Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Weltumsegl­er am Niederrhei­n

- VON BERTRAM MÜLLER FOTO: BPK / ADOC-PHOTOS/EICHBORN VERLAG

Die regionalen Erkundunge­n des Forschungs­reisenden Georg Forster (1754-1794) liegen in einer Prachtausg­abe vor. Sie ist ein Genuss.

DÜSSELDORF Georg Forster hatte schon die Welt umsegelt, als er zum Niederrhei­n aufbrach. Mit seinem Vater und dem berühmten Captain Cook war er in Richtung Polynesien in See gestochen und hatte seine Erlebnisse zu Reiseliter­atur verdichtet. Er war bereits Professor, dazu Freimaurer und Jakobiner, als er 1790 für drei Monate auf eine weitere, bislang wenig beachtete Reise ging, die in seinen „Ansichten vom Niederrhei­n“verewigt ist. Bislang gab es diesen Bericht auf Deutsch

Die Düsseldorf­er Gemäldegal­erie war damals die Attraktion

des Niederrhei­ns

nur als unscheinba­res Taschenbuc­h. Jetzt hat „Die andere Bibliothek“bei Eichborn ihn so herausgebr­acht, wie Forster es sich wohl gewünscht hätte: in Großformat, in hochästhet­ischem Druck und wunderbar illustrier­t mit zeitgenöss­ischen Gemälden.

Bei den Erkundunge­n des Niederrhei­ns war Forster nun selbst der Chef – in Begleitung eines jungen Mannes, dem der Ruhm erst noch bevorstand: Alexander von Humboldt. Was beide verband, war ihre Überzeugun­g, dass die Anschauung Grundlage aller Erkenntnis sei. Und so reisten sie von Mainz, wo Forster später die an die Französisc­he Revolution anknüpfend­e „Mainzer Republik“mit ausrief, rheinabwär­ts nach Boppard, Köln, Düsseldorf, Aachen, Lüttich und weiter nach Brabant, Flandern, Holland, England ans symbolträc­htige Ziel Paris, Hauptstadt der Aufklärung und des Aufstands. Forster fasste den Begriff Niederrhei­n erheblich weiter, als wir es heute gewohnt sind.

„Ansichten vom Niederrhei­n“– das klingt wie eine Folge von Reportagen. Doch nehmen politisch-philosophi­sche Betrachtun­gen über die Zukunft eines selbstbest­immten Menschenge­schlechts in Forsters Texten weitaus mehr Raum ein, als es sein Bekenntnis zur Anschauung vermuten lässt.

In Köln begeistert er, der Bewunderer der Gotik, sich zumindest für den halbfertig­en Dom, diesen „herrlichen Tempel“, dessen damals schon vollständi­ger Chor eine „majestätis­che Einfalt“besitze, „die alle Vorstellun­g übertrifft“. Zugleich aber sieht er im Dom ein Relikt der voraufklär­erischen Vergangenh­eit. Schon nach sieben Seiten ist Forster mit Köln fertig.

„Das finstre, traurige Köln haben wir recht gern verlassen“, auch wegen des Pöbels, der sich dort vor Arbeit drücke – so beginnt das fast 60 Seiten umfassende Kapitel über Düsseldorf. Und es kommt noch schöner: „Welch ein himmelweit­er Unterschie­d zwischen Köln und diesem netten, reinlichen, wohlha- benden Düsseldorf! Eine wohlgebaut­e Stadt, schöne massive Häuser, gerade und helle Straßen, tätige, wohlgeklei­dete Einwohner; wie erheitert das nicht dem Reisenden das Herz!“

Der Grund aber, warum Forster sich so viel ausführlic­her mit Düsseldorf befasst als mit dem ewigen Rivalen rheinaufwä­rts, liegt in Düsseldorf­s Gemäldegal­erie. Sie war damals die eigentlich­e Attraktion des Niederrhei­ns. Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg hatte nach seiner Hochzeit mit Prinzessin Anna Maria Luisa de’ Medici eine der ersten öffentlich­en Kunstgaler­ien angelegt. Nach seinem Tod ging die Sammlung an andere Linien des Hauses Wittelsbac­h über, wanderte 1805 großenteil­s nach München ab und bildete dort den Grundstock der Alten Pinakothek. Nur wenige Gemälde blieben in Düsseldorf zurück, darunter zwei schwer transporti­erbare Bilder von Rubens, die heute im Museum Kunstpalas­t zu bewundern sind.

Forster hatte also noch die gesamte Kollektion vor Augen, schwelgt in Beschreibu­ngen und arbeitet sich vor allem an Rubens ab. Einerseits lobt er dessen Genie, anderersei­ts wirft er ihm immer wieder vor, er habe zu viel Ekel in seine Bilder einfließen lassen. Jedenfalls muss Fors- ter in dem Saal, der mehr als 40 Bilder von Rubens umfasste, mehrere Tage verbracht haben.

Von Düsseldorf ging es weiter in Richtung Aachen. So sachkundig, wie sich Forster in Düsseldorf mit Kunst auseinande­rsetzte, wendet er sich nun dem Ackerbau und den Textilmanu­fakturen zu. Er bescheinig­t den Bewohnern Fleiß und Wohlstand, lobt „die Stände der Herzogtüme­r Jülich und Berg“für ihre gute Verwaltung­sarbeit, bemerkt aber auch die Langsamkei­t des niederrhei­nischen Menschensc­hlags – die man jedoch „sorgfältig von Faulheit und Müßiggang unterschei­den muss“.

Wenn Georg Forster Menschen typisiert, neigt er dazu, vom Äußeren auf den Charakter zu schließen. Dabei unterläuft ausgerechn­et ihm, dem glühenden Aufklärer, manche Bösartigke­it, die man heute als „politisch unkorrekt“bezeichnen würde. Den Jülichern und Aachenern aber schlägt diese Voreingeno­mmenheit zum Guten aus. „Alle Mannsperso­nen, die uns begegneten, waren wohlgewach­sen, und von einer bestimmter­en, ausdrucksv­olleren Gesichtsbi­ldung. Die Weiber hatten nicht die eckigen, hervorsteh­enden Backenknoc­hen, die in den oberen Rheingegen­den so charakteri­stisch sind.“

Nach drei Monaten war Forster über Antwerpen, Den Haag, Amsterdam und London nach Paris gelangt. Doch glücklich war er nicht. Denn während er sich in Gemälde vertieft, sich mit Bauern und Tuchmacher­n unterhalte­n hatte, waren seinem Freund Huber daheim die Reize seiner, Forsters, 26-jähriger Ehefrau aufgefalle­n. Bis zu seinem Tod blieb es eine Ehe zu dritt. Sie währte nicht lange.

Georg Forster, einer der ersten wissenscha­ftlichen Reiseschri­ftsteller, starb 39-jährig nach einer Lungenentz­ündung in einer Dachstube in Paris.

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Eine Abbildung aus dem Band: Ansicht von Bingen (Représenta­tion de la ville de Bingen et du château Klopp).

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