Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
„Die Rache der Weihnachtsgurke“von Julia Bruns
„Wenn sich herausstellen sollte, dass du mir was verschweigst, Blaschke, dann war das deine letzte Dorfweihnacht“, sagt sie und die Schadenfreude steht ihr ins Gesicht geschrieben.
Ich frage mich, was der Mord an dem Pfarrer mit Blaschkes Blödheit und mit der Tradition unserer Dorfweihnacht zu tun hat. Es kann eigentlich nur darum gehen, dass sie dem Blaschke Angst machen will. Für so bösartig hätte ich sie nicht gehalten. Meine Güte! Da ist aber eine auf dem Rachebesen unterwegs. Aber wofür will sich der Schrumpfkopf eigentlich rächen? Dafür, dass wir alle in dem Dorf geblieben sind, in dem sie nie sein wollte? Dass noch niemand unser Eliasborn oder gleich den gesamten Thüringer Wald abgefackelt hat? Ich beschließe, besser aufzupassen, denn solange das Weib im Dorf ist, kann das gefährlich werden. Es ist ja nicht so, dass ich ein Verfechter des Dorflebens bin, schon gar nicht des unseren, aber ganz so fertigmachen lassen müssen wir uns auch nicht. Nicht einmal, wenn jemand den Pfarrer um die Ecke gebracht hat.
Der Blaschke Bürgermeister läuft knallrot an und ringt nach Luft. „Seit achtundvierzig Jahren …“, japst er. „Meine Weihnacht … das kannst du nicht …“
Wenn Alfred das sehen könnte, würde er schon mal seinen Sonntagsanzug anziehen und seine Rede zur Amtsübernahme einstudieren, denke ich und erwäge einen kurzen Moment, den Blaschke Bürgermeister zu stützen. Der jedoch ist eine Kämpfernatur und bevor der Feind ihn in die Knie zwingt, dreht er ab und stapft aus dem Zimmer. Recht hat er. Vor Irmgard Gmeiner darf man keine Schwäche zeigen.
„Das hätten wir hier“, frohlockt sie und lächelt. Na ja, ein richtiges Lächeln ist das nicht, sondern eher ein Zähnefletschen. „Fürs Erste.“Und da war sie, die nächste Drohung. Ich warte, bis sie verschwunden ist, und gehe dann auch, zunächst einmal auf die Toilette der Kirchgemeinde im Untergeschoss. In dem Moment, als ich vor das Haus trete, sehe ich noch die Rücklichter von Irmgards Auto aufleuchten. Dann treibt der Blaschke Bürgermeister die mittlerweile schwer alkoholisierte Dorfbevölkerung vor das Pfarrhaus. Just als die Bestatter den Pfarrer im Zinksarg aus dem Haus tragen, stimmt der Blaschke den Trommelwirbel an, wobei nur noch er und der bedauernswerte Ulf dazu in der Lage sind, in die Hände zu klatschen.
Die anderen haben motorische Störungen und treffen mit der einen Hand die andere nicht mehr. Die Blaschke Ehefrau scheint sogar komplett steif zu sein und Ruprecht hat mit Heulen zu tun.
Die Polizisten, die etwas später kommen und die Pfarre versiegeln wollen, schauen nicht schlecht, als der Blaschke Bürgermeister noch schnell seinen Arm an ihnen vorbei in den Flur schiebt und die Außenbeleuchtung betätigt.
Der Herrnhuter Stern brennt. Das erste Türchen ist geöffnet. Unsere Dorfweihnacht kann beginnen.
6. Kapitel
Ich habe schlecht geschlafen. Das hat aber nichts mit der Ermordung des Pfarrers zu tun. Das regt mich nicht sonderlich auf. Bei uns im Thüringer Wald geht es etwas robuster zu. Da wirft einen so etwas nicht gleich aus der Bahn, also mich zumindest nicht. Bei Ruprecht ist das anders. Der wollte reden, über den Pfarrer. Ruprecht mochte ihn gern, aber Ruprecht mag alle Leute bei uns im Dorf. Die halbe Nacht hat er bei mir gesessen, Tee getrunken und Monologe gehalten. Ruprecht erwartet von seinem Gesprächspartner eigentlich keine Antworten. Hauptsache, jemand hört sich sein Gequatsche an. Das könnte auch eine Schaufensterpuppe sein. Die Kirchturmuhr hatte schon eins geschlagen, als er dann endlich abgehauen ist. Aber von wegen Nachtruhe. Ich konnte nicht einschlafen. Die Hirschknackwurst, die ich, so ausgehungert wie ich war, komplett aufgegessen hatte, hat mir schwer im Magen gelegen. Na ja, vielleicht war es auch die Tube Mayonnaise, die ich da immer draufschmiere. Egal. In jedem Fall war es eine beschissene Nacht. Und eine kurze. Denn ab sechs hat Tante Hildegard unter mir die Türen geknallt.
Tante Hildegard und ich leben ja zusammen, also in einem Haus. Diesen Umstand verdanke ich meiner Mutter, Tante Hildegards Schwester, die der Meinung war, Familie müsse zusammenhalten und mir Tante Hildegard aufgedrückt hat. Na ja, eigentlich war Tante Hildegard schon vor mir da. Es ist ihr Elternhaus. Tante Hildegard zumindest ist überzeugt, dass sie so etwas wie meine Familie ist. Nur, weil sie die Einzige auf der Welt ist, mit der ich mir ein paar Gene teile, werde ich nicht automatisch emotional. Die Natur ist nicht nur fair. Sie kann einem auch ziemlich übel mitspielen. Zum Beispiel mit einer Tante Hildegard. Fortsetzung folgt