Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Ballett der Bösewichte
Das Tanzhaus NRW zeigt eine neue Produktion der Choreografin Ligia Lewis.
Gleich zu Beginn des Stückes „Water Will (in Melody)“von Ligia Lewis im Tanzhaus NRW wird der schaurige und herausfordernde Gestus klar. Die Tänzerin Dani Brown erzählt mit „Das eigensinnige Kind“das wohl gruseligste und verstörenste der Grimmschen Märchen. Darin lässt Gott ein Kind unheilbar erkranken, da es nicht auf seine Mutter hört. Noch im Grab streckt es seinen Arm immer wieder empor und findet erst Ruhe, als die Mutter mit einer Rute darauf schlägt.
Nach dieser sehr theatralischen Einführung folgt mit dem ersten Akt ein teilweise verstörender und für den Zuschauer fordernder Tanzabend. Eindringlich und mit abrupten Bewegungen tanzen die vier Performerinnen über die Bühne, werfen sich hin, winden sich, verkrampfen, stehen wieder auf. Dabei lassen sie vor allem keine fließenden Bewegungen zu. Denn in dieser dystopischen Märchenwelt aus Gewalt und Schrecken soll sich keiner Wohlfühlen. Ihre Stimmen flüstern unverständliche Sätze, die in ihrer Gesamtheit zu einem einschüchternden Klangteppich und Rhythmusinstrument werden. Die zum Teil elektronisch verzerrte Stimme von Susanne Sachsse erinnert dann an einen der gruseligsten Bösewichte der Filmgeschichte: Killer Bob aus der Kultserie „Twin Peaks“.
Mit einem abruptem Stimmungswechsel endet der erste Akt dann. Voll Energie und zum ersten Mal im Takt bewegen sich die vier Tänzerinnen zu einem Remix von Enyas „Only Time“. Zum zweiten Akt wird das dystopische Szenario aufgelöst. Ein feiner Regen tropft auf die Bühne, Schwaden verdecken ganz fein die Perfomerinnen. Ihre Bewegungen werden dabei weniger abgehackt und fließender. Mit schon fast versöhnlichem Körperkontakt liegen sie am Ende aufeinander. Nun ist der Grusel des Grimmschen Märchens doch wieder nur eine Geschichte.
Das eigensinnige Stück der Residenzkünstlerin des Tanzhauses, Ligia Lewis, besticht aber nicht nur durch die eindringliche Atmosphäre, sondern auch durch die theatralische Aufführung. Während sich die Praxis im zeitgenössischen Tanz weit vom Theater entfernt hat, gibt es bei ihr wieder richtiges Theater: Es wird gesprochen, eine Geschichte erzählt, die Performerinnen tragen Kostüme; sogar ein Vorhang fällt. Ein Wagnis, das aufgeht.