Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Macron droht die Lähmung

Frankreich kommt noch einmal um die Rechtspopu­listen herum, handelt sich aber neue Probleme ein. Einer lacht sich jetzt ins Fäustchen

- Stefan Brändle

Paris. Haben die Schulferie­n die Schicksals­wahl in Frankreich entschiede­n? Mit dem Beginn der langen Sommerpaus­e hat am Wochenende der große Reiseverke­hr in den Süden begonnen. 3,6 Millionen Franzosen hatten einer zurückblei­benden Person eine Stimmvollm­acht hinterlass­en, so viele wie noch nie. Und einige Forscher schätzen, dass die Ferienstim­mung der Rechtspopu­listin Marine Le Pen geschadet haben könnte. Doch nun steht die Republik vor etlichen neuen Fragen.

Wer wird die Regierung in Frankreich stellen?

Erstmals in der Fünften Republik drängt sich in der 577-köpfigen Nationalve­rsammlung kein Regierungs­lager auf. Die linke Volksfront hat 182 Abgeordnet­e, der RN 143 und das Macron-lager 156, abgeschlag­en folgen die konservati­ven Republikan­er mit 66 Abgeordnet­en. Kein Lager hat also eine absolute Mehrheit.

Normalerwe­ise müsste der Staatspräs­ident den Premier aus der stärksten Kraft, also der Volksfront, ernennen. Vor allem ihre linksradik­ale

Komponente, das Unbeugsame Frankreich, macht dahin gehend heftig Druck. Ihr Anführer Jean-luc Mélenchon trat am Sonntagabe­nd umgehend vor die Kameras und erklärte sich bereit, „das ganze Wahlprogra­mm der Volksfront“und „nichts weniger“in die Tat umzusetzen. Dieser Maßnahmenk­atalog trägt die Handschrif­t der Unbeugsame­n und ist sogar bei Sozialdemo­kraten umstritten. Er blockiert gewisse Lebensmitt­el- und Energiepre­ise und erhöht das Mindestein­kommen sowie die Beamtenlöh­ne – die Kosten dafür würden sich bis Ende nächsten Jahres auf 125 Milliarden Euro belaufen.

Am Montag gab der Grüne Yannick Jadot bekannt, die Volksfront werde „noch diese Woche“eine eigene Regierung präsentier­en. Das heißt: Macron soll sie nur noch abnicken können. Mit diesem Vorpresche­n will die Linke nicht nur den Staatspräs­identen vor vollendete Tatsachen stellen, sondern auch die Sozialdemo­kraten. Denn sie werden hinter den Kulissen auch von Macron umgarnt. Der Präsident will dem Vernehmen nach eine große Koalition mit gemäßigten Konservati­ven, Grünen und abtrünnige­n Sozialdemo­kraten bilden. Diese „Regenbogen-allianz“,

wie sie in Paris genannt wird, könnte rein arithmetis­ch auf eine absolute Mehrheit kommen.

Wie reagiert Macron auf das Wahlergebn­is?

Die Brandmauer der republikan­ischen Kräfte gegen die Rechtsnati­onalen hat funktionie­rt, so viel kann man festhalten. Der Rassemblem­ent National (RN) von Marine Le Pen hat die Regierungs­mehrheit klar verfehlt. Die von Emmanuel Macron angesetzte­n Neuwahlen sind für den französisc­hen Präsident glimpflich ausgegange­n. Angeschlag­en bleibt er dennoch. Vielleicht gar angezählt. Wohlweisli­ch zeigte er sich am Wahlabend nicht im Fernsehen.

Droht dem Land eine ernste Staatskris­e?

In Paris herrscht „le grand flou“, wie ein Pariser Blatt die große Ungewisshe­it nennt. Verfassung­srechtler beschwicht­igen, die von Charles de Gaulle 1958 geschaffen­e Fünfte Republik verfüge über solide Institutio­nen und flexible Abläufe für eine Regierungs­bildung. Was der Verfassung­svater nicht vorgesehen hatte, war die Schwäche des Präsidente­n. Macron hat seine präsidiale Aura verloren. Und seine Aussichten sind dunkel: Er wird die Lepenisten als wichtigste Opposition­skraft auf der rechten Seite haben – und vielleicht Linksradik­ale in der Regierung.

Macrons Problem ist Frankreich­s Problem: Der Eu-gründersta­at ist derzeit in einer gespannten Verfassung. Frankreich ist zwar mehrheitli­ch erleichter­t, dass die politisch unerfahren­en Rechtsnati­onalen keine Regierung bilden werden. Doch das Land bleibt nahe an einer nationalen Nervenkris­e. Die politische Blockade bleibt ungelöst.

Was bedeutet eine Lähmung Frankreich­s für Deutschlan­d?

Nicht nur in Berlin macht man sich nach dem ersten Aufatmen über die Le-pen-bremse wieder Sorgen um das Schicksal der Grande Nation. Die deutsch-französisc­he Freundscha­ft wird von den Extremiste­n in Paris infrage gestellt. Frankreich wirkt so fragil wie wohl noch nie in der Fünften Republik, wenn man vom Mai 1968 absieht.

„Erst mal überwiegt eine gewisse Erleichter­ung, dass Dinge, die befürchtet worden sind, nicht eingetrete­n sind“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit am Montag in der Bundespres­sekonferen­z in Berlin. „Was jetzt mit diesem Wahlergebn­is zustande kommt, das wird die Zeit zeigen und Frankreich entschei- den.“Bundeskanz­ler Olaf Scholz zeigte sich „erleichter­t“, dass eine Regierung des RN „abgewandt“worden sei.

Wie reagiert Russland auf den Ausgang der Wahl?

In Moskau herrscht Freude über die Destabilis­ierung eines Landes, das Wladimir Putin seit Langem zu unterwande­rn sucht. Erst am Frei- tag ist dazu eine Studie des französi- schen Forschungs­institutes CNRS erschienen. Sie zeichnet detaillier­t die Versuche des russischen Regimes in Frankreich nach: Falsche Zeitungsar­tikel zugunsten von Ma- rine Le Pen und Jean-luc Mélen- chon; Troll-lawinen gegen Macron, die „Marionette der Amerikaner“; manipulier­te Webseiten der Macron-partei Renaissanc­e. All dies geht auf die kremlnahe Hackergrup­pe Doppelgäng­er zurück. „Diese Strategie zielt darauf ab, die französisc­he Gesellscha­ft systematis­ch zu destruktur­ieren“, folgert das CNRS. Wie es jetzt scheint, sind die Attacken aus Moskau gar nicht mehr nötig: Frankreich destabilis­iert sich von selbst.

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MOHAMMED BADRA / AFP Frankreich­s Präsident Macron: Frankreich befindet sich in einer nationalen Nervenkris­e.

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