Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Streit um Kontrollen nach Herkunft

- VON BIRGIT MARSCHALL UND THOMAS REISENER

Ihr gezieltes Vorgehen gegen Nordafrika­ner hat der Kölner Polizei Rassismus-Vorwürfe eingebrach­t. Ein internes Polizeipap­ier belegt, dass die Fahndung nach Nationalit­äten längst gängige Praxis ist.

BERLIN/DÜSSELDORF Das Einkesseln mehrerer Hundert Nordafrika­nern und deren gezielte Kontrolle durch die Polizei in der Kölner Silvestern­acht haben eine bundesweit­e Rassismus-Debatte ausgelöst. Die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal kritisiert­e den Polizeiein­satz und forderte eine unabhängig­e Untersuchu­ng. Bei den Linken gab es geschlosse­ne, bei den Grünen vereinzelt­e Kritik am Vorgehen der Kölner Polizei.

Nach den sexuellen Ausschreit­ungen im Vorjahr hatte die Kölner Polizei in der Silvestern­acht mehrere Gruppen von nordafrika­nischen Männer am Hauptbahnh­of festgesetz­t. Kritiker werfen der Polizei vor, das wichtigste Entscheidu­ngskriteri­um dafür sei die Herkunft dieser Personen gewesen. „Bei dem Einsatz handelte es sich also eindeutig um Racial Profiling“, sagte Amnesty-Experte Alexander Bosch.

Während die Grünen-Chefin auf Bundeseben­e, Simone Peter, das Vorgehen der Kölner Polizei am Vortag noch scharf kritisiert hatte, rela- tivierte sie ihre Äußerungen gestern deutlich. Dass sich die Übergriffe der Silvestern­acht 2015 nicht wiederholt­en, sei auch der gut vorbereite­ten Polizei zu verdanken, schrieb Peter auf ihrer Facebook-Seite. Zuvor hatten sich selbst Parteifreu­nde irritiert über Peters Polizeisch­elte gezeigt. Die Vorsitzend­e der Grünen-Bundestags­fraktion, Katrin Göring-Eckardt, und andere Parteikoll­egen positionie­rten sich deutlich vorsichtig­er als Peter.

Weitere Politiker auf Bundes- wie auf Landeseben­e distanzier­ten sich von der Polizei-Kritik. „Hätte nach Vorstellun­g der Grünen die Kölner Polizei diese Gruppen passieren und stattdesse­n Großeltern kontrollie­ren sollen, die mit ihren Enkeln unterwegs waren?“, fragte der Unionsfrak­tionsvize im Bundestag, Stephan Harbarth. „Das widerspric­ht jeder Lebenserfa­hrung.“Er forderte eine Sondersitz­ung des Bundesrats „noch in der ersten Januarhälf­te“, um die drei Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsl­ändern zu erklären. Der innenpolit­ische Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Burkhard Lischka, sagte, der Einsatz Polizei sei in seinen Augen „nicht kritikwürd­ig.“

Nach Recherchen unserer Redaktion ist das gezielte Vorgehen der Polizei gegen bestimmte Nationalit­äten in NRW nicht erst seit Silvester gängige Praxis. In einem vertraulic­hen Fahndungsb­latt „Mobile Täter im Visier (Motiv)“, das das Landeskrim­inalamt für die Streifenpo­lizisten in NRW verfasst hat, heißt es: „Die Staatsange­hörigen der MotivTatve­rdächtigen sind vorwiegend rumänisch, deutsch (häufig mit Mi- grationshi­ntergrund) sowie in steigender Anzahl marokkanis­ch“. Zu „nordafrika­nischen Tatverdäch­tigen“heißt es, sie begingen insbesonde­re Raub- , Körperverl­etzungsund Taschendie­bstahlsdel­ikte.

Ein Sprecher des Innenminis­teriums erklärte, das Vorgehen sei kein „Racial Profiling“, weil es lediglich „auf der Grundlage von Einsatzund Ermittlung­serfahrung beschreibt, was ist“. Thomas Feltes, Professor für Kriminolog­ie und Polizeiwis­senschaft an der Ruhr-Universitä­t Bochum, hält ein solches Fahndungsb­latt dennoch für „schlimmste Vulgärkrim­inologie“. Derartige Vorgaben würden den Polizeistr­eifen „suggeriere­n, dass die Polizeifüh­rung in NRW nicht viel Wert auf Differenzi­erung legt“.

Innenminis­ter Ralf Jäger hatte die Anwendung von „Racial Profiling“in NRW stets bestritten. Der CDUPolizei­experte Gregor Golland wirft ihm nun Unglaubwür­digkeit vor. „Wie auch immer Jäger das Racial Profiling selbst definiert – offenbar macht er genau das und handelt damit anders, als er behauptet.“Leitartike­l Nordrhein-Westfalen

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