Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der andere Blick auf die Stadt
Um das Image von Krefeld ist es nicht zum Besten gestellt. Aber vor allem junge Leute sehen das ganz anders – und haben sich für ein Leben in der einstigen Seidenstadt entschieden. Das erzeugt Aufbruchsstimmung.
Philipp Schnabel dürfte gar nicht hier sein. Folgt man der legendären Lust der Krefelder, über ihre Stadt zu meckern, hätte sich ein 28-jähriger Jungunternehmer und Nicht-Krefelder für das Umland entscheiden müssen. Es gibt zudem eine ganze Reihe von Stadt-Rankings, in denen Krefeld verlässlich auf einem mäßigen bis schlechten Platz landet. Schnabel aber sagt: „Krefeld ist sehr facettenreich.“Gefragt nach Krefelds Schwächen, fragt er zurück: „Was heißt Schwächen?“Und beginnt von Krefelds Parks und Seen zu erzählen, vom Reichtum der kulturellen Szene und davon, wie viel er mit seinem kleinen Sohn in der Stadt unternehmen kann. Irgendwann merkt man: Es gibt das Image einer Stadt, und es gibt die Realität der Menschen, für die sie Heimat ist. Wenn es eine Stadt erwischt und beides auseinanderklafft, hat sie ein Problem. Krefeld ist dafür ein wunderbares Studienobjekt, historische Tiefe inbegriffen.
Die Stadt blickt auf eine glanzvolle Vergangenheit zurück: Der Slogan „Stadt wie Samt und Seide“ist bundesweit noch ein Begriff und vereint den Zweiklang von gehobener Lebensart und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Die Seidenbarone des 19. Jahrhunderts legten den Grundstein für eine industrielle Entwicklung, die bis heute quicklebendig und im globalen Wettbewerb führend ist und der Stadt sowie dem Umland Wohlstand sichert.
In den 70er-Jahren begann allerdings ein Strukturwandel, der ebenso dramatisch wie typisch für die Bundesrepublik war: Textile Massenproduktion wanderte in der globalisierten Wirtschaft in Länder ab, die preisgünstiger produzieren konnten. Was blieb, war die andere Seite eines geglückten Strukturwandels: die faszinierende Entwicklung von extrem robusten, extrem leichten Hightech-Textilien, die zum Beispiel der Architektur völlig neue Ausdrucksmöglichkeiten eröffnete, sowie eine weltweit führende chemische Industrie im Uerdinger Chempark und Maschinenbau, der etwa mit dem Namen Siempelkamp Weltruf genießt. Diese Entwicklung war typisch für ein Industrie- und Hochlohnland, eigentlich ein Stück aus dem Lehrbuch: Vorsprung und Erfolg gründeten in Innovation, in hochmoderner Technik, die immer auf der Spitze des Zeitpfeils weiterentwickelt wird.
Irgendwann aber kippte das Lebensgefühl in Krefeld. Der Eindruck, dass die Stadt an Glanz verloren hat, wurde größer als Zufriedenheit und Stolz auf das, was war und ist. Gefragt, woran das gelegen hat, sagt Christoph Borgmann wie aus der Pistole geschossen: „Verlust an Kaufkraft.“Borgmann ist Vorsitzender der Krefelder Werbegemeinschaft und mit dem Sportfachgeschäft Intersport Borgmann einer der erfolgreichsten Einzelhändler Krefelds. Und er ist Krefelder, kennt die Stadt von Kindesbeinen an. „Bis in die 90er Jahre lag Krefeld bei der Kaufkraft satt über dem Durchschnitt“, erinnert er sich. Das lag ihm zufolge unter anderem daran, dass es in Krefelds Industrie, vor allem bei den Bayer-Werken in Uerdingen, eine breite Schicht von mittleren und hohen Führungskräften gab.
Borgmann selbst wurde als Junge im Fußballklub von Bayer Uerdingen von einem solchen Manager trainiert. „Diese Schicht ist nach und nach rasiert worden“, sagt er; die Industrie hat sich verschlankt, ganze Führungsebenen fielen weg. „Diese Leute haben in der Stadt gelebt und hier ihr Geld ausgeben“, berichtet Borgmann; sie waren die Kunden von hochpreisigen Geschäften, die einer Innenstadt Glanz verleihen.
Eine Wohlstandselite gibt es in kleinerem Ausmaß auch heute noch, doch versteht sie sich deutlich weniger als Teil der Stadtgesellschaft und ist eher orientiert in Richtung Düsseldorf. Dazu kamen andere fatale Entwicklungen, die im Zusammenklang mit dem Kaufkraftverlust Gewicht und Symbolkraft entwickelten. Seit Beginn der 2000er Jahren besetzte Krefelds Drogenszene den Theaterplatz mit der Veranstaltungshalle, die im Namen Krefelds große Tradition zitierte: das Seidenweberhaus. Das Umfeld des Baues verkam mehr und mehr, der Platz wurde zum Angstraum, zum Drecksloch, zu Krefelds größtem öffentlichen Pissoir – die Schimpfworte der entsetzten Bürgerschaft sind Legion. Damit verkam ausgerechnet Krefelds zentraler Kulturplatz, der eigentlich die Adresse von einem schönen, in Krefeld geliebten Theater und einem gefeierten Neubau der Mediothek ist. Stadt und Politik nahmen die Entwicklung hin; es gab ein paar zaghafte Versuche, den Niedergang dieses Platzes zu verhindern, aber sie waren nicht durchschlagend. So wurde er zum Symbol für einen Abstieg, der in der Folge als viel stärker und nachhaltiger wahrgenommen und gewichtet wurde, als er ist. Dieses neue Negativ-Image klebt heute wie Pech und Schwefel am Ruf der Stadt.
Das ist quasi der kollektive Teil der jüngeren Geschichte Krefelds. Die ganz andere, positive Sicht auf die Stadt manifestiert sich in Lebenserzählungen wie der von Philipp Schnabel. Er stammt aus Lindlar bei Gummersbach und hat bisher Stationen in Duisburg, Krefeld, Kempen und Düsseldorf hinter sich gebracht; „am wohlsten“, sagt er heute, „habe ich mich in Krefeld gefühlt“.
Der 28-Jährige ist gelernter Koch und hat sich jetzt mit einem Café am neu gestalteten Platz vor dem prachtvoll sanierten Kaiser-Wilhelm-Museum selbstständig gemacht. Krefeld ist für ihn eine Stadt der Vielfalt, des schönen Wohnens, Heimat für seine Familie. Mit dem Image-Problem kann er nicht viel anfangen: Er hat die Stadt mit den
Augen eines jungen Erwachsenen durchgemustert, der fragt, wie er hier arbeiten, sein Geld verdienen und sein privates Leben führen kann. Schnabel ist nicht allein. Julien Lorch (28), Vorsitzender Gemeinschaft junger Unternehmer (GJU) in Krefeld, berichtet, dass er eine Reihe von jungen Leuten kennt, die sich wie Schnabel bewusst für Krefeld entschieden haben.
Die Bedingungen für Leben und Arbeiten in der Stadt, eine Start-upSzene, die vom Verein „silkvalley“mit einem breiten Bündnis aus der Wirtschaft unterstützt wird, dazu Lage und Vernetzung mit dem Umland, die Nähe zu Metropolen wie
Düsseldorf, Essen oder Köln: Die Stadt bietet Lorch zufolge jungen Leuten, speziell auch jungen Unternehmern, viele Möglichkeiten der Entfaltung.
„Viele Freunde“, berichtet er, „ziehen zurück nach Krefeld und sagen, das ist eine tolle Stadt mit einer tollen Wirtschaft für Gründer. Damit kann ich mich identifizieren. Wir reden alle auf Augenhöhe und haben Bock darauf, etwas für Krefeld zu tun.“Bock auf Krefeld – das sind neue Töne, die so gar nichts mit diesem verflixten Image der Stadt zu tun haben, das nun so schwer einzufangen und ins Positive umzubiegen ist. Die Leute um Lorch und Schnabel signalisieren einen Anfang im Stillen. Dazu passend gab es jetzt ein Ranking, in dem Krefeld positive Erwähnung findet. Die Stadt hat demnach Zukunftspotenzial.
Das ist das Ergebnis einer Studie aus Hamburg für deutsche Städte und Landkreise. Krefeld taucht mit neun von zehn Punkten auf Platz 45 des Top-100-Quis-Rankings auf. Und Krefeld steht vor einem symbolschweren Neuanfang.
Das Seidenweberhaus soll abgerissen werden, auf dem Theaterplatz mit dem Neubau eines neuen, modernen Rathauses ein Neuanfang gelingen. Stadt und Politik haben auch erkannt, dass die Anstrengungen für Sauberkeit und Verschönerung der City deutlich verstärkt werden müssen. Die Analyse zur Lage der Stadt ist mithin ebenso klar wie die Strategien, sie voranzubringen. Man muss es nur noch tun.