Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Eine Minderheitsregierung wäre spannend“
Die mögliche neue Grünen-Chefin hält das Soziale hoch und fordert höhere Steuern für Reiche.
Sie kandidieren am Samstag gegen Annalena Baerbock für den GrünenVorsitz. Baerbock gilt als Pragmatikerin, Sie als Linke. Befürchten Sie, mit Robert Habeck und Baerbock an der Spitze käme das Soziale zu kurz? PIEL Annalena und Robert sind alle beide sehr gut in der Klima- und Umweltpolitik. Ich finde, es wäre ein charmantes Angebot an die Partei, Klima- und Umweltpolitik mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu kombinieren, für die ich stehe. Habeck will als möglicher neuer Parteichef seinen Posten als Umweltminister in Schleswig-Holstein noch für eine Übergangszeit behalten. Welche Zeit würden Sie ihm einräumen? PIEL Der Übergang müsste für Robert Habeck in sechs Monaten zu schaffen sein. Vielleicht wird man die sechs Monate noch um ein paar Wochen verlängern, dann wären wir bei maximal acht Monaten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir Grüne uns wegen dieser Satzungsfrage zerlegen. Würden Sie als Parteichefin für einen höheren Spitzensteuersatz kämpfen? PIEL Wenn wir über Umverteilung reden, müssen wir erst einmal sagen, wofür wir mehr Geld brauchen. Wir haben ein unterfinanziertes Bildungssystem. Und wir müssen bei den Renten Lücken schließen, insbesondere bei Frauen, die durch gebrochene Erwerbsbiografien zu wenig Rente bekommen. Um dafür mehr Geld zu haben, können wir über einen höheren Spitzensteuersatz reden – oder die Vermögensteuer oder eine höhere Erbschaftsteuer. Sollen die Grünen im Bundestag Schritte der großen Koalition unterstützen, die auch Sie wollen, etwa Schritte zur Bürgerversicherung? PIEL Wir werden sicherlich Schritte der großen Koalition, die die Gesundheitsversorgung gerechter ma- chen, im Bundestag mittragen. Dazu könnte gehören, dass die Arzthonorare für privat und gesetzlich Krankenversicherte einander angeglichen werden. Oder dass die paritätische Krankenkassenfinanzierung wieder eingeführt wird. Was ist Ihr Ziel für 2021? PIEL Ich wünsche mir, dass wir 2021 drittstärkste Kraft werden. Bestenfalls regieren wir dann in einem Zweierbündnis, realistischerweise aber eher in einem Dreierbündnis. Wären sie dann eher für eine Jamaika- Koalition oder für Rot-Rot-Grün? PIEL Ich habe in rot-grünen Zusammenhängen gute Regierungserfahrung gemacht. Ich kann mir auch im Bund eine Minderheitsregierung mit Tolerierung vorstellen. Wie meinen Sie das genau? PIEL Ich stelle mir eine Minderheitsregierung spannend vor. Das stärkt die parlamentarische Demokratie. Es wäre spannend zu erfahren, wie man mit unterschiedlichen Mehrheiten Lösungen erarbeitet. Vielleicht wird daraus ja noch was, wenn die große Koalition scheitert. PIEL Grüne stehen grundsätzlich auch für eine Tolerierung einer Minderheitsregierung zur Verfügung, wenn die große Koalition wider Erwarten nicht zustande kommt. Das, finde ich, ist eine spannende Idee.
B. MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.