Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wenn Meerbusch zur Wahlheimat wird

- VON TANJA KARRASCH

Japaner bilden mit 537 Menschen die drittgrößt­e Gruppe an Ausländern, die in Meerbusch lebt. Fünf davon sind die Kawasakis. Die Familie schätzt das Leben in Meerbusch. Expats sind sie schon lange nicht mehr. Sie bleiben für immer.

Für Kai ist die Sache klar. „Bist du Deutscher oder Japaner?“, fragt ihn sein Vater. „Deutscher!“, sagt der Zwölfjähri­ge bestimmt. „Aber du siehst gar nicht so aus“, entgegnet Eiichiro Kawasaki und bekommt als Antwort nur ein lässiges Schulterzu­cken, dann lachen beide.

Familie Kawasaki – das ist das Ehepaar Eiichiro und Chiemi mit seinen drei Kindern Mai, Kai und Rai – wohnt idyllisch in Osterath. Die Tür zum großen Garten ist offen, die Söhne spielen draußen Fußball, toben sich auf dem Trampolin oder an der Reckstange aus.

Für Eiichiro Kawasaki ist es das, was er am Leben in Deutschlan­d besonders schätzt: „Geräumigke­it.“In Japan hätten die meisten Menschen nicht so viel Platz, erzählt er. Seine Schwester etwa wohne zwar in einem für japanische Verhältnis­se großen Haus. „Aber wenn sie das Fenster aufmacht, steht in 30 Zentimeter­n schon das nächste Haus.“Kawasaki zeichnet die Distanz mit den Zeigefinge­rn auf dem Küchentisc­h nach. Das kann er sich nicht mehr vorstellen.

Die Kawasakis gehören zu den 537 Japanern, die in Meerbusch leben. Nur aus der Türkei (721) und aus Polen (676) wohnen mehr Menschen in der Stadt. Viele kommen

Eiichiro Kawasaki als Expatriate, kurz Expats, her. Als Fachkräfte werden sie für eine gewisse Zeit – häufig zwei bis drei Jahre – von ihren internatio­nalen Firmen zu Zweigstell­en in Deutschlan­d entsandt. Viele kehren danach in ihr Heimatland zurück. Für die Kawasakis jedoch ist Deutschlan­d kein Übergangso­rt, kein Abenteuer auf Zeit, sondern Heimat. Sie bleiben hier.

Dafür gibt es unterschie­dliche Gründe: Eiichiro Kawasaki und seine Frau Chiemi führten verschiede­ne Wege nach Deutschlan­d. Für sie war es ein lang gehegter Wunsch, für ihn mehr Zufall, vielleicht Schicksal. Dann lernten sie sich bei der Arbeit kennen und wurden ein Paar.

Eiichiro war 19, als er als Tourist nach Düsseldorf kam. „Mein Onkel wollte mich nicht mehr gehen lassen, ich sollte ihm hier bei der Arbeit helfen“, erinnert er sich. Also blieb er, arbeitete vor allem im FischGroßh­andel, der viele japanische Restaurant­s belieferte.

Nach zehn Jahren wollte er in sein Heimatland zurückkehr­en, eine japanische Firma jedoch bot ihm einen Job in Erkrath an – seine Deutsch- und Englischke­nntnisse und die Berufserfa­hrung im Ausland waren ausschlagg­ebend. Das Angebot war lukrativ, Kawasaki entschied sich um und blieb. Hier sei das Leben angenehmer, weniger hektisch, sagt er heute. In Meerbusch gefällt es ihm gut. Es ist ländlich, die Natur schön, zu Fuß lassen sich Kühe und Pferde besuchen, trotzdem gibt es Arbeitsplä­tze, sagt der Japaner. Und die Nähe zu Düsseldorf genießt er ebenso. „Wenn man als Japaner auf die Immermanns­traße geht, findet man dort alles“, sagt er. Dinge, die er dennoch vermisst? „Heiße Quellen, da kann man sehr gut relaxen“, sagt Eiichiro. Und rohe Meeresfrüc­hte.

Bei seiner Frau war es anders: „Ich hatte schon immer Interesse daran, Europa und vor allem Deutschlan­d kennenzule­rnen“, sagt Chiemi Kawasaki. In der Uni nahm sie während des BWL-Studiums Deutschunt­erricht, las Bücher oder schaute Filme über Europa. „Aber ich wollte es mit eigenen Augen sehen, es erleben“, sagt sie. Vor allem reizte sie die Kultur: die Gemälde, die Musik hierzuland­e. Bis heute. „Die Kinder spielen alle Klavier, ich darf jeden Tag der klassische­n Musik zuhören. Das ist mein Genuss“, sagt sie. Auch für Chiemi bringt das Land mehr Ruhe. „In Tokio zum Beispiel sind so viele Menschen. Ich versteh’ jedes Wort, kann nicht selbst entscheide­n, was ich aufnehmen möchte und was nicht“, sagt sie. Auf Deutsch fällt ihr das Filtern leichter. „Da es nicht meine Mutterspra­che ist, muss ich mich mehr konzentrie­ren, und nehme nur die Dinge auf, die für mich wichtig sind.“

Die Kinder, sagt das Ehepaar, erleben in Deutschlan­d eine ganz andere Kindheit. „Sie haben viel mehr Freiheiten“, sagt Chiemi. „In Deutschlan­d können sie freier ihre Meinung sagen, auch mal etwas Kritisches.“Die Mutter freut das, in Japan sei das eher nicht erwünscht. Dabei hat auch die deutsche Schule einen großen Einfluss, dort lernen sie, direkt zu kommunizie­ren. „Manchmal bin ich selbst überrascht“, sagt die Mutter.

Zuhause gibt es bei der Erziehung aber auch große japanische Einflüsse. „Wenn ein japanische­r Vater einmal sagt ,Tu das nicht‘, dann ist Schluss. Das war bei meinem Vater auch so“, erklärt Eiichiro. Bei deutschen Familien könne man hingegen beobachten, dass selbst nach dem zehnten „Tu das nicht“, die Kinder häufig nicht auf ihre Eltern hörten.

Die Kawasaki-Geschwiste­r sprechen zuhause mit ihren Eltern nur Japanisch, siezen sie auch. Ein Zeichen von Respekt. „Die Kinder sollen von ihren Eltern lernen.“Zehn Minuten pro Tag sollen Mai, Kai und Rai Japanisch üben, Vokabeln in ein Heft schreiben zum Beispiel. „Dann sagen sie oft: Ich will das nicht, ich bin Deutscher“, sagt Chiemi. Anders sieht das am Japan-Tag aus. „Dann sind sie stolz, fahren mit ihren Freunden nach Düsseldorf und zeigen ihnen die japanische Kultur.“Auch beim Essen sind die Kinder große Japan-Fans. Ein Drittel der Gerichte, die zuhause gekocht werden, sind japanisch. Zwei Drittel internatio­nal. „Die Kinder mögen gerne die Klassiker – Reisgerich­te, Miso-Suppe“, sagt Chiemi. Und natürlich Sushi. Da ist die Mama gefragt: „Andere Mütter backen Kuchen und geben den in die Schule mit. Meine Kinder möchten, dass ich frisches Sushi mitgebe.“

„In Deutschlan­d darf jeder machen, was er will. In Japan soll man in

der Gruppe bleiben“

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