregierung war.
Masken, Tests und Impfungen werden also nicht so schnell aus unserem Alltag verschwinden. Auch Reisen und Massenveranstaltungen sind auch nach der Pandemie wohl auf absehbare Zeit nur mit strengen Hygienekonzepten und Vorsorgemaßnahmen möglich.
Noch ist nicht genau absehbar, wie die Zeit nach der akuten Verbreitung der Covid-Krankheit aussehen wird. Klar ist aber schon jetzt, dass unser
Gesundheitssystem gewaltig aufrüsten muss. Der Düsseldorfer Medizinsoziologe Nico Dragano sieht da noch gewaltige Mängel. „Wir brauchen eine Neuaufstellung des öffentlichen Gesundheitssystems“, fordert der Forscher. „Die Gesundheitsämter müssen digitaler werden. Wir brauchen in Zukunft ein Monitoring-System, um gefährliche Krankheiten frühzeitig überwachen zu können.“
Der Kölner Gesundheitsexperte Schrappe plädiert für eine stärkere Konzentration der Forschung auf Anti-Corona-Medikamente. „Wir benötigen dringend eine bessere medikamentöse Behandlung der Covid-Patienten. Die Impfung ist wichtig, kann es allein aber nicht richten. Die Krankheit wird zur Normalität gehören, deshalb brauchen wir wirkungsvolle Medikamente.“Es müssten auch verstärkt Ersatzkliniken und Pflegekräfte im Wartestand bereitstehen, um eine künftige Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.
Die zweite große Herausforderung betrifft die sozialen Folgen. „Die Pandemie hat die Ungleichheit verschärft“, sagt der Medizin-Soziologe Dragano. Ein Phänomen, das bei allen Volkskrankheiten anzutreffen ist, egal ob Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und psychische Probleme. Dragano: „Sie treffen vor allem die ärmeren Schichten.“In Deutschland beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen armen und reichen Männern acht Jahre. Wohlhabende Frauen leben im Schnitt viereinhalb Jahre länger als ihre ärmeren Geschlechtsgenossinnen. „Die Schere könnte noch weiter aufgehen“, befürchtet Dragano.
Umbrüche sind durch die Corona-Pandemie auch für die Arbeitsplätze der Menschen zu erwarten. Digitalisierung und Automation haben einen
„Die Krankheit wird zur Normalität gehören, deshalb brauchen wir wirkungsvolle Medikamente“
Matthias Schrappe Infektiologe