Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die Hauptstadt Adenauers wird als Sehnsuchtsort für Politik-Nostalgiker zum Touristenmagnet im Rheinland.
Am 1. September 1948 trat der Parlamentarische Rat im Museum Koenig in Bonn zusammen, um zwischen ausgestopften Giraffen und Elefanten das Grundgesetz auszuarbeiten. 70 Jahre später steht Bonn längst nicht mehr im Zentrum des politischen Geschehens. Doch
Als Frank Walter Steinmeier am 31. Mai 2017 seinen Antrittsbesuch als Bundespräsident im Alten Bonner Rathaus machte, geriet er ins Schwärmen: Königin Elisabeth II. war hier empfangen worden, Charles de Gaulle , John F. Kennedy – und nun er im neuen Amt. Das stimme ihn schon ein kleines bisschen nostalgisch, gestand das Staatsoberhaupt, als er sich an den Herbst 1998 erinnerte. „ Ich werde den ersten Tag im alten Kanzleramt nicht vergessen, genauso wenig wie unsere Riesen-WG auf dem Venusberg, mit zwei Ministern, zwei Staatssekretären und dem Bundeskanzler, die sich in den ersten Tagen nur von Chips und Cola ernährt haben. Unvergesslich bleibt der Blick vom Kanzlerbungalow auf den Rhein in der Abendsonne.“
Das klang beinahe wehmütig, zumal derselbe Bundespräsident nur wenig später den Parteien im fernen Berlin ins Gewissen reden musste, doch bitteschön den Wählerauftrag zu erfüllen und eine Bundesregierung zu bilden. In Bonn hatte man eine derartige Unlust am Regieren nie erlebt. Überhaupt: Die gute alte Bonner Republik, sie erscheint wie so vieles, das aus einigem Abstand betrachtet wird, in einem verklärten Licht. Ist es Polit-Nostalgie, die Erinnerung an eine gefühlt überschaubarere Welt, die wie Steinmeier Hunderttausende erfassen, die alljährlich in Bonn an die ehemaligen Schauplätze der Macht strömen?
„Das Interesse steigt jedenfalls von Jahr zu Jahr“, bestätigt Monika Hörig, Sprecherin der Stadt Bonn, wo alljährlich über eine Million Übernachtungen gezählt werden. 2017 etwa habe die Zahl der Stadtführungen im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent zugenommen. „Untersuchungen belegen, dass 88 Prozent der Befragten Bonn zuerst als ehemalige Hauptstadt wahrnehmen und nur ein kleiner Teil primär als Beethovens Geburtsstadt “, berichtet Monika Hörig.
Allein das „Haus der Geschichte“, wo ein „Rosinenbomber“zu bewundern ist oder Adenauers alter Dienst-Mercedes, verzeichnet jedes Jahr 850.000 Besucher. Tendenz steigend. Als Publikumsmagneten erweisen sich auch der alte Kanzlerbungalow, der noch ältere Dienstsitz der ersten Bundeskanzler - das „Palais Schaumburg“, die „Villa Hammerschmidt“– Amts-und Wohnsitz der Bundespräsidenten, der ehemalige Plenarsaal oder Konrad Adenauers Privathaus im nahen Rhöndorf.
Aus diesem Grund sieht Helmut Schmidts Arbeitszimmer im ehemaligen Bundeskanzleramt seit zwei Jahren wieder so aus wie zu seiner aktiven Zeit: Teakholzmöbel, Bücherwand, Buddelschiff, ein abgewetzter Ledersessel und ein Schreibtisch, auf dem Zigaretten,
Pfeife, Schnupftabakdose und ein sehr großer Aschenbecher versammelt sind. Alles original - bis auf die Zigarettenpackung mit der Aufschrift „Rauchen kann tödlich sein“. Den Altkanzler hätte es nicht geschreckt. Das Ensemble historischer Schauplätze wird bald um eine Attraktion reicher sein. Im alten Regierungsviertel laufen die Vorbereitungen zur Wiederbelebung einer Legende: Das „Bundesbüdchen“soll in neuem Glanz erstehen. Einst befand sich der Kult-Kiosk nur 50 Meter von Eingang Eins des Bundestags entfernt. Hundert Meter trennten es vom Kanzleramt, jenem schwarz-braunen Kasten, den Helmut Schmidt einst als „rheinische Sparkasse“verspottete.
Am Bundesbüdchen kauften alle Politiker – vom Hinterbänkler bis zum Regierungsmitglied – ihren Kaffee. Spätestens, seit der damalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny eine verlorene Wette bei „Wetten, dass..?“einlösen und Würstchen am Bundesbüdchen verkaufen musste, erlangte das Büdchen über Bonns Grenzen hinaus Kultstatus. Grünen-Realo Joschka Fischer gehörte später zu den Stammkunden. Er orderte gerade ein Brötchen, als 1998 die SPD mit Gerhard Schröder die Wahl gewann.
„Grottenhässlich“, sagt Jürgen Rausch, wenn er seinen alten Kiosk beschreibt. „Aber vor Hässlichkeit schön.“Elf Jahre lang hat er für die Rückkehr seines Büdchens gekämpft. So lange fristete der Verkaufsstand wie ein ausrangiertes U-Boot sein Dasein als Ruine
Die gute, alte Zeit – sie erscheint wie so vieles, was aus der Distanz betrachtet wird, in einem verklärten Licht
auf einem Firmengelände in Bornheim-Hersel. Nun soll es ganz in der Nähe des alten Standorts wieder aufgebaut werden – nicht als Museumsstück, sondern als richtiger Kiosk für die Mitarbeiter der Vereinten Nationen und der Post, die das neue Bonn prägen.
Doch nicht nur für Rausch verkörpert das Bauwerk eine Zeit, als politische Persönlichkeiten aller Couleur sich ohne Dünkel Kaffee und Würstchen an der Bude holten. Als Politiker noch als Menschen wahrgenommen wurden und nicht als Medien-Maschinen. Es waren Zeiten, in denen Informationen bei Rausch an der Theke ausgetauscht wurden und nicht über Facebook
oder Twitter.
Angefangen hatte alles 1949 mit einem Obstkarren, mit dem Rauschs Mutter Christel trotz Lebensmittelknappheit vor dem Bundestag stand. Irgendwann fragte Erich Köhler, der erste Bundestagspräsident, Rauschs Mutter, ob sie nicht einen Kiosk betreiben wolle. „In der Bannmeile war ja nichts, später gab es eine Ladenzeile, einige Kantinen – und eben das Bundesbüdchen“, sagt Rausch, der es 1984 übernahm.
Als die Vereinten Nationen ins ehemalige Regierungsviertel zogen, musste das Büdchen einem Konferenzzentrum weichen. Die Bauarbeiter hätten es fast nicht abbauen können. Es stand auf einem massiven Sockel aus Stahlbeton. Nur mit schwerem Gerät konnte der Kiosk aus dem Boden geschnitten werden. Immerhin stand er damals schon unter Denkmalschutz.
Das Konferenzzentrum ist verzögert durch einen riesigen Bauskandal – vor zwei Jahren fertig geworden. In diesem Herbst nun könnte Rauschs Traum von der Rückkehr seines Büdchens endlich in Erfüllung gehen. Dafür hat Rausch mit einem Förderverein Geld von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und von der Bezirksregierung Köln gesammelt.
„Kommst Du nach Bonn, frag‘ nicht nach dem Hauptbahnhof, denn er ist es“, lautete ein Witz über die junge Hauptstadt. Dabei war es gerade die betonte Abkehr von der bombastischen Inszenierung von Macht, welche die Nazis zuvor in Berlin betrieben hatten, die den Neubeginn am Rhein bestimmen sollte. Ein Neubeginn übrigens, der alles andere als einfach gewesen ist: Teilung, Wiederaufbau, Kalter Krieg, RAF-Terror – es gab viele Momente in diesen Jahren, in denen die Spannung bis zum Zerreißen stieg, in denen die Standhaftigkeit der junge Republik geprüft wurde.
„Die Leute sind heute vor allem davon beeindruckt, wie wenig es damals gab, wie einfach die Lebensverhältnisse waren und wie groß die Anstrengungen, die unternommen werden mussten“, sagt der Sprecher vom Bonner „Haus der Geschichte“, Peter Hoffmann. Tatsächlich ist es weit mehr als bloße politische Nostalgie, was das Faszinosum Bonns ausmacht. Es geht um etwas, was Menschen seit jeher bewegt: um den Zauber des Anfangs.
In Bonn ist ist dieser Eindruck auch deshalb so lebendig, weil ein ungewisser Anfang vor 70 Jahren so großartig geglückt ist.