Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wie soziale Medien Meinungen prägen
Twitter, Facebook, TicToc – Redaktionen beziehen wichtige Impulse aus den sozialen Netzwerken – und sie nutzen sie als Kanal für ihr eigenes journalistisches Angebot. Zentral bleibt die Aufgabe, den Wahrheitsgehalt zu bewerten.
Die Nachricht enthält nur 107 Zeichen: „Deutschland hält zweimal zwei Minuten den Atem an – alle schauen Ringen: Mirco Englich, schade, er verliert“, schrieb eine Redakteurin am 14. August 2008 um 12.36 Uhr beim Kurznachrichtendienst Twitter. Er verpasste Gold — und der erste Tweet leider nicht den ersten Fehler: Der Vorname war falsch geschrieben. Wen das interessiert haben könnte, ist nicht mehr auszumachen. Doch auch das wäre für Franziska Bluhm ein wichtiger Hinweis gewesen. Denn darum ging es ja am Anfang. „Wir wollten mitmischen und ausprobieren“, sagt sie rückblickend. Mirko Englich gewann damals mit 29 Jahren bei Olympia die Silbermedaille für Deutschland. Heute ist Englich 42, das englische Wort für Zwitschern, „Twitter“, hat es bis in den Duden geschafft und dem ersten Tweet der Rheinischen Post sind mehr als 65.000 weitere gefolgt.
Franziska Bluhm war vor 13 Jahren die erste Redakteurin, die sich um das Thema Social Media bei der Rheinischen Post gekümmert hat. „Wir hatten anfangs keine ausgearbeiteten Konzepte, sondern haben einfach losgelegt“, sagt sie: „Die Rheinische Post war schon sehr früh online – und für uns ging es daher erstmal darum, beim Thema Social Media dabei zu sein.“
Damals waren soziale Netzwerke neu, heute sind Twitter, Facebook, Instagram oder Youtube fester Bestandteil im Alltag von Millionen
Menschen – und ihre Angebote sind auch aus den Redaktionen nicht mehr wegzudenken. Sie haben den Journalismus verändert. Sie haben die Kommunikation verändert. Sie haben die gesamte Welt verändert.
Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook wurden neben anderen klassischen Kommunikationskanälen von jungen Ägyptern genutzt, um den Arabischen Frühling zu organisieren und Bilder der Proteste 2011 in alle Welt zu verbreiten. 2019 sahen Millionen Menschen live bei Facebook, wie ein Terrorist im neuseeländischen Christchurch zwei Moscheen angriff und rund 50 Menschen tötete. US-Präsident Donald Trump nutzte das soziale Netzwerk Twitter während seiner Amtszeit als wichtigsten Kommunikationskanal. Mehr als 82 Millionen Nutzer folgten ihm – bis Twitter sein Konto nach dem Sturm auf das US-Kapitol dauerhaft sperrte.
In sozialen Netzwerken sind Nutzer Konsumenten und Produzenten zugleich. Es gibt keinen Gatekeeper mehr, keinen redaktionell ausgebildeten Torwächter, der eine Vorauswahl anhand journalistischer Kriterien vornimmt, alles geht ungefiltert online – im Fall von Christchurch sogar ein Massenmord. Soziale Netzwerke haben für neue Probleme gesorgt, aber auch für neue Möglichkeiten. Welche Regeln man ihnen gibt, muss demokratisch ausgehandelt werden. Klar ist jedoch: Sie werden nicht mehr verschwinden. Und für Medien ist es daher ganz zentral, sich mit sozialen Netzwerken zu beschäftigen.
Soziale Netzwerke können ein Korrektiv sein, weil Nutzer dort die Arbeit in Redaktionen thematisieren können. Sie können Journalisten auf Fehler hinweisen und so dazu beitragen, dass ihre Arbeit besser wird. Das gilt für den WDR, aber natürlich auch für die Rheinische Post.
Soziale Netzwerke sind für die Redaktion eine wichtige Möglichkeit zum Austausch mit den Nutzern, aber auch zur Verbreitung des eigenen journalistischen Angebots. Im analogen Zeitalter griff man im Café zur Tageszeitung, die im hölzernen Zeitungsstock auslag. Heute bekommen Nutzer die Nachrichten aus ihrer Region, über ihren Fußballverein, die Politik oder Wirtschaft direkt auf ihr Smartphone, aufs Tablet oder den PC daheim. Die Rheinische Post ist seit 2009 bei Facebook aktiv, 2015 kam ein Profil bei Instagram hinzu und 2019 die Start-up-Seite „RP-Gründerzeit“bei Linkedin. Heute gibt es mehr als 30 Facebook-Seiten, denen mehr als eine halbe Million Nutzer folgen – vom Fohlenfutter mit allen Nachrichten über Borussia Mönchengladbach bis hin zur lokalen Facebook-Seite der Redaktion aus Remscheid. Hinzu kommen sieben Kanäle bei Instagram mit mehr als 80.000 Abonnenten sowie drei bei Twitter mit mehr als 220.000 Abonnenten. Durch soziale Netzwerke erreichen die Artikel der RP-Journalisten und -Journalistinnen so viele Menschen wie nie zuvor. Und die Reaktionen der Nutzer können der Redaktion einen Hinweis darauf geben, welche Geschichten besonders interessieren.
Gleichzeitig sind soziale Netzwerke
heute auch ein elementarer Bestandteil bei journalistischen Recherchen. Immer wieder wird die Redaktion von Lesern über soziale Netzwerke angeschrieben und auf Themen aufmerksam gemacht. Manche schildern ihre eigene Betroffenheit, andere leiten Informationen weiter, die sie selbst bekommen haben.
„Ich erinnere mich, dass ich 2009 Spätdienst hatte, als in New York ein Airbus auf dem Hudson-River notlandete“, sagt Franziska Bluhm, die heute als Digital-Beraterin arbeitet. Damals waren die Printund Online-Redaktion noch stärker voneinander getrennt, doch Bluhm informierte den für die gedruckte Zeitung zuständigen Spätdienst über die Ereignisse in den USA. „Das war das erste Mal, dass ein Bild aus sozialen Netzwerken auf der Titelseite der Rheinischen Post gedruckt wurde“, erinnert sie sich: „Damals haben viele erstmals begriffen, welche Kraft Social Media haben kann.“
Heute könnte eine Person allein all diese Seiten nicht mehr bespielen, könnte nicht mehr all die Beiträge schreiben und Anfragen bearbeiten. Aus der einen Stelle im Jahr 2008 ist inzwischen ein fünfköpfiges Team unter Leitung von Hannah Monderkamp geworden. Es kümmert sich um die sozialen Netzwerke, behält die Kommentare
auf RP-Online im Blick und betreut das Listening Center, mit dem die Redaktion inzwischen das Netz automatisch nach Themen durchsucht, über die Menschen in der Region sprechen und die somit relevant sind. Die Technik wird seit 2016 eingesetzt – und bis heute entsteht so manche Geschichte aus den mit dem Listening Center erstellten Reports, die Redakteure zu ihren Themengebieten täglich zugeschickt bekommen.
Und neben Artikeln der Redaktion, die verlinkt und verbreitet werden, produziert die Redaktion auch immer wieder Inhalte speziell für die sozialen Netzwerke: Im Sommer 2020 fuhren zwei Journalistinnen der Redaktion acht Wochen lang durch das Verbreitungsgebiet der Rheinischen Post und berichteten auf Instagram in den „Rheinstories“von ihren Erlebnissen. Bei der „#RheinischenWahlfahrt“fuhr ein Tourmobil der Redaktion durch sieben Städte und diskutierte mit den Bürgern vor Ort und live auf Facebook im Vorfeld der Landtagswahl Themen.
Für die Redaktion kommt es darauf an, immer wieder neue Dinge auszuprobieren und zu testen. Denn es entstehen immer wieder neue soziale Netzwerke, bei denen nicht klar ist, ob sie irgendwann das nächste Twitter oder Facebook sein könnten.
„Die Rheinische Post war sehr früh online – für uns ging es darum, beim Thema Social Media dabei zu sein“
Franziska Bluhm
Erste Social-Media-Redakteurin bei der Rheinischen Post