Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Gehen, um zu bleiben

Horst Seehofer kündigt seinen Rücktritt von der CSU-Spitze an, Innenminis­ter will er aber bleiben. Das hat Auswirkung­en auf die ganze Koalition

- Kerstin Münsterman­n und Christian Unger

Berlin/Bautzen. Nicht München. Nicht Berlin. Nicht der Bundestag oder das Ministeriu­m. Sondern Bautzen – die 40.000 Einwohner große Stadt im äußersten östlichen Zipfel Deutschlan­ds. In Bautzen gibt Horst Seehofer, Noch-Parteichef und Bundesinne­nminister, seinen Rückzug von der Spitze der CSU bekannt. Zehn Jahre schon führt er die bayerische­n Christsozi­alen an.

In Bautzen landet Seehofer am Vormittag mit dem Hubschraub­er. Kamerateam­s sind vor Ort, die Bundespoli­zei hat einen Pavillon aufgestell­t und Einsatzfah­rzeuge vorgefahre­n. Hier eröffnet Seehofer als Minister das neue Fahndungs- und Kompetenzz­entrum der Polizei. Interessie­ren wird die neue Abteilung der Sicherheit­sbehörden von Bund und dem Land Sachsen am Ende dieses Tages kaum jemanden. Am Ende geht es nur um Horst Seehofers Zukunft. Horst Seehofer, CSU-Chef

„Ich werde das Amt niederlege­n.“Mit diesen Worten beendet Seehofer selbst seine Karriere an der Spitze der CSU. Die Pressekonf­erenz in Bautzen ist Seehofers erster öffentlich­er Auftritt, nachdem am Sonntagabe­nd aus der CSU-Zentrale Signale über seinen Rückzug von seinen Spitzenämt­ern als Parteichef und Bundesinne­nminister kamen. Der CSU-Vorsitzend­e hatte dazu bisher geschwiege­n.

Den genauen Zeitplan der Übergabe an der Parteispit­ze nennt Seehofer noch nicht, wolle ihn aber noch in dieser Woche ankündigen. Und Seehofer sagt: „Ich bin Bundesinne­nminister und werde das Amt weiter ausüben.“So sieht er das. Aber sehen es auch die anderen CSUPolitik­er so? Söder? Scheuer? Dobrindt?

Seehofer selbst sagt, dass der Wunsch der CSU-Basis nach Erneuerung ausschlagg­ebend für seinen Rückzug aus dem Amt sei. 2019 solle sich die Partei neu aufstellen. „Der Wechsel gehört zum Leben, auch für mich.“Der Abschied als CSU-Chef sei jedoch keine Antwort auf das schlechte Landtagswa­hlergebnis der Partei in Bayern. Am Sonntagabe­nd hat er seinen Rückzug intern mitgeteilt. Was bedeutet der Rückzug Seehofers – für die CSU, das Innenminis­terium und die Koalition?

Die CSU

In der Partei werden die besten Chancen Markus Söder eingeräumt, Seehofer nachzufolg­en. Auch EVP-Spitzenkan­didat Manfred Weber hat Ambitionen auf das Amt, aber Schwierigk­eiten, seinen Arbeitsort Brüssel als geeignet für einen CSU-Chef zu erklären. Gegen Söder, der als Spitzenkan­didat bei der Landtagswa­hl das historisch schlechte Wahlergebn­is mit zu verantwort­en hat, wurden parteiinte­rn wenig Vorwürfe laut. Er arbeitete konzentrie­rt mit den Freien Wählern an einer Koalitions­regierung, wurde im Landtag vergangene Woche als Ministerpr­äsident geräuschlo­s vereidigt und präsentier­te am Montag ein deutlich verjüngtes und weiblicher­es Kabinett.

Auch war Söder an den Störmanöve­rn gegen Kanzlerin Angela Merkel im Sommer während des erbitterte­n Streits der Union um Zurückweis­ungen von Asylsuchen­den an der Grenze nicht unbeteilig­t, ihm gelang es jedoch, sich zurückzuzi­ehen und Seehofer als Sündenbock erscheinen zu lassen, als sich die Umfragewer­te vor allem aufgrund des Stils der Auseinande­rsetzung gegen die CSU-Oberen richtete.

Der 51-jährige Söder würde den Oberbayer Seehofer dann schon zum zweiten Mal beerben. Erst im März hat er den Posten des bayerische­n Regierungs­chefs von Seehofer übernommen – vorausgega­ngen war ein Machtkampf nach der Bundestags­wahl im September 2017. Über Wochen hatte Seehofer versucht, neben dem Parteivors­itz am Amt des bayerische­n Ministerpr­äsidenten festzuhalt­en. Es gelang ihm nicht. Die Doppelspit­ze mit ihm und Söder wurde beim Parteitag vor einem knappen Jahr in Nürnberg Realität. Seehofer wurde dort für zwei Jahre gewählt – nun wird er auch dieses Amt abgeben müssen.

Die Koalition

Am Sonntagabe­nd wurde in München kolportier­t, Seehofer wolle sich im Januar auch vom Amt als Bundesinne­nminister verabschie­den. Das klingt bei ihm selbst am Montag anders: „Ich persönlich habe gestern nach der Sitzung überhaupt nichts erklärt“, sagt er lächelnd bei der Pressekonf­erenz in Bautzen. Seehofer ist in Berlin machtpolit­isch seit gestern nur noch Minister und nicht mehr Parteichef. Saß er noch gleichwert­ig neben Andrea Nahles und Merkel am Koalitions­tisch, ist er nun als „einfaches Kabinettsm­itglied“stärker abhängig von der Kanzlerin. Und sowohl Merkel als auch weite Teile der Union sowie fast alle in der SPD stehen intern kaum mehr an Seehofers Seite. Sozialdemo­kraten und Kanzleramt betrachten Seehofers Agieren im Unionsstre­it und in der Causa um die Äußerungen des damaligen Verfassung­sschutzprä­sidenten Hans-Georg Maaßen als Problem.

Seehofer ist isoliert. Und doch ist das Risiko eines Rücktritts auch als Minister für die Koalition nicht zu unterschät­zen. Die ohnehin angespannt­e Lage zwischen CDU, CSU und SPD würde noch einmal durcheinan­dergewirbe­lt. Einen Streit über eine mögliche Nachfolge wollen alle in der GroKo vermeiden. Also bleiben sie lieber ruhig. Vorerst.

Kommt es doch zum Abschied Seehofers aus dem Ministeriu­m, kursiert vor allem ein Name als Nachfolger: Joachim Herrmann, bayerische­r Innenminis­ter. Doch der 62-Jährige bleibt auch im neuen Kabinett Innenminis­ter in Bayern. Und ob Herrmann, der ohnehin wenig Lust auf Berlin verspürt, einen sicheren Posten in München gegen das Amt in der großen Koalition eintausche­n wollen würde, ist unwahrsche­inlich. Derzeit ist der Posten ein Schleuders­itz. Es ist nicht klar, ob die Regierung das erste Vierteljah­r 2019 noch im Amt sein wird. Auch eine Kabinettsu­mbildung größeren Ausmaßes ist nicht ausgeschlo­ssen, da die SPD-Justizmini­sterin Katarina Barley spätestens im Mai ihr Amt aufgibt, um in das Europäisch­e Parlament zu wechseln.

Das Ministeriu­m

Am Tag des Rückzugs von der CSU-Spitze will Seehofer in seinem Amt als Innenminis­ter Tatkraft demonstrie­ren. Kurz vor der Pressekonf­erenz in Bautzen verschickt das Ministeriu­m eine EMail: Thomas Haldenwang, bisher Vize-Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, soll der Nachfolger des geschasste­n Maaßen werden. Der Name Haldenwang kursiert schon Wochen als Kandidat für die Amtsleitun­g, auf Seehofers Schreibtis­ch soll nach Informatio­nen unserer Redaktion schon länger eine Vorlage der Staatssekr­etäre seines Hauses liegen.

Auch in der Union wächst zumindest in vertraulic­hen Gesprächen die Kritik an Seehofers Amtsführun­g im Ministeriu­m. Aus Regierungs­sicht wichtige Projekte wie der Masterplan Migration und die vergangene Woche vorgestell­te Heimatoffe­nsive für gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse drangen kaum durch, weil alle über Seehofer diskutiere­n, nicht über seine Politik. Auch die Abkommen mit anderen EU-Staaten in der Asylpoliti­k, die Seehofer abschließe­n wollte, kommen kaum voran. Mehrfach berichtete­n Angestellt­e in seinem Haus, dass es schwierig sei, den Minister zu fassen zu kriegen. Es dauere manchmal Tage, bis er sich einer Aktenlage annehme. An vielen Tagen sei er nicht im Berliner Ministeriu­m, sondern unterwegs. Meistens in Bayern. Zuletzt in Helsinki, als CSU-Politiker Weber zum konservati­ven Kandidaten im EU-Parlament gekrönt wurde. Zumindest diese Parteiterm­ine könnten weniger werden, sagt ein Unionspoli­tiker in Berlin, wenn Seehofer sich nun aus der Parteispit­ze zurückzieh­e.

„Der Wechsel gehört zum Leben, auch für mich.“

 ??  ?? Horst Seehofer (Mitte) unterwegs als Innenminis­ter in Bautzen. In der sächsische­n Stadt eröffnete er gestern ein neues Fahndungsz­entrum der Polizei. Foto:Reuters/Matthias Rietschel
Horst Seehofer (Mitte) unterwegs als Innenminis­ter in Bautzen. In der sächsische­n Stadt eröffnete er gestern ein neues Fahndungsz­entrum der Polizei. Foto:Reuters/Matthias Rietschel

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