Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Seltsam, menschlich, wunderbar
Viele Ausstellungen des Fotofestivals haben auch diese Woche noch geöffnet. Ein Rundgang durch drei Altstadt-Schauen.
Der Wind pfeift durch die Gassen der Altstadt, treibt die Wolken über den Himmel, peitscht die Regentropfen übers Schaufenster. Würde Kay Kaul die Szene fotografieren, sie wäre quietschbunt. Denn in seinen aktuellen Werken – zu sehen in der Galerie Voss in der Mühlengasse – ist das, was sich bewegt, rot, gelb, blau, cyan oder magenta gefärbt. Was unbewegt bleibt, wird in seinen natürlichen Farben dargestellt. Die Wolken, die über eine gewaltige Bergkette kriechen, wirken wie bunter Nebel. Die Berge dagegen liegen moosgrün da, unbewegt seit Jahrtausenden.
„Ich höre immer mit halbem Ohr, wie die Leute im Rausgehen sagen, das seien ja hübsch kolorierte Bilder“, seufzt Galerist Rüdiger Voss. Tatsächlich wendet Kay Kaul eine spezielle Technik an, bei der sechs Aufnahmen mit je zwei Sekunden Abstand gemacht werden, jeweils mit unterschiedlichen Farbfiltern. Dann werden die Aufnahmen übereinandergelegt. So wird Bewegung markiert. Nachkoloriert wird nicht.
Besonders beeindruckend ist ein riesiges Satellitenbild der Erde, das prominent links vom Eingang hängt: Der japanische Satellit Himawari 8 hat für Kaul während eines Taifuns alle zwei Tage ein Bild gemacht. Das wilde Wetter in unserer Atmosphäre macht den blauen Planeten bunt. Es ist ein besonderes Gefühl, die Verwirbelungen zu betrachten, während draußen der Wind Orkanstärke erreicht.
Wer sich weiterwehen lässt, erreicht die Galerie Breckner, wo der übermannshohe Abzug einer Fotografie von Volker Krämer den Raum beherrscht: Eine ältere Dame, gehüllt in eine auffällige weiße Federboa, streckt ihre Hand im schwarzen Spitzen-Fingerling einem Herrn zum Kuss hin. Was klingt wie ein impressionistisches Gemälde, ist Düsseldorfer Realität: Krämer war Fotograf für die Rheinische Post, in den 60er Jahren lichtete er das Stadtleben ab. Eine Dackelparade an der Kö, die Ekstase der Fans beim Rolling-Stones-Konzert 1965; die Gesichter von Fortuna-Fans beim Spiel und von kleinen Kindern beim Süßigkeiten-Genuss auf der Straße; der Frust zweier Jungs, die auf einer Party eingeklemmt zwischen knutschenden Paaren sitzen, ungeküsst. Und schließlich die Dame, die sich beim Empfang des „Verbands weiblicher Unternehmer“(!) huldigen lässt. „Dieses Wochenende war eine Frau da, die sagte: Diese Frauen waren die wahren Vorreiterinnen der Gleichberechtigung“, erzählt Galerist Till Breckner. Unternehmerinnen in den 60ern waren meist Chefin wider Willen: Sie hatten ihre Firmen von Männern geerbt, die im Krieg geblieben waren – und mussten sich durchbeißen. Volker Krämer, der 1999 im Kosovo starb, hat den Stolz und die Würde dieser unbekannten Unternehmerin so meisterhaft eingefangen wie den Charakter vieler Düsseldorfer in den 60er Jahren.
Wer der Realität entfliehen will, kann in der Citadellstraße beim Polnischen Institut haltmachen und sich von Weronika Gesickas Arbeiten irritieren lassen. Unter anderem hat sie Werbefotos aus den 60er Jahren durch Nachbearbeitung so verfremdet, dass man nach dem ersten Stutzen lacht oder erschaudert: über das kleine Mädchen, deren untere Hälfte im Hula-Hoop-Reifen verschwindet wie in einem schwarzen Loch; über die Mutter, die mit starrem Puppengesicht auf ihre Tochter herabblickt; über die starken Jungs ohne Köpfe mit den Bikini-Mädels auf den Schultern. „Manipulierte Bilder entsprechen unseren Erinnerungen manchmal mehr als authentische Fotografien“, schreibt Gesicka. „Erinnerungen spiegeln nämlich die Realität nur selten objektiv wider.“
Das Photo Weekend 2019 wird den Ausstellern in guter Erinnerung bleiben: Alle zeigten sich zufrieden mit den Besucherzahlen, auch wenn etwas weniger Menschen da waren als im vergangenen Jahr. Besonders gut gefalle ihr, dass das Publikum so interessiert sei, sagte Monika Kumiega vom Polnischen Institut. „Und jeder reagiert anders auf die Fotos – das ist wunderbar!“