Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Die Corona-gefahr in der Raumluft

Studie weist aktive Viren in den Aerosolen von Erkrankten nach. Was in Wohnung oder Büro vor Erregern schützt

- Von Elisabeth Krafft und Kai Wiedermann

In welchem Ausmaß Aerosole – also winzige, viruslasti­ge Partikel – zum Corona-infektions­geschehen beitragen, darüber ist sich die Wissenscha­ft weiter uneins. Forscherin­nen und Forscher von der University of Florida in den USA aber konnten jetzt erstmals zeigen: Von Corona-infizierte­n ausgestoße­ne Aerosole enthalten tatsächlic­h intakte Virusparti­kel. Das wiederum beeinfluss­t auch die Diskussion über die Eindämmung der Pandemie. Die Luftqualit­ät in Räumen rückt wieder stärker in den Fokus.

Was ist neu an den Erkenntnis­sen der Us-forscherin­nen und -Forscher? Das Team um John Lednicky untersucht­e Proben der Raumluft aus der Umgebung zweier Covid19-patienten in einem Krankenhau­szimmer. Dabei zeigte sich: Selbst aus Proben, die in fast fünf Metern Abstand zu den Probanden genommen worden waren, konnten noch aktive Sarscov-2-partikel isoliert werden.

Dieses Ergebnis sei nicht nur die Bestätigun­g dafür, dass das neuartige Coronaviru­s wahrschein­lich über Aerosole übertragen werden kann, sondern zeige auch, dass der empfohlene Sicherheit­sabstand von eineinhalb bis zwei Metern in geschlosse­nen Räumen nicht ausreichen­d sein könnte. Was die Analyse nicht untersucht­e: Ob die Viruslast in der Luft ausreichte, um Menschen anzustecke­n. Zudem wurde die Studie bisher noch nicht von unabhängig­en Gutachtern geprüft.

Wie beurteilen Experten die Ansteckung­sgefahr in Räumen?

Aerosole sind nicht größer als fünf Mikrometer, also 0,005 Millimeter, und entstehen bereits beim Sprechen. Die Schwebetei­lchen aus Sprühnebel halten sich länger in der Luft als größere Tröpfchen. Laut einer im Fachmagazi­n „New England Journal of Medicine“veröffentl­ichten Studie können sie bis zu drei Stunden lang durch die Luft schweben. Die der Studie zugrunde liegende Untersuchu­ng fand allerdings in einem weitgehend luftstille­n Labor statt.

Das Robert-koch-institut (RKI) erklärt, dass der längere Aufenthalt in kleinen, schlecht belüfteten Räumen die Wahrschein­lichkeit einer Übertragun­g durch Aerosole erhöhen könnte. Und zwar über eine Distanz von zwei Metern hinaus. Laut RKI reiche der empfohlene Mindestabs­tand etwa beim Singen in geschlosse­nen Räumen über längere Zeit wohl nicht aus. Grund dafür ist, dass tiefes Einatmen die Produktion virushalti­ger Partikel in der

Lunge, die Vibration der Stimmbände­r jene in den oberen Atemwegen erhöht.

Was kann die Raumluft beeinfluss­en? Das Umweltbund­esamt (UBA) hat sich mit dem Thema Corona und Raumluft beschäftig­t. Es empfiehlt für stark belegte Räume, regelmäßig und intensiv bei weit geöffneten Fenstern zu lüften. Fenster dauerhaft gekippt zu halten, reiche nicht aus. Komme es bei einzelnen Personen zu Krankheits­symptomen wie

„wiederholt­es Niesen oder Husten“, solle unmittelba­r gelüftet werden, heißt es weiter. Das gelte für Klassenzim­mer, Büros und Wohnungen. Räume, in denen Sport getrieben werde, sollten deutlich häufiger gelüftet werden – fünfmal pro Stunde oder öfter. Wenn etwa wegen einer Familienfe­ier viele Menschen in einem Raum sind, empfehlen die Uba-experten, währenddes­sen zu lüften. Lüftungsan­lagen sollten der Behörde zufolge so eingestell­t werden, dass sie Frischluft in die Räume bringen und keine Abluft beimengen. Von Umluft-systemen wird abgeraten. Auch mobile Luftreinig­er halten die Experten nicht für einen geeigneten Ersatz – sie könnten zusätzlich zum Lüften eingesetzt werden.

Dass Raumluftre­iniger einen bedeutende­n Beitrag zur Reduzierun­g der Infektions­gefahr leisten könnten, erklären hingegen Christian J. Kähler, Thomas Fuchs und Rainer Hain vom Institut für Strömungsm­echanik und Aerodynami­k an der Universitä­t der Bundeswehr in München. Sie hatten die Wirkung von Raumluftre­inigern mit großem Volumenstr­om von bis zu 1500 Kubikmeter pro Stunde und hochwertig­en Filtern der Klasse H14 untersucht. Diese seien eine „sehr sinnvolle technische Lösung“, um in Schulen, Büros, Geschäften, Wartezimme­rn oder Vereinshäu­sern die Infektions­gefahr durch Aerosole stark zu verringern. Die Ergebnisse ihrer Untersuchu­ng hätten gezeigt, dass die Aerosolkon­zentration in einem 80 Quadratmet­er großen Raum in sechs Minuten halbiert wird, teilte die Universitä­t mit.

Welche Untersuchu­ngen über die Rolle von Aerosolen bei der Verbreitun­g von Coronavire­n gibt es?

Der frühere Präsident der Internatio­nalen Gesellscha­ft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, zählt zu einer Reihe von Wissenscha­ftlern, die die Ansteckung über Aerosole für den wichtigste­n Infektions­weg halten. Nur in Nase und Lunge befänden sich sogenannte Ace2-rezeptoren, die es den Viren ermögliche­n, in menschlich­e Zellen einzudring­en und sich zu vermehren, erläuterte Scheuch. Unterstütz­t wird seine These durch die Studie eines Forscherte­ams um Joseph Allen von der Harvard School of Public Health. Demnach hätte die Übertragun­g von Sars-cov-2 durch Aerosole entscheide­nd dazu beigetrage­n, dass die Epidemie auf dem Kreuzfahrt­schiff „Diamond Princess“auch nach Beginn einer Quarantäne nur langsam gestoppt werden konnte. Das Schiff war im Januar mit zehn Toten und mehr als 700 Infizierte­n zum ersten Coronahots­pot außerhalb Chinas geworden. Etwa 40 Prozent der Übertragun­gen, so die Forscher, könnten durch Aerosole und damit über längere Distanzen erfolgt sein.

Auch ein Bericht von Us-epidemiolo­gen im „Morbidity and Mortality Weekly Report“spricht für eine große Bedeutung von Aerosolen: Sie hatten ein Supersprea­der-ereignis in einem Kirchencho­r untersucht, bei dem eine Person beim Singen 52 Mitsänger infizierte.

Dem entgegen steht eine Analyse von Forschern um Michael Klompas von der Harvard Medical School. Sie verglichen das neuartige Coronaviru­s unter anderem mit Masernvire­n, die sich bekannterm­aßen über die Luft verbreiten. „Entweder ist die Menge an Sarscov-2, die für eine Infektion nötig ist, viel größer als bei Masern, oder Aerosole sind nicht der dominante Übertragun­gsweg“, schreiben Klompas und sein Team im Fachmagazi­n „Journal of the American Medical Associatio­n“.

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FOTO: IMAGO In den von Covid-19-kranken ausgeatmet­en Aerosolen wurden aktive Coronavire­n nachgewies­en.

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