Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Macrons Neuer unter Druck
Frankreichs Innenminister Christophe Castaner steht nach den Protesten der „Gelbwesten“in der Kritik.
PARIS Christophe Castaner ist ein Mann mit einem eher sonnigen Gemüt. Doch als der smarte Ex-Sozialist im Fernsehen die schwersten Ausschreitungen der vergangenen 50 Jahre in Paris kommentieren musste, war er sichtlich angeschlagen. „Das waren Szenen einer absolut unnormalen Gewalt“, sagte der Innenminister mit blassem Gesicht und ernster Miene zu dem, was sich vor rund einer Woche um den Triumphbogen abgespielt hatte. Randalierer unter den „Gelbwesten“hatten das Pariser Wahrzeichen geschändet und Polizisten mit Eisenstangen, Farbbeuteln und Pflastersteinen angegriffen.
An diesem Samstag glich Paris nun einer Geisterstadt. Museen, Kaufhäuser und Eiffelturm blieben geschlossen, die meisten Einwohner wagten sich nicht aus dem Haus. Der vierte Akt der Proteste der „Gelbwesten“war angekündigt, und die Polizei war mit 8000 Mann und erstmals mit gepanzerten Fahrzeugen im Einsatz. Das Großaufgebot der Sicherheitskräfte verhinderte Bilder wie aus der Vorwoche vom Triumphbogen. Der Preis dafür war hoch: Mehr als 1000 Menschen, die mit Hämmern, Baseballschlägern und Boule-Kugeln ausgestattet waren, wurden festgenommen.
In Paris waren am Wochenende noch mehr Demonstranten auf den Straßen. 10.000 Menschen in gelben Westen versammelten sich auf den Champs-Elysées, dem Platz der Republik und an der Bastille. Die Gewalttäter unter ihnen zerstörten Banken, Restaurants und Läden, deren Fenster nicht mit Sperrholzplatten zugenagelt waren. Laut Stadtverwaltung lag der Sachschaden höher als in der Vorwoche. Landesweit waren 136.000 Menschen als „Gelbwesten“auf den Straßen. Nächste Woche soll der fünfte Akt folgen.
Die erschütternden Bilder aus der Vorwoche werden vor allem Innenminister Castaner angelastet. Denn die Sicherheitskräfte, deren Chef der 52-Jährige ist, waren mit den gewalttätigen Demonstranten sichtlich überfordert. „Wurde die Bedrohung unterschätzt?“, fragte deshalb der konservative Senator Marc-Philippe Daubresse vor dem Rechtsausschuss des Senats, der „Casta“wegen der dramatischen Ereignisse vorgeladen hatte. Mehrere Vertreter der Opposition fordern bereits den Rücktritt des Innenministers, der einer der engsten Vertrauten von Präsident Emmanuel Macron ist. Schon 2016 kehrte der Vater zweier Töchter den Sozialisten den Rücken und schloss sich dem damaligen Wirtschaftsminister an. Nach Macrons Wahlsieg übernahm Castaner den undankbaren Posten des Vorsitzenden der Partei La République en Marche.
Den gab er vor sechs Wochen gerne wieder ab, um die Nachfolge von Gérard Collomb anzutreten. Für den Mann mit dem Dreitagebart und dem breiten Lächeln ist das Innenministerium ein Traumjob, den er vor allem seiner Nähe zu Macron zu verdanken hat. Denn der Südfranzose hat in den heiklen Sicherheitsfragen kaum Erfahrung. Deshalb stellte ihm der Präsident mit dem früheren Inlandsgeheimdienstchef Laurent Nuñez einen kompetenten Staatssekretär an die Seite. Wie zwei ungleiche Brüder treten die beiden nun bei jedem Ereignis zusammen auf.
Auch vor den Ausschüssen von Senat und Nationalversammlung erschienen Castaner und Nuñez diese Woche gemeinsam, um den Polizeieinsatz zu rechtfertigen. Der Innenminister gab dabei Schwächen zu und versprach, die Sicherheitskräfte besser aufzustellen. „Man muss mobiler werden, um überall in Paris einzugreifen.“Nun ist der Schaden noch größer als zuvor.
Eine schwierige Konstellation, die von dem als „Kéké“, als Angeber, kritisierten Innenminister viel abverlangt. Der frühere Bürgermeister der südfranzösischen Kleinstadt Forcalquier setzt dabei vor allem auf sein Bauchgefühl. „Ich bin kein Genie. Ich bin kein Intellektueller, aber ich habe Intuition“, sagte er einmal über sich selbst.
Der Hass der „Gelbwesten“, die von rund 70 Prozent der Bevölkerung unterstützt werden, richtet sich stark gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. „Analphabeten, Nichtsnutze, widerspenstige Gallier in Wut“, stand auf einem Transparent der Demonstranten. Drei Begriffe, die der Präsident abwertend für Arbeiter und all jene benutzt hatte, die seine Reformpolitik kritisierten. Diese Sprüche brachten ihm ebenso wie die Abschaffung der Vermögensteuer den Ruf ein, ein Präsident der Reichen zu sein. Macron will am Montag eine Rede halten.