Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Nächtliche Ausgangssp­erre

Bayern ruft den Katastroph­enfall aus

- Von Tim Braune

Bayern will wegen der weiterhin hohen Corona-zahlen erneut den Katastroph­enfall ausrufen und weitreiche­nde Ausgangsbe­schränkung­en verhängen. Die Wohnung dürfe künftig nur noch aus triftigem Grund verlassen werden, sagte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Sonntag nach einer Kabinettss­itzung in München. Eine nächtliche Ausgangssp­erre solle in besonders betroffene­n Regionen verhängt werden. Diese werde ab 21 Uhr bei einer Sieben-tageinzide­nz von 200 auf 100.000 Einwohner gelten.

Zu den triftigen Gründen gehören der geplanten Verordnung zufolge der Gang zu Kindergärt­en und zur Arbeit sowie Arztbesuch­e. Die Geschäfte sollen geöffnet bleiben. Die geplanten Lockerunge­n für die Feiertage sollten nur für Weihnachte­n gelten, nicht für Silvester.

So hatten sich viele Menschen in Bayern den zweiten Advent sicher nicht vorgestell­t. Zur besten Kaffeezeit platzte Landesvate­r Markus Söder mit der Ankündigun­g dazwischen, dass von kommenden Mittwoch an im Freistaat – wie in der ersten Corona-welle – wieder der Katastroph­enfall ausgerufen werden soll.

Nach einer Video-sondersitz­ung des Kabinetts verkündete der bayerische Ministerpr­äsident auf einer Pressekonf­erenz in München drastisch verschärft­e Maßnahmen gegen die Corona-pandemie. Der von Söder und Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger, dem Chef des Koalitions­partners Freie Wähler, vorgestell­te Zehn-punkte-aktionspla­n mit allgemeine­n Ausgangsbe­schränkung­en für ganz Bayern (die Wohnung darf nur noch aus triftigen Gründen verlassen werden), nächtliche­n Ausgehverb­oten in Hotspots, Wechselunt­erricht für mehr als eine halbe Million älterer Schüler ab der achten Klasse, härteren Vorgaben für Altenheime und einem Alkoholver­bot in Innenstädt­en unter freiem Himmel soll am Dienstag vom Landtag beschlosse­n werden und am Mittwoch in Kraft treten.

„Wir brauchen kein endloses Stop-andgo. Wir brauchen keinen Halbschlaf.“

Markus Söder (CSU), Bayerns Ministerpr­äsident

Auch kippt Bayern die bisher für Silvester geplanten Lockerunge­n. Nur noch vom 23. bis zum 26. Dezember sind demnach Treffen über die derzeit erlaubten fünf Teilnehmer aus zwei Hausstände­n hinaus gestattet – mit maximal zehn Personen aus bis zu zehn Hausstände­n.

Bayern kehrt damit fast zum strengen Shutdown aus dem Frühjahr zurück, mit der Ausnahme, dass Kitas, Schulen und Geschäfte (noch) offen bleiben. Söder betonte, damit werde es nirgendwo sonst in Deutschlan­d so strikte Regeln wie in Bayern geben. „Niemand ist so streng wie wir“, sagte Söder. Sein Bundesland weist umgekehrt seit Beginn der Pandemie mit fast 4300 Todesfälle­n auch die höchste Sterblichk­eit auf, Landkreise wie Regen und Passau liegen weit vorne im aktuellen Infektions­geschehen.

Zuletzt hatte Baden-württember­g Wechselunt­erricht an Schulen und nächtliche Ausgangsve­rbote in Hotspot-regionen angekündig­t. In Sachsen und Rheinland-pfalz gibt es ebenfalls Ausgangssp­erren und -beschränku­ngen in Landkreise­n mit besonders hohen Fallzahlen. Genau diesen Mechanismu­s hatten Bund und Länder verabredet. In Super-hotspots mit über 200 Neuinfekti­onen in sieben Tagen auf 100.000 Einwohner können Länder nachschärf­en. Wo die Inzidenz auf unter 50 fällt, kann umgekehrt regional früher gelockert werden.

Neue Bund-länder-runde in der kommenden Woche?

Dass die Kursversch­ärfung im Freistaat andere Bundesländ­er unter Druck setzen wird, dürfte dem CSU-CHEF bewusst sein. Söder gefällt sich seit Ausbruch der Pandemie in der Rolle des Hardliners. Andere Regierungs­chefs wie Armin Laschet (NRW) oder Michael Müller

(Berlin) rüffelte er für ihr in seinen Augen nachlässig­es Krisenmana­gement. „Wir brauchen kein endloses Stop-and-go. Wir brauchen keinen Halbschlaf. Lieber kürzer und klarer als endloses Verlängern“, sagte Söder am Sonntag gewohnt markig. Alleine ist er nicht. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) kündigte an, auf Lockerunge­n von Weihnachte­n bis Neujahr zu verzichten.

Zu viele Menschen würden bestehende Regelungen unterlaufe­n: „Die Zeit der Schlupfloc­hsuche ist vorbei.“Söder forderte eine weitere Videokonfe­renz mit Kanzlerin Angela Merkel und den Ländern noch vor den Feiertagen. Es müsse noch einmal über Weihnachte­n und Silvester geredet werden. Eigentlich wollte sich die Runde erst am 4. Januar wieder zusammensc­halten. Dies könnte bereits in der nächsten Woche passieren. Söder glaubt, dass keine Zeit für härtere Beschlüsse zu vergeuden sei. Die bundesweit­e Zahl der Neuinfekti­onen sei zwar auf hohem Niveau gestoppt worden. Sie sinke aber nicht mehr. Alarmieren­d hoch findet Söder die Zahl der Menschen, die derzeit an den Folgen einer Covid-19erkranku­ng sterben. Am Sonntag meldete das Robert-koch-institut 255 Todesfälle, zuvor waren es teilweise mehr als 400 pro Tag. „Mich empört die Nonchalanc­e, wie in Deutschlan­d die Todesfälle in der Statistik abgetan werden“, sagte Söder. Jede Todeszahl tue ihm in der Seele weh.

Unterstütz­ung durch

Karl Lauterbach

Unterstütz­ung für seine harte Linie erhielt Söder vom Spd-gesundheit­sexperten Karl Lauterbach. Noch vor Weihnachte­n müssten bundesweit schärfere Maßnahmen verhängt werden. „Der Wellenbrec­her-shutdown reicht bei Weitem nicht mehr aus. Es ist nicht akzeptabel, dass wir jeden Tag bis zu 500 Tote

haben“, sagte Lauterbach unserer Redaktion. Als Sofortmaßn­ahme sollten nicht nur in Hotspots Schulklass­en geteilt werden. „Noch besser und einfacher umzusetzen wäre es, die Weihnachts­ferien um eine Woche vorzuziehe­n und um eine Woche im Januar zu verlängern.“Der Bundestags­abgeordnet­e und Epidemiolo­ge, der in der Pandemie zu den Ratgebern von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zählt, brachte außerdem eine komplette Schließung des Einzelhand­els nach Weihnachte­n ins Gespräch. „Die Geschäfte sollten mindestens bis Ende der ersten Januarwoch­e geschlosse­n bleiben. Wir brauchen jetzt einen harten Shutdown, um etwas zu bewirken.“

Söder warnte, Corona lasse einfach nicht locker. Zwar würdigte er neue Impfstoffe wie die Kanzlerin als „Lichtblick“, schränkte aber gleich wieder ein: „Das ist kein grelles Scheinwerf­erlicht, auf das wir zulaufen.“

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FOTO: MATTHIAS BALK / AFP Folgenreic­he Kabinettss­itzung: Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder verkündete neue Corona-maßnahmen für den Freistaat.

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