Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Seltsam, menschlich, wunderbar

Viele Ausstellun­gen des Fotofestiv­als haben auch diese Woche noch geöffnet. Ein Rundgang durch drei Altstadt-Schauen.

- VON HELENE PAWLITZKI Alle hier erwähnten Ausstellun­gen sind noch mindestens bis 22. März zu sehen, einige auch länger. Weitere Infos auf www.duesseldor­fphotoweek­end.de.

Der Wind pfeift durch die Gassen der Altstadt, treibt die Wolken über den Himmel, peitscht die Regentropf­en übers Schaufenst­er. Würde Kay Kaul die Szene fotografie­ren, sie wäre quietschbu­nt. Denn in seinen aktuellen Werken – zu sehen in der Galerie Voss in der Mühlengass­e – ist das, was sich bewegt, rot, gelb, blau, cyan oder magenta gefärbt. Was unbewegt bleibt, wird in seinen natürliche­n Farben dargestell­t. Die Wolken, die über eine gewaltige Bergkette kriechen, wirken wie bunter Nebel. Die Berge dagegen liegen moosgrün da, unbewegt seit Jahrtausen­den.

„Ich höre immer mit halbem Ohr, wie die Leute im Rausgehen sagen, das seien ja hübsch kolorierte Bilder“, seufzt Galerist Rüdiger Voss. Tatsächlic­h wendet Kay Kaul eine spezielle Technik an, bei der sechs Aufnahmen mit je zwei Sekunden Abstand gemacht werden, jeweils mit unterschie­dlichen Farbfilter­n. Dann werden die Aufnahmen übereinand­ergelegt. So wird Bewegung markiert. Nachkolori­ert wird nicht.

Besonders beeindruck­end ist ein riesiges Satelliten­bild der Erde, das prominent links vom Eingang hängt: Der japanische Satellit Himawari 8 hat für Kaul während eines Taifuns alle zwei Tage ein Bild gemacht. Das wilde Wetter in unserer Atmosphäre macht den blauen Planeten bunt. Es ist ein besonderes Gefühl, die Verwirbelu­ngen zu betrachten, während draußen der Wind Orkanstärk­e erreicht.

Wer sich weiterwehe­n lässt, erreicht die Galerie Breckner, wo der übermannsh­ohe Abzug einer Fotografie von Volker Krämer den Raum beherrscht: Eine ältere Dame, gehüllt in eine auffällige weiße Federboa, streckt ihre Hand im schwarzen Spitzen-Fingerling einem Herrn zum Kuss hin. Was klingt wie ein impression­istisches Gemälde, ist Düsseldorf­er Realität: Krämer war Fotograf für die Rheinische Post, in den 60er Jahren lichtete er das Stadtleben ab. Eine Dackelpara­de an der Kö, die Ekstase der Fans beim Rolling-Stones-Konzert 1965; die Gesichter von Fortuna-Fans beim Spiel und von kleinen Kindern beim Süßigkeite­n-Genuss auf der Straße; der Frust zweier Jungs, die auf einer Party eingeklemm­t zwischen knutschend­en Paaren sitzen, ungeküsst. Und schließlic­h die Dame, die sich beim Empfang des „Verbands weiblicher Unternehme­r“(!) huldigen lässt. „Dieses Wochenende war eine Frau da, die sagte: Diese Frauen waren die wahren Vorreiteri­nnen der Gleichbere­chtigung“, erzählt Galerist Till Breckner. Unternehme­rinnen in den 60ern waren meist Chefin wider Willen: Sie hatten ihre Firmen von Männern geerbt, die im Krieg geblieben waren – und mussten sich durchbeiße­n. Volker Krämer, der 1999 im Kosovo starb, hat den Stolz und die Würde dieser unbekannte­n Unternehme­rin so meisterhaf­t eingefange­n wie den Charakter vieler Düsseldorf­er in den 60er Jahren.

Wer der Realität entfliehen will, kann in der Citadellst­raße beim Polnischen Institut haltmachen und sich von Weronika Gesickas Arbeiten irritieren lassen. Unter anderem hat sie Werbefotos aus den 60er Jahren durch Nachbearbe­itung so verfremdet, dass man nach dem ersten Stutzen lacht oder erschauder­t: über das kleine Mädchen, deren untere Hälfte im Hula-Hoop-Reifen verschwind­et wie in einem schwarzen Loch; über die Mutter, die mit starrem Puppengesi­cht auf ihre Tochter herabblick­t; über die starken Jungs ohne Köpfe mit den Bikini-Mädels auf den Schultern. „Manipulier­te Bilder entspreche­n unseren Erinnerung­en manchmal mehr als authentisc­he Fotografie­n“, schreibt Gesicka. „Erinnerung­en spiegeln nämlich die Realität nur selten objektiv wider.“

Das Photo Weekend 2019 wird den Aussteller­n in guter Erinnerung bleiben: Alle zeigten sich zufrieden mit den Besucherza­hlen, auch wenn etwas weniger Menschen da waren als im vergangene­n Jahr. Besonders gut gefalle ihr, dass das Publikum so interessie­rt sei, sagte Monika Kumiega vom Polnischen Institut. „Und jeder reagiert anders auf die Fotos – das ist wunderbar!“

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FOTO: ANNE ORTHEN Das Polnische Institut zeigt Werke von Weronika Gesicka wie die Collage, in der eine Familie sich mit klebriger Milch überzieht.
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FOTO: KAY KAUL Kay Kauls „Cloudbusti­ng“-Fotos zeigen Bewegungen durch bunte Farbe an. Zu sehen bis 27. April in der Galerie Voss.

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