Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Gehen, um zu bleiben
Horst Seehofer kündigt seinen Rücktritt von der CSU-Spitze an, Innenminister will er aber bleiben. Das hat Auswirkungen auf die ganze Koalition
Berlin/Bautzen. Nicht München. Nicht Berlin. Nicht der Bundestag oder das Ministerium. Sondern Bautzen – die 40.000 Einwohner große Stadt im äußersten östlichen Zipfel Deutschlands. In Bautzen gibt Horst Seehofer, Noch-Parteichef und Bundesinnenminister, seinen Rückzug von der Spitze der CSU bekannt. Zehn Jahre schon führt er die bayerischen Christsozialen an.
In Bautzen landet Seehofer am Vormittag mit dem Hubschrauber. Kamerateams sind vor Ort, die Bundespolizei hat einen Pavillon aufgestellt und Einsatzfahrzeuge vorgefahren. Hier eröffnet Seehofer als Minister das neue Fahndungs- und Kompetenzzentrum der Polizei. Interessieren wird die neue Abteilung der Sicherheitsbehörden von Bund und dem Land Sachsen am Ende dieses Tages kaum jemanden. Am Ende geht es nur um Horst Seehofers Zukunft. Horst Seehofer, CSU-Chef
„Ich werde das Amt niederlegen.“Mit diesen Worten beendet Seehofer selbst seine Karriere an der Spitze der CSU. Die Pressekonferenz in Bautzen ist Seehofers erster öffentlicher Auftritt, nachdem am Sonntagabend aus der CSU-Zentrale Signale über seinen Rückzug von seinen Spitzenämtern als Parteichef und Bundesinnenminister kamen. Der CSU-Vorsitzende hatte dazu bisher geschwiegen.
Den genauen Zeitplan der Übergabe an der Parteispitze nennt Seehofer noch nicht, wolle ihn aber noch in dieser Woche ankündigen. Und Seehofer sagt: „Ich bin Bundesinnenminister und werde das Amt weiter ausüben.“So sieht er das. Aber sehen es auch die anderen CSUPolitiker so? Söder? Scheuer? Dobrindt?
Seehofer selbst sagt, dass der Wunsch der CSU-Basis nach Erneuerung ausschlaggebend für seinen Rückzug aus dem Amt sei. 2019 solle sich die Partei neu aufstellen. „Der Wechsel gehört zum Leben, auch für mich.“Der Abschied als CSU-Chef sei jedoch keine Antwort auf das schlechte Landtagswahlergebnis der Partei in Bayern. Am Sonntagabend hat er seinen Rückzug intern mitgeteilt. Was bedeutet der Rückzug Seehofers – für die CSU, das Innenministerium und die Koalition?
Die CSU
In der Partei werden die besten Chancen Markus Söder eingeräumt, Seehofer nachzufolgen. Auch EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber hat Ambitionen auf das Amt, aber Schwierigkeiten, seinen Arbeitsort Brüssel als geeignet für einen CSU-Chef zu erklären. Gegen Söder, der als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl das historisch schlechte Wahlergebnis mit zu verantworten hat, wurden parteiintern wenig Vorwürfe laut. Er arbeitete konzentriert mit den Freien Wählern an einer Koalitionsregierung, wurde im Landtag vergangene Woche als Ministerpräsident geräuschlos vereidigt und präsentierte am Montag ein deutlich verjüngtes und weiblicheres Kabinett.
Auch war Söder an den Störmanövern gegen Kanzlerin Angela Merkel im Sommer während des erbitterten Streits der Union um Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze nicht unbeteiligt, ihm gelang es jedoch, sich zurückzuziehen und Seehofer als Sündenbock erscheinen zu lassen, als sich die Umfragewerte vor allem aufgrund des Stils der Auseinandersetzung gegen die CSU-Oberen richtete.
Der 51-jährige Söder würde den Oberbayer Seehofer dann schon zum zweiten Mal beerben. Erst im März hat er den Posten des bayerischen Regierungschefs von Seehofer übernommen – vorausgegangen war ein Machtkampf nach der Bundestagswahl im September 2017. Über Wochen hatte Seehofer versucht, neben dem Parteivorsitz am Amt des bayerischen Ministerpräsidenten festzuhalten. Es gelang ihm nicht. Die Doppelspitze mit ihm und Söder wurde beim Parteitag vor einem knappen Jahr in Nürnberg Realität. Seehofer wurde dort für zwei Jahre gewählt – nun wird er auch dieses Amt abgeben müssen.
Die Koalition
Am Sonntagabend wurde in München kolportiert, Seehofer wolle sich im Januar auch vom Amt als Bundesinnenminister verabschieden. Das klingt bei ihm selbst am Montag anders: „Ich persönlich habe gestern nach der Sitzung überhaupt nichts erklärt“, sagt er lächelnd bei der Pressekonferenz in Bautzen. Seehofer ist in Berlin machtpolitisch seit gestern nur noch Minister und nicht mehr Parteichef. Saß er noch gleichwertig neben Andrea Nahles und Merkel am Koalitionstisch, ist er nun als „einfaches Kabinettsmitglied“stärker abhängig von der Kanzlerin. Und sowohl Merkel als auch weite Teile der Union sowie fast alle in der SPD stehen intern kaum mehr an Seehofers Seite. Sozialdemokraten und Kanzleramt betrachten Seehofers Agieren im Unionsstreit und in der Causa um die Äußerungen des damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen als Problem.
Seehofer ist isoliert. Und doch ist das Risiko eines Rücktritts auch als Minister für die Koalition nicht zu unterschätzen. Die ohnehin angespannte Lage zwischen CDU, CSU und SPD würde noch einmal durcheinandergewirbelt. Einen Streit über eine mögliche Nachfolge wollen alle in der GroKo vermeiden. Also bleiben sie lieber ruhig. Vorerst.
Kommt es doch zum Abschied Seehofers aus dem Ministerium, kursiert vor allem ein Name als Nachfolger: Joachim Herrmann, bayerischer Innenminister. Doch der 62-Jährige bleibt auch im neuen Kabinett Innenminister in Bayern. Und ob Herrmann, der ohnehin wenig Lust auf Berlin verspürt, einen sicheren Posten in München gegen das Amt in der großen Koalition eintauschen wollen würde, ist unwahrscheinlich. Derzeit ist der Posten ein Schleudersitz. Es ist nicht klar, ob die Regierung das erste Vierteljahr 2019 noch im Amt sein wird. Auch eine Kabinettsumbildung größeren Ausmaßes ist nicht ausgeschlossen, da die SPD-Justizministerin Katarina Barley spätestens im Mai ihr Amt aufgibt, um in das Europäische Parlament zu wechseln.
Das Ministerium
Am Tag des Rückzugs von der CSU-Spitze will Seehofer in seinem Amt als Innenminister Tatkraft demonstrieren. Kurz vor der Pressekonferenz in Bautzen verschickt das Ministerium eine EMail: Thomas Haldenwang, bisher Vize-Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, soll der Nachfolger des geschassten Maaßen werden. Der Name Haldenwang kursiert schon Wochen als Kandidat für die Amtsleitung, auf Seehofers Schreibtisch soll nach Informationen unserer Redaktion schon länger eine Vorlage der Staatssekretäre seines Hauses liegen.
Auch in der Union wächst zumindest in vertraulichen Gesprächen die Kritik an Seehofers Amtsführung im Ministerium. Aus Regierungssicht wichtige Projekte wie der Masterplan Migration und die vergangene Woche vorgestellte Heimatoffensive für gleichwertige Lebensverhältnisse drangen kaum durch, weil alle über Seehofer diskutieren, nicht über seine Politik. Auch die Abkommen mit anderen EU-Staaten in der Asylpolitik, die Seehofer abschließen wollte, kommen kaum voran. Mehrfach berichteten Angestellte in seinem Haus, dass es schwierig sei, den Minister zu fassen zu kriegen. Es dauere manchmal Tage, bis er sich einer Aktenlage annehme. An vielen Tagen sei er nicht im Berliner Ministerium, sondern unterwegs. Meistens in Bayern. Zuletzt in Helsinki, als CSU-Politiker Weber zum konservativen Kandidaten im EU-Parlament gekrönt wurde. Zumindest diese Parteitermine könnten weniger werden, sagt ein Unionspolitiker in Berlin, wenn Seehofer sich nun aus der Parteispitze zurückziehe.
„Der Wechsel gehört zum Leben, auch für mich.“