Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Nicht die Falschen abschieben“
Der Arbeitsminister will in den Arbeitsmarkt integrierten Flüchtlingen per Stichtag ein Bleiberecht geben.
Wir treffen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in seinem Ministerium in Berlin. Er hat ziemlich gute Laune. In dieser Woche hat er sein Rentenpaket in der Koalition durchgesetzt und grünes Licht für seine Vorhaben am Arbeitsmarkt bekommen.
Rentenexperte Axel Börsch-Supan sagt, dass die von der SPD angestrebte Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent allein im Jahr 2040 zusätzlich 50 Milliarden Euro kosten würde. Woher wollen Sie das Geld nehmen?
Heil Wir haben jetzt erst einmal eine solide Rechnung im Gesetz, wie wir das Rentenniveau bis 2025 bei 48 Prozent halten. Zudem gibt es Leistungsverbesserungen für Mütter, Geringverdiener und Erwerbsminderungsrentner. Wie wir das Ziel erreichen, das Rentenniveau langfristig bei 48 Prozent zu sichern, das werden wir klären. Die Rentenkommission wird dazu Anfang 2020 Vorschläge machen. Danach entscheiden wir.
Macht es Sinn, ein politisches Ziel in den Raum zu setzen, das irrsinnig Geld kostet und die Leute dann aber fast zwei Jahre auf Finanzierungsvorschläge warten zu lassen?
Heil Ich finde es richtig, dass wir uns dieses Ziel setzen. Es gilt, ein Kernversprechen des Sozialstaats zu erneuern – und zwar für alle Generationen. Das Versprechen besteht darin, dass man nach einem Leben voller Arbeit eine ordentliche Altersabsicherung hat. Zur Einlösung dieses Versprechens geht es nicht nur ums Rentensystem, sondern um den Arbeitsmarkt. Die entscheidende Frage ist, wie viele Menschen in den 20er und 30er Jahren in Beschäftigung sein werden. Je mehr wir zudem für Tarifbindung und gute Löhne sorgen können, desto größer ist die Chance, dass wir den Generationenvertrag verlässlich verlängern können. Ich bin dafür, dass wir noch in dieser Legislaturperiode entscheiden und das Rentenniveau per Gesetz bis 2040 absichern. Es wäre verantwortungslos, einfach zuzuschauen, wie das Rentenniveau ins Bodenlose stürzt.
Man wird den Bürgern über die Finanzierung der Rente reinen Wein einschenken müssen. Wegen der Demografie wird die Zahl der Arbeitskräfte abnehmen.
Heil Die Betrachtung ist zu simpel. Beim Arbeitsmarkt haben wir mehr Stellschrauben als nur die Bevölkerungsentwicklung: Ausbildung, Beschäftigungsfähigkeit, Weiterbildung, Erwerbsvolumen, Erwerbsbeteiligung von Frauen, Fachkräftezuwanderung, tatsächliche Lebensarbeitszeit. Diese Stellschrauben sind entscheidend dafür, wie breit die Basis für die Einzahlungen in die Rentenkasse ist. Dann stellt sich auch noch die Frage, wie breit die Bemessungsgrundlage ist. Wir werden im kommenden Jahr die Selbstständigen in den Schutz der Alterssicherung einbeziehen.
Bei der Fachkräftezuwanderung geht es um die Frage, ob für Flüchtlinge mit Job ein Spurwechsel hin zum Arbeitsmigranten möglich sein soll – wird der kommen?
Heil Das Fachkräftezuwanderungsgesetz brauchen wir dringend. Es gibt Hinweise, dass der bereits in einigen Branchen und einigen Regionen herrschende Fachkräftemangel negative Wirkung auf das Wirtschaftswachstum hat. Zuerst müssen wir dafür sorgen, die Fachkräftesicherung mit den Menschen zu schaffen, die wir im Lande haben. Dann brauchen wir pragmatische Lösungen für Fachkräftezuwanderung. Welcher Begriff das dann beschreibt, ist mir nicht so wichtig.
Aber, was damit gemeint ist, wollen Sie schon?
Heil Menschen aus Drittstaaten, die hier nur geduldet, aber voll integriert sind, Deutsch sprechen und einen Arbeitsplatz haben, sollten wir nicht in ihre Heimatländer zurückschicken. Das wäre absurd. Da setze ich auf praktische Lösungen in der Koalition. Denkbar ist eine Stichtagsregelung, weil kein Mensch es versteht, wenn wir Fachkräfte abschieben, die wir selbst ausgebildet haben und die hier dringend gebraucht werden. Ich sage: Wir dürfen nicht die Falschen abschieben.
Wie wird der Kriterienkatalog für Fachkräfte aussehen, die einwandern möchten?
Heil Man muss die deutsche Sprache können und außerdem Kompetenzen mitbringen, die hier gebraucht werden. Wir werden viel dafür tun müssen, damit wir die richtigen Fachkräfte in ausreichender Zahl bekommen. Wir wollen beispielsweise keine Pflegekräfte aus Ländern abwerben, die selbst ein Pflegeproblem haben.
Woher könnten die Pflegekräfte dann kommen?
Heil Zum Beispiel aus dem Kosovo. Jede Branche mit Fachkräftemangel muss sich zusätzlich überlegen, was einen attraktiven Arbeitgeber ausmacht – zum Beispiel eine gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen.
Welche Schwächen sehen Sie da in Deutschland?
Heil Beispiel Altenpflege. Nur 20 Prozent der Altenpfleger sind tarifgebunden. Wo es eine Tarifbindung gibt, sind Einkommen und Arbeitsbedingungen besser. Mein Aufruf lautet: Die unterschiedlichen Arbeitgeber – private, freie Wohlfahrtspflege, kirchlich gebundene – müssen endlich zu einem repräsentativen Tarifvertrag mit den Gewerkschaften kommen. In diesem Fall mit Verdi. Den Tarifvertrag kann ich dann als Arbeitsminister für allgemeinverbindlich erklären. Das wäre ein konkreter Fortschritt, um den Beruf attraktiver zu machen. Wir werden junge Leute nur für diesen Beruf gewinnen, wenn er besser bezahlt wird. Da bin ich übrigens mit Gesundheitsminister Spahn einer Meinung.
KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW