Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Macron droht die Lähmung
Frankreich kommt noch einmal um die Rechtspopulisten herum, handelt sich aber neue Probleme ein. Einer lacht sich jetzt ins Fäustchen
Paris. Haben die Schulferien die Schicksalswahl in Frankreich entschieden? Mit dem Beginn der langen Sommerpause hat am Wochenende der große Reiseverkehr in den Süden begonnen. 3,6 Millionen Franzosen hatten einer zurückbleibenden Person eine Stimmvollmacht hinterlassen, so viele wie noch nie. Und einige Forscher schätzen, dass die Ferienstimmung der Rechtspopulistin Marine Le Pen geschadet haben könnte. Doch nun steht die Republik vor etlichen neuen Fragen.
Wer wird die Regierung in Frankreich stellen?
Erstmals in der Fünften Republik drängt sich in der 577-köpfigen Nationalversammlung kein Regierungslager auf. Die linke Volksfront hat 182 Abgeordnete, der RN 143 und das Macron-lager 156, abgeschlagen folgen die konservativen Republikaner mit 66 Abgeordneten. Kein Lager hat also eine absolute Mehrheit.
Normalerweise müsste der Staatspräsident den Premier aus der stärksten Kraft, also der Volksfront, ernennen. Vor allem ihre linksradikale
Komponente, das Unbeugsame Frankreich, macht dahin gehend heftig Druck. Ihr Anführer Jean-luc Mélenchon trat am Sonntagabend umgehend vor die Kameras und erklärte sich bereit, „das ganze Wahlprogramm der Volksfront“und „nichts weniger“in die Tat umzusetzen. Dieser Maßnahmenkatalog trägt die Handschrift der Unbeugsamen und ist sogar bei Sozialdemokraten umstritten. Er blockiert gewisse Lebensmittel- und Energiepreise und erhöht das Mindesteinkommen sowie die Beamtenlöhne – die Kosten dafür würden sich bis Ende nächsten Jahres auf 125 Milliarden Euro belaufen.
Am Montag gab der Grüne Yannick Jadot bekannt, die Volksfront werde „noch diese Woche“eine eigene Regierung präsentieren. Das heißt: Macron soll sie nur noch abnicken können. Mit diesem Vorpreschen will die Linke nicht nur den Staatspräsidenten vor vollendete Tatsachen stellen, sondern auch die Sozialdemokraten. Denn sie werden hinter den Kulissen auch von Macron umgarnt. Der Präsident will dem Vernehmen nach eine große Koalition mit gemäßigten Konservativen, Grünen und abtrünnigen Sozialdemokraten bilden. Diese „Regenbogen-allianz“,
wie sie in Paris genannt wird, könnte rein arithmetisch auf eine absolute Mehrheit kommen.
Wie reagiert Macron auf das Wahlergebnis?
Die Brandmauer der republikanischen Kräfte gegen die Rechtsnationalen hat funktioniert, so viel kann man festhalten. Der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hat die Regierungsmehrheit klar verfehlt. Die von Emmanuel Macron angesetzten Neuwahlen sind für den französischen Präsident glimpflich ausgegangen. Angeschlagen bleibt er dennoch. Vielleicht gar angezählt. Wohlweislich zeigte er sich am Wahlabend nicht im Fernsehen.
Droht dem Land eine ernste Staatskrise?
In Paris herrscht „le grand flou“, wie ein Pariser Blatt die große Ungewissheit nennt. Verfassungsrechtler beschwichtigen, die von Charles de Gaulle 1958 geschaffene Fünfte Republik verfüge über solide Institutionen und flexible Abläufe für eine Regierungsbildung. Was der Verfassungsvater nicht vorgesehen hatte, war die Schwäche des Präsidenten. Macron hat seine präsidiale Aura verloren. Und seine Aussichten sind dunkel: Er wird die Lepenisten als wichtigste Oppositionskraft auf der rechten Seite haben – und vielleicht Linksradikale in der Regierung.
Macrons Problem ist Frankreichs Problem: Der Eu-gründerstaat ist derzeit in einer gespannten Verfassung. Frankreich ist zwar mehrheitlich erleichtert, dass die politisch unerfahrenen Rechtsnationalen keine Regierung bilden werden. Doch das Land bleibt nahe an einer nationalen Nervenkrise. Die politische Blockade bleibt ungelöst.
Was bedeutet eine Lähmung Frankreichs für Deutschland?
Nicht nur in Berlin macht man sich nach dem ersten Aufatmen über die Le-pen-bremse wieder Sorgen um das Schicksal der Grande Nation. Die deutsch-französische Freundschaft wird von den Extremisten in Paris infrage gestellt. Frankreich wirkt so fragil wie wohl noch nie in der Fünften Republik, wenn man vom Mai 1968 absieht.
„Erst mal überwiegt eine gewisse Erleichterung, dass Dinge, die befürchtet worden sind, nicht eingetreten sind“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in der Bundespressekonferenz in Berlin. „Was jetzt mit diesem Wahlergebnis zustande kommt, das wird die Zeit zeigen und Frankreich entschei- den.“Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich „erleichtert“, dass eine Regierung des RN „abgewandt“worden sei.
Wie reagiert Russland auf den Ausgang der Wahl?
In Moskau herrscht Freude über die Destabilisierung eines Landes, das Wladimir Putin seit Langem zu unterwandern sucht. Erst am Frei- tag ist dazu eine Studie des französi- schen Forschungsinstitutes CNRS erschienen. Sie zeichnet detailliert die Versuche des russischen Regimes in Frankreich nach: Falsche Zeitungsartikel zugunsten von Ma- rine Le Pen und Jean-luc Mélen- chon; Troll-lawinen gegen Macron, die „Marionette der Amerikaner“; manipulierte Webseiten der Macron-partei Renaissance. All dies geht auf die kremlnahe Hackergruppe Doppelgänger zurück. „Diese Strategie zielt darauf ab, die französische Gesellschaft systematisch zu destrukturieren“, folgert das CNRS. Wie es jetzt scheint, sind die Attacken aus Moskau gar nicht mehr nötig: Frankreich destabilisiert sich von selbst.