Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Beflügelnde Liebe Wie Andrea Henkel einst in Nove Mesto die deutschen Biathleten erlöst. Einzel als gutes Omen?
Empfangen wurde sie von den Toten Hosen. Als Andrea Henkel am 13. Februar 2013 unter dem gleißenden Flutlicht der Vysocina-Arena dem Zielstrich entgegen stürmte, dröhnte „An Tagen wie diesen“aus den Boxen. Passender hätte die musikalische Untermalung kaum sein können. Dank makelloser Schießprüfungen und unermüdlichen Kampfgeistes in der Loipe sicherte sich die Thüringerin bei ihren letzten Weltmeisterschaften die ersehnte Medaille: Silber glänzte hinter der überragenden Norwegerin Tora Berger damals wie Gold – und rundete eine große Karriere ab.
Elf Jahre später hofft die deutsche Biathlon-Mannschaft erneut auf eine Trendwende in dieser Disziplin. Wie damals verlief die erste Woche in Nove Mesto enttäuschend; wie damals gingen alle Medaillen an die anderen Nationen. Der Druck war enorm – Henkel hielt ihm stand und dient damit als Vorbild für die Biathletinnen von heute. Am Dienstag (17.10 Uhr/ARD, Eurosport) wollen Franziska Preuß, Vanessa Voigt, Janina Hettich-Walz und Debütantin Selina Grotian die Durststrecke beenden. Bisher war das ganze Team auch aufgrund von Problemen mit dem Skimaterial chancenlos.
Am Montag saßen Trainer, Techniker und Sportler in großer Runde im Teamhotel „Tri Pumpy“zusammen und redeten Tacheles. Mit dem offenen Austausch wollte man Verständnis füreinander entwickeln, meinte Sportdirektor Felix Bitterling und ergänzte: „Wenn man über das Material spricht, redet man über ein sehr komplexes Zusammenspiel aus Skischliff, Wachs und Handstruktur.“Mittlerweile vermuten die Verantwortlichen bei Letzterem die Problemquelle in den bisherigen Rennen. Nun gelte es, in der Kürze der Zeit eine konkurrenzfähige Struktur auf den Belag zu bringen.
Bei Andrea Henkel hatte einst alles gepasst. Und auch ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann Tim Burke erlebte 24 Stunden nach seiner Liebsten seinen sportlichen Höhepunkt. Im 20-km-Einzel bescherte er dem US-Team ebenfalls Silber. „Ich habe damals viel mehr gezittert als bei meinem eigenen Rennen“, verrät Henkel und staunt noch heute, wie cool ihr Tim geblieben war. „Er hatte am Ende das ganze Publikum gegen sich, weil es für einen Tschechen um die Medaille ging“, erinnert sie sich. Tatsächlich stieß
Burke noch Ondrej Moravec vom Podest und meinte hinterher glücklich: „Ich habe mir einfach Andrea zum Vorbild genommen.“
Auch eine Biathlon-Liebe kann Flügel verleihen. Erst recht am Valentinstag. Doch gemeinsam feiern konnte das Silberpaar damals nicht.
Beide Mannschaftsquartiere lagen so weit auseinander, dass es zunächst bei gegenseitigen Glückwünschen am Telefon blieb. Während die US-Skijäger den Überraschungserfolg genossen, bewahrte Henkel das deutsche Team vor einem sportlichen Desaster. Abgesehen von Bronze für die Männerstaffel war ihre Plakette die einzige bei den damaligen Titelkämpfen. Bis heute ist es die schlechteste WMAusbeute deutscher Biathleten.
Mittlerweile lebt die Großbreitenbacherin seit neun Jahren in Lake Placid, der Heimat ihres Mannes. Die Medaillen sind in einer Kiste im Keller ihres Hauses verstaut. Lediglich ein paar Pokale zieren einen Schrank im Gästezimmer. Ganz losgelassen hat der Biathlon die beiden Sportler aber nie. Der 42Jährige versucht als Direktor für Athletenentwicklung im US-Verband, den Anschlusskadern beim Sprung in den Top-Bereich zu helfen. Seine Frau arbeitet als Personaltrainerin und veranstaltet unter anderem Trainingscamps für Masters-Biathleten.
Anfang Januar war sie von einem Großsponsor zur Gästebetreuung zu den Weltcups in Oberhof und Ruhpolding eingeflogen worden. Wie ein Klassentreffen habe sich das Wiedersehen mit den einstigen Wegbegleitern angefühlt – mit reichlich Gesprächsstoff von früher und heute. In Ruhpolding kam sogar die Staffel von den Olympischen Spielen in Vancouver zusammen: Gemeinsam mit ihrer langjährigen Zimmerkollegin Martina Beck (Glagow), Simone Hauswald (Denkinger) und Kati Wilhelm hatte Henkel 2010 Bronze gewonnen.
Ihren Nachfolgern drückt sie nun für den weiteren WM-Verlauf die Daumen und verrät, dass eine kleine Wette mit Stefan Schwarzbach für ihren Erfolg in Nove Mesto mitverantwortlich war. Der Verbandssprecher hatte der erfahrensten deutschen Biathletin nämlich angedroht, sie am Aschermittwoch in ein Kostüm der ulkigen WM-Maskottchen „N“und „M“zu stecken, falls sie das Podium erneut verfehlen würde. Diesen Auftritt wollte sie sich ganz offensichtlich ersparen.