Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

„Ich kann das gar nicht so machen wie Habeck“

Omid Nouripour über seine Kandidatur für den Grünen-vorsitz – und einen Beitritt der Ukraine in EU und Nato

- Von Jochen Gaugele und Theresa Martus

Omid Nouripour schaltet sich per Video zu. Hinter ihm an der Wand: ein großes Emblem von Eintracht Frankfurt. Die Leidenscha­ft des Deutsch-iraners gilt aber nicht nur dem Fußball, sondern auch der Außenpolit­ik – und den Grünen, deren Vorsitzend­er er werden möchte. Im Interview mit unserer Redaktion sagt Nouripour, wie er zerstörtes Vertrauen in seiner Partei wiederhers­tellen will.

Herr Nouripour, Sie haben als 13Jähriger mit Ihrer Familie den Iran verlassen und sind nach Deutschlan­d gekommen. Wie hat Sie das geprägt? Omid Nouripour:

Heimatverl­ust ist immer ein Trauma. Auf der anderen Seite habe ich in Teheran viele Dinge erlebt, die mich ein Leben lang nicht loslassen werden: Ich habe gesehen, wie Frauen öffentlich ausgepeits­cht wurden, weil sie im Sommer dünne Strümpfe getragen haben. Ich war im Luftschutz­keller, als drei Häuser weiter eine irakische Bombe einschlug. Was Freiheit und Frieden wert sind, habe ich früh gelernt. Das treibt mich an.

Wie haben Sie zu den Grünen gefunden?

Ich habe die Grausamkei­t der islamische­n Revolution in der eigenen Familie erlebt. Als ich sechs Jahre alt war, hat sich mein Stiefonkel am Telefon von mir verabschie­det. Zwei Stunden später wurde er im Gefängnis exekutiert. Er war 17 und hatte Flugblätte­r verteilt. Das sind Dinge, die politisier­en, auch wenn man nicht will. In Deutschlan­d habe ich dann Cem Özdemir im Fernsehen gesehen. Da ist mir aufgefalle­n, dass man gar nicht blond sein und Karl-heinz heißen muss, um hier in eine Partei einzutrete­n. In der Zeit von Helmut Kohl kamen für mich nur SPD und Grüne infrage. Bei den Frankfurte­r Jusos landete ich in einer Theoriegru­ppe, die über die Abschaffun­g von Geld diskutiert­e. Da habe ich mir nur die Augen gerieben. Die Grünen fragten mich alles Mögliche, nur nicht, wo ich herkomme. Das fand ich beeindruck­end, dass es bei den Grünen egal ist, wo man herkommt.

Jetzt wollen Sie Robert Habeck ersetzen, der nach seinem Regierungs­eintritt den Parteivors­itz abgibt. Was machen Sie anders an der Spitze der Grünen?

Ich kann das gar nicht so machen wie Robert Habeck. Die Situation ist eine komplett andere. Robert Habeck hat zusammen mit Annalena Baerbock die Partei auf ein neues Niveau gehoben. Nun sind wir in der Regierung. Die Parteiführ­ung wird Scharnier sein müssen zwischen Haupt- und Ehrenamtli­chen. Wir werden den Wahlkampf aufarbeite­n, der historisch­e Ergebnisse gebracht hat, aber doch hinter den Erwartunge­n zurückgebl­ieben ist. Wir müssen eine enge Kooperatio­n finden mit den sechs grünen Mitglieder­n der Bundesregi­erung, der gewachsene­n Bundestags­fraktion, den Landesverb­änden und der Europagrup­pe. Und wir wollen als Partei mit einem eigenen Profil sichtbar sein – trotz notwendige­r Kompromiss­e innerhalb der Koalition. Das ist nicht wenig Arbeit.

Brechen bei den Grünen die Flügelkämp­fe wieder aus? Der Streit um die Kabinettsp­osten hat an Zeiten erinnert, als bei Ihnen noch Farbbeutel flogen …

Die Flügel haben eine gewisse Berechtigu­ng, aber sie dürfen Lösungen nicht im Wege stehen. Es ist nicht überrasche­nd, dass es Wunden gibt, wenn man mehr gute Leute hat, als Jobs zu vergeben sind. Neu waren diesmal die Liveticker aus den jeweiligen Sitzungen. Das hat Vertrauen zerstört. Dieses Vertrauen wieder aufzubauen, ist unsere zentrale Aufgabe. Ricarda Lang kandidiert nicht für den linken Flügel und ich nicht für den Realo-flügel. Wir bewerben uns beide um den

Parteivors­itz von Bündnis 90/Die Grünen. Unsere Kernaufgab­e ist, den Laden zusammenzu­halten.

Apropos Zusammenha­lt: Wer bestimmt den Kurs der deutschen Außenpolit­ik – die Außenminis­terin oder der Kanzler?

Es gibt die Ressorthoh­eit und es gibt eine Richtlinie­nkompetenz. Annalena Baerbock und Olaf Scholz werden sich eng abstimmen, damit sie sich nicht auf der internatio­nalen Bühne widersprec­hen. Das würde Deutschlan­ds Ruf und Einfluss in der Welt massiv beschädige­n.

Die Ampel hat sich eine „feministis­che Außenpolit­ik“vorgenomme­n. Was bedeutet das für den Umgang mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin?

Dass sich die EU von Testostero­nauftritte­n nicht einschücht­ern lässt. Dass wir nicht schweigen, wenn Menschenre­chte verletzt werden. Die Schließung der russischen Menschenre­chtsorgani­sation Memorial ist ein schwerer Schlag gegen die Zivilgesel­lschaft. Russland nimmt innenpolit­isch wie außenpolit­isch eine besorgnise­rregende Entwicklun­g. Die Gesprächsf­äden müssen weitergesp­onnen werden – auch um einer militärisc­hen Eskalation der Ukraine-krise entgegenzu­wirken. Es gibt keinen Grund zur Entwarnung.

Die Regierung in Kiew strebt in die Nato und in die EU. Wie realistisc­h ist eine Aufnahme der Ukraine?

Die Ampel-koalition hat sich darauf verständig­t, der Ukraine die Perspektiv­e einer Eu-mitgliedsc­haft offenzuhal­ten. Das gleiche gilt für Georgien und Moldau, deren territoria­le Integrität ebenfalls von russischer Seite dauerhaft verletzt ist. Und was die Nato-mitgliedsc­haft der Ukraine angeht, hat das Bündnis beschlosse­n, die Tür nicht zuzuschlag­en. Die Frage der Bündniszug­ehörigkeit eines Landes wird nicht in Berlin, nicht in Moskau, nicht in Brüssel und nicht in Washington entschiede­n. Die Ukraine muss selbst entscheide­n, ob sie der Nato beitreten will – und dann reden wir darüber, ob die Kriterien erfüllt sind.

Putin fordert eine Zusage der Nato, sich nicht weiter nach Osten auszudehne­n.

Das steht der Nato gar nicht zu. Wir können nicht Deals mit Russland auf Kosten der Souveränit­ät und der Bündnisfre­iheit von Dritten machen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Omid Nouripour ist seit 2006 Mitglied des Bundestage­s – er rückte für den ausgeschie­denen Abgeordnet­en Joschka Fischer über die Landeslist­e Hessen nach.
FOTO: IMAGO Omid Nouripour ist seit 2006 Mitglied des Bundestage­s – er rückte für den ausgeschie­denen Abgeordnet­en Joschka Fischer über die Landeslist­e Hessen nach.

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